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Von Tastenlöwen, Hohepriestern und Legenden

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„Great Pianists of the 20th Century“ · Plattensammlung bei Philips erschienen
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Solche Großprojekte scheinen also auf den ersten Blick tatsächlich eine gute Gelegenheit für die Plattenfirmen zu sein, ihre Backlist wieder einmal aufzuwärmen und alte, längst bekannte Aufnahmen unter die Leute zu bringen. So sind denn auch bei diesem Pianistenprojekt viele der Aufnahmen ohnehin ständig im Katalog und daher wohl auch im Regal des Klavierfreundes zu finden. Dennoch ist diese Reihe viel mehr als nur ein neues Überlebensprojekt. Zwar sind die Pianisten der ersten Garnitur diskografisch bestens erfasst, Funde gibt’s hier eigentlich kaum noch zu machen. Aber trotzdem hat der Herausgeber Tom Deacon – zum Teil unveröffentlichte – Aufnahmen aus den Archiven gefischt, die auch den eingefleischtesten Klavierfreak jubeln lassen dürften. Denn wer kennt schon noch die – eiskalten und damit letztlich verfehlten – Chopin-Aufnahmen eines Friedrich Gulda aus den 50ern oder die in ihrer Farbigkeit bis heute unübertroffenen Liszt-Darstellungen von Wilhelm Kempff. Aber genau das macht die Edition so interessant. Über die Auswahl kann man sicher streiten. Hier dürfte wohl höhere Firmenpolitik im Spiel gewesen sein, bevorzugt werden – jedenfalls bei den jüngeren – offensichtlich Pianisten der Majors. Auch hat man den Eindruck, dass die Amerikaner etwas überrepräsentiert sind, lernt dafür aber Virtuosen wie Earl Wild, dessen Transkriptionen-Potpourri Erinnerungen an vergangene Zeiten beschwört, genauer kennen

Was kauft ein Plattensammler noch, wenn er schon alles hat? Antwort: Er kauft’s noch mal. Das scheint die Devise der gebeutelten Plattenindustrie zu sein, die seit einiger Zeit eine diskografische Großtat nach der anderen mit sich jeweils steigernden Superlativen auf den Markt wirft. Nach diversen Komponisten-Editionen sind jetzt 74 der „Great Pianists of the 20th Century“ dran, die von Philips in einer gerade beendeten Reihe in 100 Ausgaben mit je zwei CDs nebst ausführlichem Begleittext vorgestellt werden. Solche Großprojekte scheinen also auf den ersten Blick tatsächlich eine gute Gelegenheit für die Plattenfirmen zu sein, ihre Backlist wieder einmal aufzuwärmen und alte, längst bekannte Aufnahmen unter die Leute zu bringen. So sind denn auch bei diesem Pianistenprojekt viele der Aufnahmen ohnehin ständig im Katalog und daher wohl auch im Regal des Klavierfreundes zu finden. Dennoch ist diese Reihe viel mehr als nur ein neues Überlebensprojekt. Zwar sind die Pianisten der ersten Garnitur diskografisch bestens erfasst, Funde gibt’s hier eigentlich kaum noch zu machen. Aber trotzdem hat der Herausgeber Tom Deacon – zum Teil unveröffentlichte – Aufnahmen aus den Archiven gefischt, die auch den eingefleischtesten Klavierfreak jubeln lassen dürften. Denn wer kennt schon noch die – eiskalten und damit letztlich verfehlten – Chopin-Aufnahmen eines Friedrich Gulda aus den 50ern oder die in ihrer Farbigkeit bis heute unübertroffenen Liszt-Darstellungen von Wilhelm Kempff. Aber genau das macht die Edition so interessant. Über die Auswahl kann man sicher streiten. Hier dürfte wohl höhere Firmenpolitik im Spiel gewesen sein, bevorzugt werden – jedenfalls bei den jüngeren – offensichtlich Pianisten der Majors. Auch hat man den Eindruck, dass die Amerikaner etwas überrepräsentiert sind, lernt dafür aber Virtuosen wie Earl Wild, dessen Transkriptionen-Potpourri Erinnerungen an vergangene Zeiten beschwört, genauer kennen. Lob gebührt dem Herausgeber dafür, dass er den Titel der Reihe ernst genommen hat und auch die großen Pianisten der ersten Jahrhunderthälfte ihrer Bedeutung angemessen präsentiert. So hat auch der Nichtfreak endlich einmal die Möglichkeit, Myra Hess’ (die Dame mit dem Bach-Choral) fabelhaft intelligentes und klar strukturiertes, Josef Lhévinnes (samt Gattin) und Ignaz Friedmans bis heute unübertroffen elegantes Klavierspiel zu bewundern (Moritz Rosenthal fehlt leider!). Wenn man dann noch die frappierend modern wirkenden Aufnahmen eines Sergei Rachmaninoff (der aus einem kleinen Chopin-Walzer einen ganzen Kosmos zaubert) oder die verblüffende manuelle Präzision eines Josef Hofmann hört, muss man sich dann doch wieder einmal die alte Frage stellen, ob denn früher nicht einfach besser Klavier gespielt wurde als heute.

Gottlob hat der Herausgeber nicht nur die ganz großen Namen ausgewählt, sondern auch den weniger bekannten, eher im Stillen arbeitenden Pianisten einen wichtigen Platz eingeräumt und diese Namen damit auch einem größerem Hörerkreis bekannt gemacht. Hierzu zählt der Tscheche Ivan Moravec, dessen Chopin- und Debussyspiel so kraftvoll wie poetisch ist und dem Spiel der ganz Großen gleichgestellt werden muss – man höre nur einmal die wunderbar introvertierte Wiedergabe der Polonaise-Fantasie von Chopin! Oder Maria Yudina, die große Russin, deren extrem herbe Wiedergabe von Beethovens Diabelli-Variationen zwar verstört, ob ihrer Konsequenz aber unvergesslich bleibt. Samson Francois’ impulsiver Chopin ist in der b-Moll-Sonate der legendären Moskauer Gilels-Interpretation sicher ebenbürtig und György Cziffra zeigt, dass er mehr ist als der Klavierberserker, als den viele ihn immer sahen. Die zur Zeit auch in Europa bekannter werdende Amerikanerin Rosalyn Tureck spielt einen sehr persönlichen, durchdachten und spannenden Bach, der in seiner Konsequenz an Glenn Gould erinnert – der in dieser Edition mangels Freigabe durch Sony übrigens keinen Ton von Bach spielt! Der jung verstorbene William Kapell gehört in diese Reihe ebenso wie die Wiener Pianistin Ingrid Haebler, die sich als Mozartspielerin allerers-ten Ranges präsentiert.

Bleiben die ganz großen Namen, die meist mit bekannten Aufnahmen vertreten sind. Höhepunkte der Reihe sind etwa die Wiedergabe des Sofia-Konzertes mit Sviatoslav Richter, dessen „Feux Follets“ einmal mehr beweisen, dass eigentlich niemand besser Klavier spielte als er. Dasselbe denkt man aber auch beim Hören der f-Moll-Sonate von Schumann, gespielt von Horowitz und bei Emil Gilels´ Interpretation der Rhapsodie Espagnole von Liszt. Oder bei Edwin Fischers Bach und Brendels 1976er Aufnahme der Diabelli-Variationen.

So ließe sich die Aufzählung fast endlos fortsetzen, denn die allermeisten Interpretationen auch der weniger bekannten Pianisten sind tatsächlich die Aufnahme in den Klavierolymp dieser Edition wert. Sicher, auf manche (Watts, Previn) könnte man leichteren Herzens verzichten. Aber trotzdem, diese Edition ist ein Kompendium des Klavierspiels in diesem Jahrhundert und als solches schon jetzt für jeden Klavierenthusiasten unverzichtbar – und eine Fortsetzung wird nicht ausgeschlossen!

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