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Daniel Finkernagel. Foto: Neda Navaee
Daniel Finkernagel. Foto: Neda Navaee
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Warum der beflissene Bescheidwisser ausgedient hat

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Der Moderator und Rhetorik-Dozent Daniel Finkernagel im Gespräch
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Seitdem die Musikvermittlungswelle durch unsere Kulturlandschaft rollt, ist das Sprechen über klassische Musik wieder in den Fokus des Interesses geraten. In ungezählten Konzert­einführungen werden Musikerinnen und Musiker vor die Frage gestellt: Was sage ich wie? Sie spüren, Schulfunktonfall und Oberlehrermonolog sind irgendwie out. Was aber soll an deren Stelle treten? Joa­chim Thalmann, Professor im Studiengang Musikvermittlung/Musikmanagement an der Hochschule für Musik Detmold, hat sich darüber mit einem Wanderer zwischen den Welten unterhalten: Daniel Finkernagel, selbst studierter Musikwissenschaftler und Bratschist, ist heute Moderator, betreibt eine Firma, die sich auf die Produktion von Filmen über Themen aus dem Bereich der klassischen Musikkultur spezialisiert hat, und unterrichtet das Fach Rhetorik an der Hochschule für Musik Detmold im Masterstudiengang Musikvermittlung/Musikmanagement.

neue musikzeitung: Ist der Moderator heute immer noch Faktenkompressor?

Daniel Finkernagel: Dann könnten wir einpacken. Wir müssen uns schlicht fragen: Was will das Publikum? – 99 Prozent aller Anfänger unseres Studienganges in Detmold beantworten diese Frage auf geradezu dramatische Weise falsch. Sie gehen von Erwartungshaltungen eines Publikums aus, die es gar nicht gibt. Sie haben Rollenmodelle eines Moderators im Kopf, die absurd und überholt sind. Sie suchen sich mit Wikipedia und MGG Fakten und Anekdoten über die „Eroica“ zusammen, von denen sie glauben, sie seien relevant und mitteilenswert, nur weil sie in jedem Programmtext, jedem Booklet, jeder Radio-Moderation, jeder Einführungsveranstaltung vorkommen. So multiplizieren sich quälende Moderationsmuster exponentiell.

nmz: Mal der Reihe nach. Was ist denn die passende Rolle des Moderators?

Finkernagel: Der musikvermittelnde Moderator soll keine Rolle übernehmen oder spielen, sondern eine Funktion: Sie besteht darin, Hörerlebnisse zu ermöglichen. Viele Moderatoren übernehmen leider Rollen und geben den beflissenen Bescheidwisser. Den lexikalisch korrekt agierenden Referenten. Wenn ich unpersönlich, strikt, humorfrei und leidenschaftslos auf die Menschen zugehe, bin ich Lichtjahre von zeitgemäßer Moderation entfernt. Ganz schlimm: abgelesene oder (noch schlimmer:) auswendig gelernte Referate, vorgetragen im artig artikulierten, monotonen Schulton. Nein, wenn man all diese Fehler nicht machen will, muss man sich zu allererst um sein Publikum kümmern.

nmz: Was heißt das?

Finkernagel: Das heißt, man muss das Problem erkennen, mit dem sich seit langem Konzertveranstalter, CD-Produzenten, Radiomacher und eben Moderatoren herumschlagen – die Heterogenität der Zielgruppe. Wir haben da den gut informierten Bildungsbürger mit raumgreifender Diskothek und etlichen Jahrgängen des Fono Forums, die Mitläufer aus dem Abonnement, dann die auf hohem Amateur-Niveau musizierenden Akademiker, vielleicht ein paar Profis – Musiker, Musiklehrer oder Musikwissenschaftler. Plus eine Handvoll mehr oder weniger zwangsverpflichteter Minderjähriger. Das Ganze mit einem hohen Altersdurchschnitt, der in Städten mit Musikhochschulen von Studenten hier und da gesenkt wird.

nmz: Dann ist also Spagat angesagt?

Finkernagel: Mitnichten. Es gibt einen schmerzfreien, wenn auch anstrengenden Weg, das heterogene Klassik-Publikum zu erreichen, und zwar durch radikale Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Die muss freilich erst einmal in sich selbst entdeckt, nicht selten erst entwickelt werden. Das heißt, der zur Moderation Verdammte muss sich fragen: Was interessiert mich selbst an diesem Werk, an diesem Komponisten, an dieser Epoche? Welche Haltung entwickle ich? Das erfordert unangenehme und permanente Arbeit, um das Hirn zu füttern. Lesen, lesen, lesen. Hören, hören, hören. Denken, denken, denken. Partituren und Literatur fressen. Und immer wieder über den Tellerrand der Musik schauen: Zeitgeschichte, Literatur, Philosophie, Malerei. Der professionelle Musikvermittler verfügt über ein eng geknüpftes Netz aus Querverbindungen. Er muss über sehr gute musikwissenschaftliche Kenntnisse verfügen. Weniger, um irgendwelche Theorien zum Sonatenhauptsatz wiederzukäuen. Sondern um in der Lage zu sein, selbst die relevanten Fragen an ein Werk zu stellen.

nmz: Nicht gerade ermutigend.

Finkernagel: Sie haben Recht. Erstaunlicherweise haben studierte ­Musiker damit oft große Probleme. Aber auch sie werden merken: Das permanente Nachdenken über Musik und Schaffen von Verbindungen zum „realen“ Leben macht großes Vergnügen und weitet den Blick für den Wert und die Bedeutung, die das eigene Musizieren haben kann. Am Schreibtisch in zwei Stunden google- und wikipedia-gestützte Moderationen zu entwerfen, ist dagegen öde Zeitverschwendung. Der persönliche Zugriff, die persönliche „Befragung“ eines Werkes, das Entdecken von Relevanz – das setzt jede Menge Endorphine frei ...

nmz: Kann das grundsätzlich Jeder?

Finkernagel: Natürlich nicht aus dem Stand heraus. Ob Persönlichkeit uns durch die Gnade der Geburt und die Gunst der Gene gegeben wird, ob sie bis zu einem gewissen Alter durch Bildung und Umfeld entwickelt wird oder ob wir zu jedem Zeitpunkt an unserer Persönlichkeit arbeiten können, lässt sich vermutlich nicht allgemeingültig beantworten. Der erste Schritt ist jedoch auch für diejenigen, die sich in dieser Hinsicht nicht vom Schicksal bevorteilt fühlen, eigentlich nicht schwer und verspricht – das sagen mir meine Erfahrungen in Detmold – häufig geradezu frappierende Erfolgserlebnisse.

nmz: Wie sieht dieser erste Schritt aus?

Finkernagel: Wir müssen uns zu allererst schlicht trauen, die eigene Persönlichkeit zuzulassen. Wenn ich Geiger bin, muss ich ja auch herausfinden, was ich durch mein Instrument über Beethoven und sein Violinkonzert zu sagen habe. Ich sollte nicht versuchen, mir die Ansichten Dritter zueigen zu machen – und seien sie noch so genial. Genauso sollte es sein, wenn ich als Moderator über Beethovens Violinkonzert spreche.

nmz: Dann kann ich mich also auf der Bühne ausleben?

Finkernagel: Schön wär’s. Das war nur der erste Schritt. Er läuft parallel mit der Festlegung dessen, was ich zu sagen habe. Erst dann ergibt es Sinn, sich dem „Wie“ zuzuwenden. Mut zur eigenen Persönlichkeit ist dabei keine Carte Blanche für Manierismen und Neurosen. Mut zur Persönlichkeit heißt, das eigene Tun und Sagen zu hinterfragen und auch mal die Ego-Dusche auszuschalten. Moderieren lernen kann man deswegen auch nicht nach dem Handbuch. Man benötigt den Coach, der das eigene Tun erbarmungslos spiegelt. Was glauben Sie, welchen Marottensalat ein durchschnittlich begabter, unausgebildeter Moderator in der Regel serviert? Und das auf allen Fel­dern: Gestik, Sprache, Körpersprache. Sprecherziehung und Bühnenpräsenz-Training sind deswegen wichtige Aspekte in der Musikvermittlungs-Ausbildung. Durch die gesamten zwei Jahre hindurch werden sie bei uns kontinuierlich in Kleingruppen trainiert. Und das Schöne ist: Die meisten, die den Schritt vom Notenpult zum Mikrofon gewagt haben, berichten im Nachhinein begeistert davon, wie viel ihnen diese Erfahrung im „anderen“, musikalischen Leben geholfen hat. Genauso übrigens wie die Seminare in Verhandlungsführung, die auch auf dem Stundenplan eines Musikvermittlers stehen, so wie wir ihn verstehen. Wenn die Grundlage gelegt ist, kann das Präsentations-„Gedöns“ dann aus dem Fokus entlassen werden, und man kann sich den Inhalten zuwenden. Es ist wie in der Geigen-Ausbildung: Sevcik-Skalen und anderes Technik-Knäckebrot sind sinnvoll. Die musikalische Aussage und Persönlichkeit ersetzen sie nicht. Dinge fürs Training, die dann aber beim eigentlichen Musikmachen wieder in den Hintergrund treten sollten.

nmz: Sie sprachen eingangs von der Schimäre des brav abgelesenen Referates. Weswegen stellen sich Ihnen dabei die Nackenhaare auf?

Finkernagel: Wir sollten doch beherzte Anwälte eines ureigenen Anliegens sein. Wir sind überzeugt, dass Musik einen Beitrag in unserem Leben leisten kann, der mehr ist als nur das gelegentliche Kuschel- und Gänsehauterlebnis im Konzert. Solche ­Dimensionen zu erkennen, zu vermitteln, ist die edelste Aufgabe eines Musikvermittlers. Überzeugung tragende Unmittelbarkeit erreiche ich aber nur in freier Rede. Indem ich sprechend denke und denkend spreche. Wir sollten nicht einen Text, sondern Gedanken frei formulieren. Nur so erziele ich Begeisterung, die in eine Hinhörhaltung mündet: Sie weckt das Interesse daran, mit offenen Ohren, quasi auf der Stuhlkante einem Werk zu lauschen und sich mit den Fragestellungen zu beschäftigen, die Musik artikulieren kann – wie ein Roman, ein Gedicht oder die Bildende Kunst.

nmz: Die musikalische Grundversorgung unserer Gesellschaft verspürt in den letzten Jahren einen leichten Rückenwind von Seiten der Politik – zumindest in Sonntagsreden. Wird dadurch die Tätigkeit der Musikvermittler eines Tages überflüssig?

Finkernagel: Selbst wenn es bei uns optimal liefe, zum Beispiel in Form von durchgehendem, anspruchsvol­lem Musikunterricht, vom Kinder­garten bis zum Abitur, behielte Musikvermittlung und das, was gemeinhin in der Orchester- und Theaterlandschaft unter „Education“ läuft, im 21. Jahrhundert eine wichtige ­Rolle für das Individuum und die Gesellschaft. Wie können wir sonst deutlich machen, worin die Kraft und Qualität unserer sogenannten westlichen Zivilisa­tion und Kultur liegt? Unsere Grundrechte, unsere mühsam er­worbene demokratische Grundordnung, unsere christlich-jüdischen Traditionen, Auf­klärung und Humanismus mögen starke Argumente sein. Wenn wir aber deutlich machen wollen, was uns und unsere Kultur im Innersten ausmacht und zusammenhält, dann müssen wir auch über unsere großen Kunstwerke sprechen. In jedem Menschen – auch in dem, der den Namen Wagner ­ausschließlich mit Tiefkühlpizza verbindet – klingt ein Tristan-Akkord. Ihn „hörbar“ machen, seine Bedeutung fürs Individuum plausibel machen, darum geht es in moderner Musikvermittlung. Das gleiche gilt für jede Schein-Reprise bei Haydn, Mozarts Umgang mit Ökonomie oder Schönbergs Traditions-Verständnis. Musikvermittlung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst ver­schuldeten musikalischen Unmündigkeit.

nmz: Klingt teleologisch.

Finkernagel: Ist es auch. Nahezu theologisch. Für den Musikvermittler gilt: Er sei nicht Hohepriester, sondern Evangelist.

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