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Wo sich Bach und Korngold Gute Nacht sagen

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Die Landesakademie Schlitz war Gastgeber des 42. Kammermusikkurses ”Jugend musiziert“
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Ferienzeit in Deutschland – das ist die Zeit zum Faulenzen, Lesen, Reisen, aber auch zum Üben, Partituren studieren, Noten schreiben und Konzertieren. Deutschlands Schülerinnen und Schüler wählen nämlich statt Schwimmbad und Ibiza überraschend zahlreich musikalische Fortbildungen, wie den Deutschen Kammermusikkurs ”Jugend musiziert“.

Kurse für Kammermusik gibt es natürlich das ganze Jahr über, die Sommerferien sind jedoch besonders für Nachwuchsmusiker im Schüleralter die beste Zeit, denn dann ist ein ausgedehnter Kursbesuch ohne die Einbuße von Schulstunden möglich.

Allein das Deutsche Musikinformationszentrum (MIZ) verzeichnet auf seiner Website deutschlandweit im Zeitraum von Juni bis September rund 100 Kammermusikkurse für Instrumentalisten, Vokalisten, Profis, Anfänger und Fortgeschrittene. In zahlreichen Fällen finden die Kurse in einer Musikakademie statt. Das hat seinen guten Grund, denn benötigt werden nicht nur geeignete Räumlichkeiten für konzentriertes Arbeiten, darüber hinaus erfordern Kammermusikkurse eine anspruchsvolle Logistik, beginnend beim Notenständer, bis hin zu seltenem Instrumentarium, einer gut sortierten Notenbibliothek und der Möglichkeit, die eng bemessene Freizeit in erholsamer Atmosphäre verbringen zu können.

Der Arbeitskreis der Musikbildungsstätten in Deutschland hat im Jahr 2005 eine farbige Broschüre herausgegeben, in der die Ausstattung und baulichen Besonderheiten der 23 Musikakademien in Wort und (Luft-)Bild beschrieben sind. Die ehrwürdigen Schlösser und Burgen, in denen die Akademien zum großen Teil untergebracht sind, bieten mit ihren Parks den erwünschten Erholungswert, die Innenhöfe, Wandelhallen und Repräsentationssäle das angemessene Ambiente für festliche Konzertabende.

Ehrwürdiges Schloss mit neuer Aufgabe

Die jüngste und gleichzeitig Hessens erste Musikakademie wurde im Jahr 2003 im Schloss Hallenburg im Städtchen Schlitz eingerichtet. Das Schloss liegt in einem weitläufigen Park, vom Flüsschen Schlitz begrenzt. Bereits im Frühjahr 2001 hatten die Restaurierungs- und Umbauarbeiten begonnen, inzwischen ist das Schloss komplett als Musikbildungsstätte nutzbar. Aus dem gegenüberliegenden Ökonomiegebäude ist ein eindrucksvoller 400 Quadratmeter großer Konzertsaal entstanden, der rund 600 Zuhörern Platz bietet.

Noch stapelt sich auf dem platanenbestanden Platz vor der Schlosstür das Baugerät, die Bauarbeiten für das Bettenhaus sind noch nicht vollständig abgeschlossen. Der nahende 42. Kammermusikkurs ”Jugend musiziert“ war jedoch für den Hausherren, den Hessischen Landesmusikrat, Herausforderung und Vergnügen gleichermaßen, das Bettenhaus seiner Bestimmung zu übergeben. 54 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 13 Bundesländern und 2 Deutschen Auslandsschulen, allesamt Preisträger des Bundeswettbewerbs ”Jugend musiziert“, reisten am 7. August 2006 an und weihten das Herrenhaus mit der angegliederten ehemaligen Orangerie ein.

Raum für Werke aus vier Jahrhunderten

Die künstlerische Leitung des 42. Kammermusikkurses lag in den Händen Hartmut Gerholds, Professor an der German School of Music Weimar at Kangnam University Yongin in Korea für die Fächer Flöte und Kammermusik. Dem künstlerischen Leiter obliegt auch die Auswahl der kammermusikalischen Werke, die im Laufe des 14-tägigen Kurses bis zur Konzertreife erarbeitet werden sollen. Den Jugendlichen, die zur Teilnahme am Kammermusikkurs zugelassen sind, werden die Noten im Vorfeld zum Üben zugeschickt. 34 Werke aus 4 Jahrhunderten bildeten schließlich das musikalische Gerüst des Kurses, darunter Trios von Johann Christoph Friedrich Bach, Robert Kahn oder Jacques Ibert, Quartette von Werner Egk oder Erich Wolfgang Korngold, bis hin zum „Septett militaire“ von Johann Nepomuk Hummel und einem Oktett der Komponistin Dorothée Hahne, die als Dozentin und „composer in residence“ eingeladen worden war. Die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Kompositionen und der Dialog mit ihrem Schöpfer gehört seit vielen Jahren zur festen Einrichtung des Kammermusikkurses. Dies ist der „Pro musica viva Maria Strecker-Daelen Stiftung“ zu verdanken, die sich seit Anfang der 90er-Jahre explizit für die Förderung zeitgenössischer Musik im Rahmen des Kammermusikkurses ”Jugend musiziert“ einsetzt. Die Liste der Uraufführungen ist lang, genannt seien hier stellvertretend Jörg Widmanns „Fieberphantasie“ oder Albrecht Gürschings Quintett „Objet retrouvé“.

Ausgewählt statt angemeldet

Musikerinnen und Musiker, die sich für die Teilnahme am Kammermusikkurs interessieren, können ihr Interesse zwar bei der Bundesgeschäftsstelle ”Jugend musiziert“ anmelden, zunächst ist die Teilnahme jedoch den Bundespreisträgerinnen und -preisträgern ”Jugend musiziert“ vorbehalten, die zu dieser ältesten Fördereinrichtung des Deutschen Musikrates eingeladen werden. Bestehende Ensembles werden dabei ebenso berücksichtigt wie einzelne Instrumentalisten. Die Geschichte des Kammermusikkurses ist auch eine Geschichte der Ensemblegründungen: Ob man sich außerhalb des dichten Stundenplans zum gemeinsamen Musizieren zusammen gefunden hatte oder ein Ensemble durch Dozentenhand entstanden war; immer wieder beschlossen Musikerinnen und Musiker aus ihrer ad hoc-Gemeinschaft ein festes Ensemble zu machen.

Zu den Vätern und Müttern des Erfolgs gehören auch die Dozenten des Kammermusikkurses. Sie sind nicht nur renommierte und international gefragte Künstlerinnen und Künstler. Es eint sie auch die pädagogische Behutsamkeit im Umgang mit Heranwachsenden, deren Ehrgeiz und Sehnsucht es ist, die eigenen Grenzen auszuloten – nicht nur in musikalischer Hinsicht.

Autorität und Schlaflosigkeit

Bewunderung verdienen die Dozen-ten und Künstlerpersönlichkeiten des Kursjahres 2006 – Reinhold Wolf, 1. Konzertmeister im Orchester der Deutschen Oper Berlin, Joachim Greiner, Professor für Viola und Kammermusik an der Universität der Künste Berlin, Werner Klemm, Solocellist der Kammersymphonie Berlin und des Deutschen Kammerorchesters Berlin, Albrecht Holder, Professor für Fagott an der Musikhochschule Würzburg, Manfred Lindner, Professor für Klarinette an der Folkwang Musikhochschule Essen und Eike Wernhard, Professor für Klavier an der Musikhochschule Frankfurt. Denn sie vermochten die Nachwuchsmusikerinnen und -musiker zu wahren Höchstleistungen zu motivieren, die die einstudierten Werke in vier Konzerten, zwei davon öffentlich, zur Aufführung brachten. Übrigens zum Teil durchaus vor dem Hintergrund chronischer Schlafverweigerung ihrer Schützlinge, denn nichts war kostbarer als die Zeit, die man mit so vielen Gleichgesinnten verbrachte.
Hohes künstlerisches Können muss hier Hand in Hand mit Gelassenheit und natürlicher Autorität gehen, damit am Ende des Kurses stolze Teilnehmer stehen, die im Bewusstsein, etwas großes geleistet zu haben, nach Hause fahren. In dem Zusammenhang und im Rahmen einer Abschlussbesprechung bat Hartmut Gerhold auch um kritische Beurteilung der Akademieräumlichkeiten: sie wurden unisono für gut befunden.

Neue Erkenntnisse im Reisegepäck

Viel Lob wurde geäußert, die Organisation betreffend ebenso wie die Unterbringung in der Landesmusikakademie Schlitz. Vom Lernerfolg sprachen alle Beteiligten: die Jugendlichen hatten neue Werke verschiedener Epochen kennen gelernt, sie hatten sich interessiert und intensiv mit den Werken Dorothée Hahnes auseinandergesetzt, und damit auch mit elektronischer Musik, elektronischer Klangerzeugung und akustischen Effekten.

Für sich und das eigene Lernen zogen die Dozenten ebenfalls eine positive Bilanz und beschrieben drei Aspekte. Erstens die bereits aus früheren Kursen bekannte Erfahrung, wie sich individuelle Musikerpersönlichkeiten im Laufe der Kurstage zu einer vertrauensvoll und effizient arbeitenden Gruppe verwandeln.

Zweitens der Wille, Konsens in der Gruppe zu erreichen. Denn von den eingangs erwähnten 34 Werken führten eben 4 nicht zur Aufführungsreife. Dies zu erkennen sei nicht nur Sache des Dozenten, sondern der Musiker selbst, die zu einem kritischen Urteil über ihren eigenen künstlerischen Stand kommen und dabei die Erfahrung der künstlerischen Enttäuschung machen und verarbeiten sollen.

Drittens sei von den Dozenten nicht nur Literaturkenntnis gefordert, um die Kursteilnehmer adäquat zu beschäftigen: Gelernt werden müsse auch das Lehren, die Vermittlung von Musik. So geht auch der gereifte, erwachsene Dozent mit Lernerfahrung vom Ort des Kammermusikkurses …

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