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Ein breites schlossähnliches Gebäude um 1900. Die Mitte der Fassade ist nicht zu sehen, sie ist von einer schwarzen Folie überspannt.
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„Die Qualität der Lehre leidet“

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Berlin bringt seine Musikhochschulen ans Existenzminimum
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Anfang 2024 verpflichtet sich das Land Berlin trotz finanzieller Bedenken in mehreren Hochschulverträgen dazu, die Berliner Universitäten und Hochschulen bis 2028 jährlich anwachsend zu bezuschussen, damit auch die absehbaren Mehrkos­ten der Institutionen abgedeckt sind. Ende 2024 beschließt die Politik jedoch, die Verträge nicht einzuhalten – die erst erhöhten Zuschüsse fallen plötzlich um jeweils acht Prozent geschrumpft aus. Für die Musikhochschulen ist der Ausgang offen. Sicher ist nur: die erst letztes Jahr unterzeichneten Summen sehen die Berliner Universitäten und Hochschulen nicht. Es geht an die Substanz.

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Am Steinplatz steht das Hauptgebäude der Universität der Künste Berlin (UdK) – eigentlich ein imposanter Prachtbau aus dem Ende der Belle Époque. Die Aussicht ist hier aktuell aber vor allem dunkel: Aus Protest hat die Studierendeninitiative „Bildung braucht Budget“ im Frühjahr den Großteil der Gebäudefront schwarz verhüllt. Warum erklären sie im zugehörigen Statement: „Wir dulden keinen akademischen Betrieb, in dem (...) die zwingend notwendige Besetzung von Professuren ausbleibt und professorale Lehre durch prekär bezahlte Lehraufträge besetzt wird, auslaufende Verträge (...) nicht verlängert werden und die Arbeitszeit studentischer Hilfskräfte um ein Viertel reduziert werden muss, oder diese gar zur Kündigung gebeten werden.“

Der Ursprung dieser Lage findet sich in den Wissenschafts-Kürzungen des Berliner Senats. Wenn diese jeweils mit acht Prozent auf die Institutionen verteilt werden, wird die UdK Berlin dieses Jahr dadurch nicht wie vereinbart rund 99 Millionen, sondern weniger als 91 Millionen Euro Zuschuss erhalten. Für die deutlich kleinere Hochschule für Musik Hanns Eisler (kurz „Hanns Eisler“) bleiben rund 16,9 Millionen, statt der etwa 18,3 Millionen Euro, die für dieses Jahr vertraglich festgeschriebenen sind. Nach Angaben der Hochschulen sind die regulär laufenden Kosten in diesem Jahr durch die Zuschüsse nicht gedeckt.

Es muss also kurzfristig gespart werden, dabei machen Andrea Tober, die Rektorin der Hanns Eisler, und der Präsident der UdK Berlin Markus Hilgert gegenüber der nmz deutlich, dass die kleinen künstlerischen Hochschulen, beziehungsweise Universitäten, dazu kaum in der Lage sind.
Ihnen fehle es, so berichtet Hilgert, beispielsweise an den Rücklagen, auf die größere Universitäten in solchen Fällen zurückgreifen könnten. Auch lassen sich die vielen individuellen und im Idealfall ausgelas­teten Fachbereiche künstlerischer Studienangebote oft nicht weiter verkleinern.
Wenn dann beispielsweise eine Instrumental-professur oder ein Lehrauftrag wegfällt, können die Studierenden nicht einfach auf andere Seminar- oder Vorlesungsangebote ausweichen. Das Gleiche gilt im Hinblick auf Instrumente oder Equipment. Auch ergibt es natürlich keinen Sinn, Lehrkräfte und Instrumentarium sicher zu stellen, wenn man dafür an Unterrichts- und Übe­räumen sparen muss. In allen drei Fällen können die Musiker:innen vielleicht ihren Student:innen-Status behalten, „Studierende“ wären sie aber nicht.

Die Problematik ist bekannt: Die Politik, so berichtet Andrea Tober, habe ihnen als Hochschulgruppe zugesichert, diese strukturellen Besonderheiten in den von Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) angestrebten Verhandlungen zu geänderten Hochschulverträgen zu berücksichtigen. Doch die Zeit, auf die konkreten Auswirkungen dieses Versprechens zu warten, haben Hochschulen schlicht nicht: Die Verträge sind bereits gebrochen, ein „Business as usual“ ist aktuell nicht bezahlbar.

Das äußert sich an der UdK Berlin mit einer Haushaltssperre und einem Einstellungsstopp. „Das heißt, sämtliche Stellen, die frei werden, sei es in der Verwaltung, sei es im sogenannten akademischen Mittelbau oder sei es im Bereich der Professuren, werden nicht neu besetzt.“
Das Studienangebot lässt sich aber nicht einfach an jede vakant werdende Stellen anpassen. Um den Bedarf irgendwie zu decken, greift die UdK Berlin nach Aussage von Hilgert derzeit zu befristeten Verträgen. Trotzdem komme es dabei zu deutlichen Betreuungsdefiziten: „Wir haben diese Lehraufträge und Gastprofessuren während der vorlesungsfreien Zeit nicht zur Verfügung“, erklärt Hilgert, während die Impulse der Fachklassen aber oft von Vorlesungszeiten unabhängig und deren Inhalte Semester-übergreifend strukturiert seien. Hier spart die UdK zwar bereits jetzt, das könne laut Hilgert aber aus einem einfach Grund nicht als „Strategie“ gelten: „Die Qualität der Lehre leidet.“

Auch an der deutlich kleineren Hochschule für Musik Hanns Eisler sieht Rektorin Andrea Tober keine Chance, die zunächst angepeilte Kürzung von rund 1,5 Millionen Euro durch kurzfristige Anpassungen auffangen zu können. „Zumal wir künstlerischen Hochschulen aus dem ehemaligen Ostberlin schon in den 2.000er-Jahren wahnsinnig geschrumpft worden sind“, erläutert Tober und verweist auf strukturelle Veränderungen, bei denen einige Studiengänge und seitdem fast die Hälfte der einstigen Studienplätze abgebaut worden seien. Auch ein großer Teil der Verwaltung ist mittlerweile in hochschul-übergreifenden ServiceCentern organisiert.

An der Hanns Eisler sieht Tober deswegen keinen Spielraum für Kürzungen beim Personal. Also fehlt es an anderer Stelle: „Bei den Ausgaben für Projekte haben wir etwas auf die Bremse treten müssen.“ Laut Tober besteht Hoffnung, die aktuell fehlenden Projektgelder einmalig mit Spenden teilweise auszugleichen. Eine dauerhafte Lösung sei das aber nicht.

Um die zu finden, möchte Tober trotz der grundsätzlich niedrig eingeschätzten Einsparpotenziale im Dialog mit der Hochschulgemeinschaft untersuchen, wo die Hanns Eisler ihr Profil schärfen und ihre Ressourcen effizienter einsetzen kann. Konkrete Pläne habe Tober aber nicht, dafür fehle es an verlässlichen Rahmenbedingungen aus der Politik. Ein vorschnelles und nicht nachhaltiges Einsparen möchte sie in jedem Fall verhindern.
Auch Hilgert hält eine Profilschärfung für die beste Strategie und teilt Tobers Reformbereitschaft. Der Weg, den er einschlägt, ist aber ein anderer. Für die UdK Berlin hat er ein konkretes Sparziel formuliert: Mit 15 Prozent weniger soll die Universität langfristig auskommen. Um die dafür notwendigen Änderungen in Lehre und Wissenschaft sinnvoll zu gestalten, möchte Hilgert die Erfahrungen der Fachbereichen und Instituten nutzen: Ihnen traut er zu, treffsichere Einsparungsvorschläge machen zu können. 

Trotz ihrer Unterschiede lassen sich die beiden Führungsstile auf das gleiche Minimalziel herunterbrechen: handlungsfähige Planungssicherheit. Just um die zu gewährleisten, hat man in Berlin einst begonnen die Absprachen zwischen Politik und Wissenschaft vertraglich festzuhalten. Werden verbindliche Absprachen nicht eingehalten, kann man klagen.

Die Technische Universität Berlin plant, diesen Weg zu gehen. Deren Präsidentin Geraldine Rauch bemerkte gegenüber dem Tagesspiegel nüchtern: „Die Juristen schätzen die Erfolgsaussichten als sehr hoch ein. Verträge müssen eingehalten werden.“

Auch die Musikhochschulen haben den Rechtsweg geprüft. „Eine juristische Klärung wäre eigentlich im Sinne aller, um das Instrument des Hochschulvertrags zu heilen“, findet Tober, gibt aber zu bedenken, dass man dabei auch mögliche politische und gesellschaftliche Auswirkungen abwägen müsse. Gleichzeitig verbucht sie die letzten Signale der Senatsverwaltung als verhalten positiv. Kürzlich sei ein Modell vorgestellt worden, das zwar die bedrohliche Lage der Hanns Eisler nicht langfristig entschärfe, aber bei der Gestaltung der Kürzungen zumindest für 2025 die Sparproblematik der Hochschulen etwas anerkenne. Markus Hilgert schildert Ähnliches und positioniert sich auch deshalb derzeit klar gegen eine Klage: „Wir befinden uns im Moment in sehr konstruktiven Sondierungsgesprächen. Und wenn wir das Gefühl haben, in diesen Gesprächen für unsere Institution ein besseres Ergebnis zu erzielen, als wenn wir eine Klage anstreben, dann bleiben wir natürlich dabei.“

Die Situation hinterlässt auch abseits der Kürzungen ihre Spuren: „Natürlich gibt es große Sorgen im Kollegium und in der Studierendenschaft“, be­obachtet Tober an ihrer Hochschule. Die Hochschulangehörigen zeigen sich aber widerständig und engagiert: Immer wieder finden teils musikalische Protestaktionen statt. Auch an der UdK Berlin sieht Markus Hilgert ein Bewusstsein dafür, dass extreme Schwierigkeiten bevorstehen. Den meisten sei klar, dass es jetzt vor allem darum gehe, mit der neuen Situation konstruktiv umzugehen, nicht zuletzt um die Hochschule in ihrer Gesamtheit dauerhaft zu sichern. Sein Eindruck: Die Allgemeinheit begegne dieser Perspektive „erstaunlich gefasst“.

Und gefasst machen müssen sich die Angehörigen der beiden Hochschulen. Neben den individuellen Studienplätze und -gängen geht es schließlich um nicht weniger als die Frage, ob Berlin das Nötige tut, um sich faktisch zum Erhalt der beiden Hochschulen als städtische Kulturzentren und Studienorte von internationalem Rang zu bekennen.

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