Body
Hausmusik im Keller - Musikverbände beklagen altmodisches Image des gemeinsamen Musizierens - Tag der Hausmusik am Donnerstag
Berlin/Bitterfeld-Wolfen (ddp-lsa). Das Gitarrenspiel hat sich Christian Kölsch selbst beigebracht. Noten lesen kann der 27-Jährige zwar nicht. Dennoch ist er es, der die Songs für seine Deutschrock-Band K.N.A.R.F schreibt. Im Raum Bitterfeld-Wolfen, wo die vier jungen Musiker aufgewachsen sind, haben sie ihre kleine, aber feine Fangemeinde. Und das seit mittlerweile neun Jahren. Kölsch und seine Freunde sind - man mag es kaum glauben - Hausmusiker im modernen Sinne. Längst umfasst dieser Begriff nicht mehr nur das Musizieren mit Geige und Klavier im engen Familienkreis. Auch Bands wie K.N.A.R.F. gehören als aktive Musiker dazu. Der Tag der Hausmusik am Donnerstag (22. November) ist daher auch ihr Tag.
Die deutschen Musikverbände nutzen diesen Anlass, um auf eine Misere hinzuweisen: das immer noch viel zu geringe Interesse der Deutschen am Musizieren. Schon von frühester Kindheit an werde die musikalische Erziehung vernachlässigt, klagt die Präsidentin des Deutschen Musikverleger-Verbandes (DMV) in Hamburg, Dagmar Sikorski. Erzieherinnen in Kindertagesstätten könnten häufig gar nicht singen, geschweige denn ein Instrument spielen. Auch die Qualität des Musikunterrichts in den Grundschulen, wo das Fach zu über 80 Prozent von fachfremden Lehrern unterrichtet wird, müsse sich dringend verbessern.
«Wenn ein Fach ausfällt, dann ist es Musik», sagt auch Arthur Knopp, der Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Musikfachgeschäfte (GDM) in Saarbrücken. In vielen Elternhäusern werde das Thema Musik vernachlässigt. Nur acht Prozent der Bevölkerung befasse sich aktiv mit Musik, weiß er. «Nur ein geringer Prozentsatz der Eltern gibt sein Kind in die musikalische Früherziehung», bestätigt auch Heinz Stroh, der Geschäftsführer der beiden Musikfachverbände DMV und GDM.
Auch Kölsch stammt aus keiner musikalischen Familie. «Ich habe aber schon als Kind gerne gesungen und oft in der Plattensammlung meiner Eltern gewühlt», erzählt der junge Hobbymusiker. Dabei hätten ihn Songs von Bruce Springsteen und den Ärzten besonders nachhaltig beeindruckt. Bis heute beeinflusse die Musik der Ärzte auch die seiner Band. «Ich denke mir eine Melodie aus und lege die Akkorde drunter», berichtet Kölsch, der mit seiner Band ein- bis zweimal pro Woche im eigenen Tonstudio des Schlagzeugers in Bitterfeld probt.
Am Wochenende tritt K.N.A.R.F. dann in Clubs oder bei diversen Veranstaltungen in der Region auf. Anfangs habe er mit seinen Freunden im Gymnasium in Bitterfeld geprobt. «Das war aber ziemlich schwierig, weil wir nur nach der Schule und in den Ferien gar nicht in den Proberaum konnten», erzählt der junge Musiker. Später hätten sie in einem Jugendklub geübt, in dem es wegen des Krachs Ärger mit den Anwohnern gab. Trotz dieser Hürden ist K.N.A.R.F. drangeblieben.
Sikorski ist von Geschichten junger Musiker wie dieser begeistert. «Wir müssen weg aus dieser verstaubten Ecke», sagt sie und meint damit das altmodische Image der Hausmusik. «Auch die jugendliche Band, die im Keller probt, gehört dazu. Der Begriff Hausmusik bezieht sich nicht nur auf die sogenannte ernste Musik, sondern auch die Pop- oder Blasmusik und das gemeinsame Singen», erklärt die Verbandschefin. Aktives Musizieren oder Singen im Ensemble fördere unter anderem die Konzentrations- und Teamfähigkeit des Menschen schon in sehr jungen Jahren. Dies hätten Studien belegt.
Trotz dieser eher ernüchternden Bestandsaufnahme zum Tag der Hausmusik sehen die Fachleute einen Hoffnungsschimmer. Sikorski spricht sogar von einer Aufbruchstimmung für das aktive Musizieren und beobachtet eine bessere Talentförderung auf dem deutschen Musikmarkt. Knopp berichtet von einer ganz allmählich steigenden Nachfrage nach Noten und Musikbüchern.
Kölsch und seine Freunde haben ihren kleinen Beitrag zu diesem Trend geleistet. Alles, was sie bei ihren Auftritten verdienen, wird in die Ausrüstung der Band gesteckt und nicht etwa auf wilden Partys verprasst, berichtet er. «Für mich ist die Musik ein Hobby, das mir sehr, sehr viel Spaß macht», sagt der studierte Wirtschaftsrechtler, der gerade auf Jobsuche ist und nicht zuletzt wegen K.N.A.R.F. gern in seiner Heimat bleiben würde.
Susann Huster