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Alfred Einstein am Smith College. Foto: Smith College Archives
Alfred Einstein am Smith College. Foto: Smith College Archives
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Keine Sehnsucht nach dem „Vierten Reich“

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Erst im amerikanischen Exil war Alfred Einstein als Forscher frei. Zum 125. Geburtstag des Musikwissenschaftlers
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Für den Juden Alfred Einstein (1880–1952) begann die berufliche Diskriminierung bereits dreißig Jahre vor dem Dritten Reich. Sein Doktorvater Adolf Sandberger verweigerte ihm 1903 die Habilitation auf Grund antisemitischer Ressentiments – zumindest war Einstein davon lebenslang überzeugt. Da die Universitäten ihre Türen vor ihm verschlossen hielten, machte er sich in seiner Freizeit als Privatgelehrter einen Namen, neben seinen „Brotberufen“ als Herausgeber, Lektor und Musikkritiker. Im Jahr 1933, mit dem Verlust des Herausgeberpostens bei der „Zeitschrift für Musikwissenschaft“ und der Redaktionsstelle beim „Berliner Tageblatt“, das mit Einstein den wohl einflussreichsten deutschsprachigen Musikkritiker der Zeit aufgab, kehrte er Deutschland den Rücken. Nach Stationen in England, Italien und der Schweiz zog es ihn in die USA, denn Einstein fühlte sich in keinem europäischen Land mehr sicher. Am 30. Dezember jährt sich sein 125. Geburtstag und noch immer ist Alfred Einstein in der Musikwissenschaft eine feste Größe.

Am 5. Januar 1939 kommen Alfred Einstein, seine Frau Hertha, Schwester Bertha und Tochter Eva in New York an. Voller Hoffnung blickt Einstein auf Amerika, über das er im selben Jahr schreiben wird: „[...] so lange dieser Krieg, ein Krieg um die Freiheit des Geistes, dauert, so lange ist Amerika der einzige Zufluchtsort dieser Freiheit.“ („Krieg, Musik, Nationalismus und Toleranz“, in: „Nationale und universale Musik“) Während die meisten seiner Fachkollegen in dieser Zeit nur schwer eine Anstellung an einer amerikanischen Hochschule erlangen können, erhält Einstein bereits drei Monate nach seiner Ankunft eine Anfrage des Smith College, einer renommierten Frauenuniversität in Northampton, Massachusetts.

Späte Anerkennung

Seine wissenschaftliche Reputation ist schon lange beachtlich. So hatte sogar noch 1937 die Reichsmusikkammer eine Sondergenehmigung erlassen, um die Publikation des von Einstein überarbeiteten Köchelverzeichnisses zu ermöglichen: Zu wichtig war offenbar diese Arbeit, als dass das Dritte Reich darauf hätte verzichten wollen. Doch mag Einsteins Name in Fachkreisen noch so groß sein – erst in Amerika erhält er die lang ersehnte und längst verdiente Vollanstellung an einer Universität. So wird das Smith College von 1939 bis zu seiner Emeritierung 1950 Stätte seines Wirkens. Die Unterrichtsverpflichtung erweist sich als äußerst gering, so dass Einstein sich neben Gastvorlesungen an Universitäten wie Harvard, Yale und Columbia vor allem seiner Forschung widmen kann.

Hat Einstein vorher hauptsächlich Zeitschriftenartikel veröffentlicht, sind es jetzt Bücher, die aus der Materialfülle teilweise jahrzehntelanger Recherchen und dem neu gewonnenen Freiraum am Smith College erwachsen. Während der zwölf Jahre in Amerika erscheinen: Briefe deutscher Musiker (1939), Greatness in Music (1941), Mozart. His Character, His Work (1945), Music in the Romantic Era (1947), (das dreibändige) The Italian Madrigal (1949) und Schubert. A Musical Portrait (1951). Vor allem für „Mozart, sein Charakter, sein Werk“ (deutsch 1947) ist er auch heute noch weltbekannt.

Ins Paradies vertrieben

Einstein fühlt sich wohl in Amerika. Über das Dritte Reich, den Krieg und seine Vertreibung ist er höchst verbittert, doch wird er kein schlechtes Wort über die neue Heimat verlieren, die ihn 1945 zu ihrem Staatsbürger erklärt. Seine guten Arbeits- und Lebensbedingungen lassen ihn in einem Brief vom August 1948 an den österreichischen Komponisten und Pianisten Ernst Toch von der „Vertreibung ins Paradies“ sprechen und gegenüber seinem Freund, dem Komponisten und Musikkritiker Erwin Kroll, merkt er im Dezember 1947 scherzhaft an, im Grunde könne er seinem Führer nicht dankbar genug sein.

Der Blick zurück schmerzt jedoch sehr. Gegen Ende des Krieges spricht Einstein von Resignation, muss er doch erkennen, dass seine alte Heimat, so wie er sie kannte und liebte, für immer verloren ist. Am 4. Dezember 1944 schreibt er an den Dirigenten Fritz Stiedry: „Nun, mir kann sozusagen nichts mehr passieren, da ich vollkommen resigniert habe: ich wünsche die Vernichtung der Nazi; und ich wünsche den Sieg der Allies nur soweit, als er eben mit dieser Niederlage verbunden ist. Mit Europa ist es zu Ende, die Zerstörung aller Werte kann nie mehr gutgemacht werden. Die nach uns werden unsereinen, ich meine unsere Generation, die noch die paar Jahrzehnte vor 1914 gekannt hat, betrachten wie die Ueberlebenden aus dem ancien regime, halb mit Mitleid, Ironie und Neid.“

Einstein stattet zwischen seiner Ankunft in den USA 1939 und seinem Tod 1952 Europa nicht einen Besuch ab. Seine Pläne für eine Reise nach Italien und in die Schweiz muss er 1951 wegen seines Herzleidens aufgeben, doch nach Deutschland oder Österreich würde er ohnehin keinen Fuß mehr setzen. Seine Bücher veröffentlicht er zunächst auf Englisch, in der deutschen Fassung dann bei schweizerischen, holländischen oder schwedischen Verlagen. 1948 tritt er aus der Internationalen Gesellschaft für zeitgenössische Musik aus, als diese die deutsche Sektion wieder aufnimmt. Er räumt ein, dass er zwar nichts gegen die Integration der Deutschen habe, aber dass er eben nicht dabei sein wolle.

Eine Einladung von der Freien Universität Berlin lehnt er 1949 ab, weil er keine Sehnsucht nach „einem Besuch im Vierten Reich“ verspüre. Und als ihm im selben Jahr von der Internationalen Stiftung Mozarteum die Goldene Mozart Medaille verliehen wird, schickt er diese nach Salzburg zurück. In einem Brief an die Witwe seines Freundes und Fachkollegen Ernst Kurth begründet er seine Ablehnung der Ehrung: „Ich hoffe, Sie halten mich nicht für einen eingebildeten Narren, wenn ich sage, dass in Salzburg niemand ist, der in der Lage wäre mich zu ehren; und dass ich keine Auszeichnung von Leuten annehmen kann, die zwischen 1938 und 1945 nicht nur verhindert gewesen wären, an mich zu denken, sondern schon von selbst nicht an mich gedacht hätten.“

Englische Fuchsjagd

Aber auch von England, das ihm nach seiner Emigration aus Deutschland 1933 erste Zufluchtsstätte war, will sich Einstein distanzieren, obschon er sich dort vieler Freunde sicher ist und sich mit Dankbarkeit an die ihm entgegengebrachte Gastfreundschaft erinnert. Als im Sommer 1948 die englische Zeitschrift „The Monthly Musical Record“ eine im Ganzen eher unerfreuliche Besprechung seines Buches „Größe in der Musik“ veröffentlicht, reagiert er ungehalten. Vorgeblich jedoch nicht wegen der negativen Äußerungen über sein Werk, sondern weil der Verfasser, Norman Suckling, ihn als „typisch deutsch“ einstuft. Daraufhin erklärt Einstein gegenüber dem Herausgeber der Zeitschrift, Eric Walter Blom, seine Beziehungen zur englischen Publizistik für beendet und führt aus: „Nun bin ich es einfach müde, mir meine deutsche Abkunft vorwerfen zu lassen. Ich werde manchmal auch in der americanischen Presse der ‚German scholar‘ genannt, aber gewöhnlich (es gibt Ausnahmen auch hier) geschieht es ohne ‚dolus‘; denn wohin käme dieses Land, wenn es nur die Nachkommen der Leute gelten lassen wollte, die auf der Mayflower herübergeschwommen sind./In England aber [...] ist der ‚German scholar‘ als eine Detraction gemeint.“ Die Schlussformel seines Briefes spricht Bände: „Alles Herzliche wie immer, Ihr alter (deutscher? jüdischer? Bindestrich-Americaner?) Alfred Einstein“.

In einem zweiten Brief an Blom vom Oktober 1948 wird noch deutlicher, wieso Einstein meint, England den Rücken kehren zu müssen: „Es ist leider eine Tatsache, dass gewesene Nazis in der britischen Oeffentlichkeit viel besser behandelt werden, als ‚exiles‘, sagen wir der Staatsrat und philharmonische Standartenführer Furtwängler, oder Herr Friedrich Blume, der es verstanden hat sich in den Geruch eines heroischen Gegners der ‚Bewegung‘ zu setzen [...] Ich ziehe die Folgerungen. Es wird zwar behauptet, dass bei einer englischen Fuchsjagd auch der Fuchs sich seiner sportlichen Rolle bewusst ist, und sich in diesem Bewusstsein von den Hunden mit Wonne zerfleischen lässt; aber ich zum mindesten bin kein englischer Fuchs.“

Entnazifizierungen

Seine Verbitterung über die Rehabilitierung „gewesener Nazis“ treibt Einstein in den Nachkriegsjahren in besonderem Maße um. Mit einer ans pathologisch grenzenden Gründlichkeit verfolgt er die Entnazifizierungsprozesse von Musikern und Fachkollegen und wird nicht müde, Freunden sein Leid zu klagen. Erwin Kroll schreibt er im August 1948: „All die Veilchen, die nach dem Mai 1945 im Verborgnen geblüht haben, erheben wieder ihre Köpfchen, [...] und bald werden sie mir nicht einmal mehr verzeihen, dass ich nicht in Deutschland geblieben bin und mich habe vergasen lassen.“

Besonders erbost zeigt sich Einstein über die Entnazifizierung Hans Pfitzners, mit dem er 1929 zusammengestoßen war, nachdem dieser in seinem Buch „Werk und Wiedergabe“ gegen Einstein polemisiert hatte. Im Mai 1948 nun äußert sich Einstein über den, so seine Worte, „giftigsten unter allen componierenden Gifthafen“ gegenüber Kroll: „Inzwischen ist er [Pfitzner] ja, trotz der Freundschaft mit Gauleiter Greiser, ‚denazifiziert‘ worden, und wie man hier liest, dank den Zeugnissen von Bruno Walter und Wilhelm Furtwängler: der eine ein sentimentaler Jämmerling der die Schuhsohlen von Leuten leckt die ihn bespuckt haben, und der andere der Schwachkopf, der ‚Deutschland in seiner tiefsten Not nicht den Rücken kehren wollte‘ und selber dringend noch der Entlastung bedarf. Es ist schon so: Nazis denazifizieren Nazis.“

Im Gegensatz zu manch anderem Exilanten, der es vorzog, einen Schlussstrich zu ziehen und das Leid der Diskriminierung und Verfolgung hinter sich zu lassen, war es für Einstein offensichtlich wichtig, akribisch zu überprüfen, wer Freund und wer Feind war und nach außen unmissverständlich klarzumachen, dass er nicht länger Mitglied der deutschen Wissenschaft war.

Es war ein Kampf um die eigene Würde und ein Ringen um Gerechtigkeit. Amerika konnte ihm diese durch die Anerkennung seiner beruflichen Verdienste ein Stück weit verschaffen, doch ein Nachkriegsdeutschland, das Nazis offiziell ihrer Schuld enthob, konnte für Einstein nicht viel besser sein als das Deutschland, das ihn diskriminiert und vertrieben hatte.

Alfred Einsteins Nachlass befindet sich als Alfred Einstein Collection in der Musikbibliothek der University of California, Berkeley.

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