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Jochen Kowalski wird 65 Jahre alt. oto: Staatsoper Berlin, Felix Feistel
Jochen Kowalski wird 65 Jahre alt. oto: Staatsoper Berlin, Felix Feistel
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«Damit machst du Weltkarriere» - Jochen Kowalski und seine Stimme

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Berlin - Er ist ein weltweit gefeierter Sänger: Jochen Kowalski hat nach langem Suchen seine Stimme gefunden. Im schwierigen Fach des Countertenors hat er sich durchgeboxt. Morgen (30.1.) wird er 65 Jahre alt.

Ganz will Jochen Kowalski nicht glauben, dass er im Januar 2019 unter den Bildern «dieser Herrschaften» sitzt. Von der Stirnwand im Konferenzraum der Staatsoper in Berlin blicken Generalmusikdirektoren aus fast 300 Jahren auf ihn herab - eingerahmt und in Schwarz-Weiß. Kowalski erinnert sich an den Moment, als seine Karriere hier begann, nicht als Sänger, als der er später berühmt wurde, sondern als Requisiteur. «Das zeigt doch mal wieder: Man soll nie nie sagen», sagt Kowalski mit berlinerndem Zungenschlag und tippt dabei auf den Tisch.

Im «Ring des Nibelungen» habe er damals den Ambos, auf dem Siegfrieds Schwert landet, auseinanderziehen müssen. «Das war meine erste künstlerische Arbeit.» Vor seinem 65. Geburtstag an diesem Mittwoch schmunzelt sich der «vielleicht unprätentiöseste Opernsänger der Welt» («Die Welt») durch seinen Lebenslauf.

Ob Orpheus oder Orlowski aus der «Fledermaus», an der «Met» in New York, in Wien, München oder Tokio - als Countertenor, also mit einer Stimmlage über der des Tenors, ist Kowalski weltweit gefeiert worden. Sein Schauspieltalent verhalf der Barockoper zu neuem Schwung.

«Ich wusste sehr früh, dass ich Sänger werden wollte», sagt Kowalski der Deutschen Presse-Agentur. «Tenor, nichts als Tenor. Lohengrin.» Nur wie, war dem Abiturienten aus dem brandenburgischen Wachow ein Rätsel. Schon als Kind habe er bei den Platten seiner Eltern mitgesungen. Der Chorleiter in der Kreisstadt Nauen («Von den Partisanen vom Amur bis zu den «Meistersingern» haben wir alles gesungen») entdeckte sein Talent. Er drängte die Eltern, die Stimme des Jungen ausbilden zu lassen. Den üblichen Gang in der DDR über den Kreuz- oder den Thomanerchor wollte er aber nicht gehen. «Ich wollte zuhause bleiben.»

Mit einer Mischung aus Zähigkeit und Chuzpe bahnt sich Kowalski dann doch den Weg auf die Bühne. «Frech wie Rotz» sei er zur Staatsoper gegangen und habe den Job als Requisiteur bekommen. Dass er Sänger werden wollte, blieb aber niemandem verborgen. «Mit solchen Augen» sei er in den Proben gesessen, wenn auf der Bühne der jüngst verstorbene Theo Adam auftrumpfte.

Und da war noch die französische Hospitantin. Die hörte Kowalski an einem Abend nach der Arbeit, wie er beim Bier trällerte. Er habe das Zeug zum Countertenor, sagte sie. Zum was? In der DDR sei das Stimmfach unbekannt gewesen, er habe sich erkundigen müssen, was das bedeutete.

Nach drei Anläufen wird Kowalski an der Musikhochschule Hanns Eisler aufgenommen, lässt sich zunächst für Altstimme ausbilden und besorgt sich heimlich in der Staatsbibliothek Platten aus dem Westen mit Aufnahmen von Countertenören. Und auch der große Theo Adam hört ihm irgendwann zu, lässt ihn eine Händel-Arie vorsingen und macht ihm Mut. «Kowalski, damit machst du Weltkarriere.»

Schnell spricht es sich in der DDR herum: In Berlin gibt es diesen jungen Countertenor. Nach einem Tipp der französischen Hospitantin bekommt Kowalski einen Brief aus Halle. Ob er bei den Händel-Festspielen singen wolle - als Countertenor. «Jetzt wurde es ernst.» Dabei habe er sich ja als Lohengrin gesehen in silberner Rüstung «und nicht als Mann mit hoher Stimme». Doch Kowalski sagt zu - es wird eine Befreiung. Nun habe er alles rauslassen können, was ihm als Tenor nicht möglich war. Bis heute ist er darüber glücklich.

Der Auftritt in Halle wird ein Riesenerfolg, dann kommt ein Engagement an der Komischen Oper Berlin bei Regiemeister Harry Kupfer. «Das war die schönste Zeit meines Lebens», sagt er im Rückblick. Er bekommt Freiheiten, die sonst in der DDR nicht üblich sind. Kowalski reist in den Westen, kehrt aber immer wieder an die Komische Oper zurück, die er den «fünften Sektor» nennt.

Nach dem Mauerfall bleibt er zunächst am Haus, dann folgen Zerwürfnisse der Nach-Kupfer-Ära. Eine Stimmkrise und Krankheit machen ihm zu schaffen. Danach habe er alles von vorne lernen müssen - und eine neue Leichtigkeit entdeckt. Schon als Kind hatte er im «Blauen Bock» im Westfernsehen gesehen, wie selbstverständlich Opernstars wie Anneliese Rothenberger, Erika Köth oder René Kollo mit der leichten Muße umgingen. In solche Rollen schlüpft nun auch Kowalski. Da scheut er auch nicht davor, ein Soloprogramm «Castra Diva» zu nennen, in Anspielung an die Kastraten, wie die Countertenöre im Barock genannt wurden.

Bis heute ist Kowalski begehrt. Unlängst hat er an der Staatsoper seine bislang letzte Vorstellung in der «Krönung der Poppea» gegeben. Ginge es nach ihm, würde er sofort weiter als aufgedonnerte Amme in der Monteverdi-Oper auftreten.

Und er würde gerne auch die Hexe in Engelbert Humperdincks «Hänsel und Gretel» singen und die Gräfin in Peter Tschaikowskis «Pique Dame». Er sei aber kein Mensch, der Klinkenputzen gehe. «Wenn es kommt, dann kommt es.» Derweil nimmt er sich Autobiografien großer Sänger vor. «Da lese ich immer zuerst den Schluss. Ich will wissen, wie sie den Übergang in den Ruhestand gemeistert haben.»

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