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Hitler-Groteske «Der Weltmeister» von Herbert Achternbusch uraufgeführt

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Coburg (ddp-bay). Natürlich hängt der Führer rechts. Gleich im Eingangsbereich, gegenüber der Kasse, klebt an der rechten Wand ein Plakat, das Adolf Hitler zeigt, dem gerade eine Torte ins Gesicht geklatscht wird. Es ist das Coburger Werbemotiv für die Hitler-Groteske «Der Weltmeister» von Herbert Achternbusch.

Weiter hinten im Foyer der Reithalle, dem Aufführungsort, drängen sich am Samstagabend die Zuschauer und warten auf Einlass. Lokale Politprominenz ist nicht darunter. «Von denen ist niemand hier», sagt der Pressesprecher des Landestheater Coburg, Timo Knauer.

Der Medienandrang dagegen ist groß. Die Pressemappen sind bereits ausgegangen, weil zahlreiche Journalisten unangekündigt auftauchen. Im Vorfeld war das Stück von Schriftsteller Ralph Giordano heftig kritisiert worden. Jetzt warten 99 Zuschauer in der ausverkauften Reithalle auf die deutsche Erstaufführung und auf einige umstrittene Passagen zum Islam, zum Holocaust und den Arabern.

Der Zuschauerraum ist beleuchtet, auf der Bühne zeichnet sich im Dunkeln schemenhaft eine Bauernstube ab. Aus dem Off ist Vogelgezwitscher zu hören, Holz wird gehackt und geräuschvoll gehäckselt. Das Licht geht aus, die Bühne wird beleuchtet. Der Führer (Thomas Stang) steht am Tisch, im braunen Anzug, mit dem Rücken zum Publikum, aus seinen Hosenbeinen läuft eine braune Flüssigkeit, die sich in einer Pfütze um seine Schuhe sammelt.

Adolf Hitler befindet sich in Breitenbach im bayerischen Wald. Er ist inkontinent, leidet unter Magenkrämpfen sowie einer Fliegen- und Bienenphobie und veranstaltet gerne Furz-Wettbewerbe. Dazwischen ergeht er sich immer wieder in Dialogen mit Achternbuschs Mutter Luise (Elga Mangold), Oma Anna (Jens Müller-Rastede) und den Bekannten Annamirl (Dagmar Poppy) und Josef Bierbichler (Peter Fischbach). Wie auch in anderen Achternbusch-Stücken integrierte der Autor seine verstorbenen oder noch lebenden Verwandten und Bekannten in «Der Weltmeister».

30 Minuten nach Beginn des Stückes ist es schließlich soweit. Hitler steigt auf den Tisch und poltert los: «Ich gebe meiner größten Hoffnung den Ausdruck, dass das jüdische Volk im Besitz von Atombomben ist und damit die Palästinenserfrage ein für alle mal lösen wird, zum Abschluss bringt.» Es folgen Sätze wie: «Lasst ihr Deutschen nicht die arabischen Hohlköpfe in euer Land. Der Islam macht sie krank. Lasst sie nicht länger ihre hässlichen Gebetshäuser errichten.» Und schließlich: «Ich habe die Hälfte der Juden am Leben gelassen, weil sie die beste Waffe gegen die islamische Welt darstellen.» Auch hätte er lieber die Deutschen vernichtet, doch die seien einfach zu viele gewesen.

Das Publikum reagiert kaum, nur vereinzelt ist mal ein «Oh» zu hören. Fünf Minuten später verlässt ein Mann im dunklen Anzug den Theatersaal. Vier Minuten später kommt er vom Toilettengang wieder zurück. Vom Publikum geht an diesem Abend niemand vorzeitig. «Ich fand die Umsetzung nicht provozierend», sagt Kirstin Borchert im Foyer rund 60 Minuten und eine Atombomben-Explosion später, mit der das Stück endet. Über die Kritik vor der Premiere sagt sie: «Giordano regt sich gerne auf." Ihr Begleiter Thomas Graw stimmt ihr zu. Da würden Eitelkeiten gepflegt. Am «Weltmeister» gefallen dem 44-Jährigen vor allem der «Ton des Stückes und die Ironie».

Walter Herold ist anderer Meinung. Der 84-jährige Leipziger hat den Zweiten Weltkrieg «leider selbst miterlebt». Seine Meinung zum Stück fällt deutlich aus: «Man hätte viel schärfer an die Figur rangehen müssen. Hitler ist keine Witzfigur. Ich bezweifle, ob das die richtige Aufarbeitung ist.» Ein zweites Mal werde er sich «Der Weltmeister» auf keinen Fall anschauen. «Man verpasst nichts, wenn man es nicht sieht.»

Regisseur Gunther Möllmann ist nach der Premiere mit dem 3 Minuten 50 Sekunden langen, eher durchwachsenden Schlussapplaus «ziemlich zufrieden». Die Publikumsreaktionen während des Stücks - kurzzeitiges Gelächter und überwiegend Schweigen und Seufzen - hat er nicht mitbekommen: «Ich schaue mir prinzipiell meine Premieren nicht an.» Ablehnende Reaktionen hätte er verstanden. Schließlich gebe es in dem Stück einige «Hämmer», weshalb sich in Deutschland bislang auch niemand an die Aufführung gewagt habe. Möllmann erhofft sich lebhafte Diskussionen. «Man soll danach nicht sagen, das war ein schöner Abend und sofort zum Weintrinken übergehen.»

Anfang Juni wird «Der Weltmeister» bei den Bayerischen Theatertagen in Fürth aufgeführt. Vielleicht gibt es dort stärkere Publikumsreaktionen. In Coburg blieben sie aus. Die Mehrzahl der Theaterbesucher, die am Samstagabend auf dem vollbesetzten Schlossplatz parkten, schauten sich sowieso lieber zeitgleich das Musical «Jesus Christ Superstar» an.