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„Verbrecherisch blinde und gleichgültige Ignoranz“: Helmut Lachenmann wendet sich gegen die Orchester-Sparpläne des SWR

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Mit scharfen Worten hat sich der Komponist Helmut Lachenmann öffentlich gegen die Orchester-Sparpläne des SWR gewandt. In einer Stellungnahme, die er über den Verlag Breitkopf & Härtel verbreiten ließ, bezeichnet er die Pläne als „gespenstische Drohung“, deren Durchsetzung „irreparablen Schaden“ anrichten würde.

Lachenmann ist nach Gerhart R. Baum und Hans Zender der dritte Prominente, der sich öffentlich zur Causa äußert. Weitere Stellungnahmen dazu kamen vom Deutschen Musikrat, von der Gesellschaft für Neue Musik, vom Netzwerk Neue Musik und von der Deutschen Orchestervereinigung.
[update 15.03.2012: inzwischen hat sich auch Bundestagspräsident Norbert Lammert zu Wort gemeldet, in einem Interview mit der Badischen Zeitung.]

Im Folgenden veröffentlichen wir den Wortlaut von Lachenmanns Statement:

Zu dem Fusionsplan der beiden SWR-Sinfonieorchester

Einer Reaktion auf die gespenstische Drohung, die beiden SWR-Sinfonieorchester zu fusionieren, das heißt irreparabel kaputt zu machen, muss vorausgehen – denn die nächste Barbarei kommt bestimmt – die Frage: was tun die für unser Gemeinwohl verantwortlichen beziehungsweise für die Kultur und das kulturelle Selbstverständnis unserer Gesellschaft zuständigen Politiker und die per Amt in unsere Gesellschaft hineinwirkenden Autoritäten hierzulande in der Öffentlichkeit, in den verschiedenen Gremien, in den Schulen, in den Hochschulen, in den Universitäten, in den Akademien, in den Gemeinden, in den Feuilletons, in den Kultursendungen, was tun die Konzert-Veranstalter, die GEMA, der deutsche Musikrat, die Kompositionsverbände, um jenem hinter allen kulturbeflissenen Fassaden unaufhaltsam sich ausbreitenden Zustand entgegenzuwirken, den ein Thomas Mann bereits 1955 prophetisch diagnostizierte als einen „Kulturschwund, der beängstigt“?

Denn worum es letztlich geht, ist ein wenn schon nicht in der Mehrheit unserer Mitbürger so doch in ihrer mündigeren, weil verantwortungsbereiteren Minderheit endlich in Gang zu setzendes Denken, welches im Zeitalter der entscheidungskorrumpierenden Quoten und des profitorientierten Argumentierens die Bedeutung und ständig gefährdete Unverzichtbarkeit eines nicht nachfrageorientierten, kommerziell nicht unbedingt nutzbaren Kunstbegriffs – und die alarmierende Aktualität dieser Unverzichtbarkeit – erkannt hat.

Schlimm genug, dass man einer weithin gleichgültigen Öffentlichkeit klar machen muss, welch irreparablen Schaden die Durchsetzung des Fusions-Vorhabens bedeuten würde: Schaden nicht nur für diese Orchester, auf die unsere Mitbürger stolz sein sollten und die in ihren im Lauf ihrer Wirkungsgeschichte individuell gewachsenen, international hochgeachteten Physiognomien für immer zerstört würden, Schaden nicht nur für das Musikleben und Schaden nicht nur für das Ansehen unseres Landes, auf dessen kulturell immer noch leuchtendes Beispiel so viele Länder mit Bewunderung blicken: Schaden eben auch als verheerendes Signal, untrügliches Zeichen einer gedankenlos geförderten geistigen Verflachung im Bewusstsein einer Gesellschaft, welche im Zuge der Gleichmacherei zwischen dem Wirken solcher Einrichtungen wie der hier gefährdeten Orchester und demjenigen weniger sensibler Einrichtungen, etwa solcher des Sports und der Unterhaltung, den substantiellen Unterschied zu erkennen, weithin unfähig ist: unfähig, weil unaufgeklärt, über das, was die Existenz dieser Orchester letztlich begründet, die eben nicht bloß einen besonders aufwändig zu unterhaltenden Auswuchs für ein den „klassischen Kunstgenuss“ abdeckendes Entertainment darstellen, sondern die das verkörpern und vermitteln, was uns unter dem ungeheuren Begriff „Kunst“ als Nachricht von Geist, kreativer Freiheit und ästhetischer Horizont-Öffnung durch unsere Tradition überliefert und für die Zukunft anvertraut ist.

Hier sollen – einmal mehr – auf das Betreiben einer verbrecherisch blinden und gleichgültigen Ignoranz Gelder eingespart werden unter Inkaufnahme der Zerstörung von Einrichtungen, dere n über den kommerziellen Aspekt weit hinausgehender Wert mit Zahlen überhaupt nicht erfassbar ist.
Ich sehe in solch zerstörerischem Vorgehen von unsere Kultur in den Griff nehmenden Managern ein Symptom jener endlich zu behebenden Unaufgeklärtheit in Sachen Kunst. Es ist höchste Zeit, dass parteienübergreifend die einer lebendigen Kultur sich verantwortlich Wissenden solch wahnsinnigem Vorgehen, nämlich dem Betreiben eines kulturellen Kahlschlags auf Raten, mit allen Mitteln sich entgegenstemmen, aber zugleich diesen Vorgang zum Anlass nehmen, solche Unaufgeklärtheit einer in aller Arglosigkeit sich selbst entmündigenden Gesellschaft in der Öffentlichkeit endlich zur Sprache und zum Bewusstsein zu bringen.

Helmut Lachenmann
(Trarego, März 2012)

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