Von den über 20 Operetten des ungarischen Komponisten sind „Die Csárdásfürstin“, „Gräfin Mariza“ und „Die Zirkusprinzessin“ wohl die bekanntesten, die auch noch regelmäßig auf dem Spielplan stehen. „Die Bajadère“ hingegen ist selbst in den gängigen Operettenführern kaum zu finden.
Minseok Kim (Prinz Radjami), Peter Potzelt (Armand), Annina Olivia Battaglia (Odette Darimonde), Markus Gruber (Napoleon St. Cloche), Inga Lisa Lehr (Marietta), Thilo Andersson (Louis Philipp La Tourette), Opernchor, Ballett-Compagnie.
Abstrakte Show – Emmerich Kálmáns „Bajadere“ in Hof
Zur Handlung: Sie spielt in Paris in den 1920er-Jahren. Theaterdirektor d’Ouvert hat die bekannte Pariser Sängerin Odette unter Vertrag. Diese soll nun die Hauptrolle in der neuen Operette des Hauses mit dem Titel Die Bajadere singen. Bei dieser Gelegenheit lernt auch der Ehrengast der Premiere, Prinz Radjami, die Sängerin kennen. Er verliebt sich in sie und denkt sogar an eine Heirat, auch wenn er in seiner indischen Heimat längst verlobt ist. Er lädt Odette zu sich ein und wettet mit ihr, sie mithilfe seiner angeblichen hypnotischen Fähigkeiten so weit zu bringen, dass sie sich ihrerseits in ihn verliebt und das auch noch schriftlich bestätigt. Odette nimmt die Wette an und geht zum Schein auf die Avancen des Prinzen ein. Sie will ihm aber nur eine Lektion erteilen. Der Prinz zieht weiter alle Register seiner Verführungskraft und arrangiert sogar eine Heiratszeremonie. Odette, selbstbewusst und emanzipiert, spielt bis zum vorletzten Augenblick mit und brüskiert dann im allerletzten Augenblick den Prinzen, indem sie ihre Zustimmung zur Hochzeit verweigert. Der Prinz ist enttäuscht, besucht aber weiterhin jede Vorstellung der Operette Die Bajadere, um seiner immer noch Angehimmelten nahe zu sein. Diese hat sich inzwischen tatsächlich auch in ihn verliebt, gibt es aber nicht zu. So schmachten die beiden wochenlang vor sich hin. Schließlich greift der Theaterdirektor zu einer List, die schließlich Odette und den Prinzen zusammenführt. Es siegen Thronverzicht und Theaterleben (in das der indische Prinz integriert wird) statt Wirklichkeit und britische Kolonialmacht.
Das Theater im bayerischen Hof (nördlich von Bayreuth) ist eines jener traditionsreichen Stadttheater, das immer wieder durch interessante Spielplanpolitik (auch erfreuliche Ausgrabungen) als auch erstaunliche künstlerische Qualität und Originalität auf sich aufmerksam macht. Die jüngste Ausgrabung, die diese Vorschusslorbeeren allerdings Lügen straft, ist die dreiaktige Operette „Die Bajadere“ des jüdisch, ungarisch-österreichischen Komponisten Emmerich Kálmán, auf einen Text von Julius Brammer und Alfred Grünwald. Die Uraufführung fand am 23. Dezember 1921 am Carltheater in Wien statt.
Das Werk des neben Franz Lehár wohl bedeutendsten Repräsentanten der sogenannten „Silbernen Operettenära“ wird heute nur noch selten aufgeführt. Ein Grund dafür dürfte darin liegen, dass auch diese Operette, wie alle Werke Kálmáns, in der NS-Zeit verboten und von den Spielplänen verdrängt war, schließlich vergessen wurde. Man muss allerdings auch sagen, dass die „Csárdásfürstin“ das weit bessere, mitreißendere Stück ist, das sich bis heute großer Beliebtheit erfreut.
In der musicalhaften Inszenierung von Oliver Pauli ist nichts von Paris zu sehen, gar nichts ist zu spüren von der elektrisierenden Atmosphäre der „goldenen Zwanzigerjahre“. Stattdessen in nur wenigen Szenen angedeutete, exotische Indien-Klischees: eine in die Jahre gekommene Melange aus Kitsch und Klamauk in einer nichtssagenden, biederen, ja austauschbaren Szenerie mit abstrakten architektonischen Versatzstücken, die Esther Bätschmann (die auch für die wenig inspirierten Kostüme – der Chor ausnahmslos in schwarzen Fracks mit schlecht sitzenden Perücken – verantwortlich ist) auf die Bühne stellt: kreisförmige Segmente hintereinander gestaffelt, verschiebbar. Mit wehenden Vorhängen und Anklängen an Theater auf dem Theater, einschließlich zweier Logen. Vom Pariser Théâtre du Châtelet, in dem das Stück ja spielen soll, keine Spur. Keinerlei fernöstliche Poesie, kein pariserischer Charme. Stattdessen nüchterne wie ernüchternde Revue.
Überhaupt hatte man den Eindruck, dass das junge Regieteam jeden Realismus, jede Befriedigung von Erwartungshaltungen des Publikums und jedes „operettige“ Setting vermeiden wollte. Stattdessen warten sie mit einer abstrakten Show mit routiniert musicalhaften Beleuchtungseffekten (Licht: Jürgen Burger) auf. Das Palais des Prinzen wird lediglich durch einen lieblos vom Bühnenhimmel herabgelassenen Lüster im Neckermannformat markiert. Immer derselbe Blick in Kreissegmente. Der blutjunge Regisseur Oliver Pauli, musicalaffin (operettenunerfahren) und Debütant in Hof, vermeidet zwar alles Plüschige, tappt aber dafür in alle Operetten-Musstöpfe. In naiver Unbekümmertheit reiht er Klischees und abgeschmackte Kalauer, Blödeleien und spießige erotische Anzüglichkeiten aneinander. Seine zwischen Zeitlupenbewegungen und konventionellen Gesten schwankende Chorregie ist so läppisch wie die Choreographie von Barbara Buser, die nicht davor zurückschreckt, sogar Cancan tanzende Grisetten auf die Bühne zu bringen. Das war schon bei Offenbach ein Missverständnis. Die winzige Ballett-Compagnie des Hofer Theaters tut ihr Bestes.
Kálmáns Musik kombiniert in dieser Operette aufs Raffinierteste Pariser Klänge und ungarische Tänze mit dem Wiener Walzer und lässt nicht ungeschickt die Tanzrhythmen der amerikanischen Jazz-Ära einfließen. Er war musikalisch ein wahrer Kosmopolit. Dass das Werk als eines der ambitioniertesten des Komponisten und als ein echtes Juwel, ja ein Höhepunkt der Operette der 1920er-Jahre gelten soll, darf jedoch bezweifelt werden. Zumal nach der Hofer Erfahrung in unzureichender Realisierung.
Dass der Dreiakter mit Selbstironie und Witz sich selbst sowie sein Genre auf die Schippe nimmt und augenzwinkernd Einblicke in sein Metier gewährt, merkt man in Hof kaum. Von Esprit keine Spur. Auch Temperament und Schmissigkeit bleiben weitgehend außen vor, auch wenn Kapellmeister Michael Falk den Hofer Symphonikern ordentlich Beine macht und für einen geschmeidigen, wirkungsvollen Kálmán-Sound sorgt.
Aber Kálmán ist nun mal kein Léhar, Nedbal, Benatzky, Stolz, Gilbert, Künneke oder Jessel, zu schweigen von Nelson, Hollaender, oder Abraham.
Die Sentimentalität und Gefühligkeit seiner Musik ist zuweilen nur schwer erträglich heute, seine Gesangstexte und Dialoge bedürften dringend einer sensiblen, intelligenten und geschmackvollen Bearbeitung.
Last but not least ein Wort zur Sängerbesetzung. Sie zeichnet sich alles in allem (von Ausnahmen wie etwa dem Buffopaar abgesehen) durch opernhaftes, unidiomatisches Singen und große Wortunverständlichkeit aus. Eine Todsünde in der Operette. Das gilt vor allem für den südkoreanischen Tenor Minseok Kim, der die deutschen Texte (Dialoge) nur ansatzweise glaubwürdig zu sprechen und zu singen vermag und zudem eine zu kleine, weder strahlende, noch schöne, ja eng fokussierte Stimme besitzt, die (im Gegensatz zu seinem Rollenprofil) keinerlei Verführungskraft entfaltet. Auch die Odette der Schweizer Sopranistin Annina Olivia Battaglia singt weitgehend unverständlich und präsentiert lediglich schöne Töne. Mit Operettengesang (bei dem es ja auf Anderes ankommt) hat das nichts zu tun. Von ihrer szenischen Rollengestaltung als Tänzerin will ich gar nicht reden. Einzig das Buffopaar Marietta (Inga Lisa Sehr) und Napoleon St. Cloche (Markus Gruber) sind halbwegs überzeugend. Auch Peter Potzeld als Graf Armand und Oberst Parker ragt aus dem übrigen (mäßigen) Ensemble angenehm heraus.
Ich habe ein großes Herz für die Operette. Sie ist eine unterschätzte, verkannte Gattung. Ich habe mich immer wieder für sie eingesetzt, denn sie ist besser als ihr Ruf. Die heutige Misere der Operette ist keine Misere dieser heiter satirischen Gattung von Musiktheater an sich, sondern des Unverständnisses und der unprofessionellen und geistlosen Interpretation ihrer Werke. Nicht die Operette ist seicht, sondern der Umgang mit ihr.
Die Operette könnte auch heute noch sein, was sie vor hundert Jahren war: eine eigenwertige, fortschrittliche, eine vitale und vitalisierende Kunst. Wenn sie aus dem Dunstkreis verstaubter Operettenklischees heraustreten würde und wenn es Operettendarsteller gäbe, die statt purem (opernhaftem) Schön- oder Schreigesang sich an den Qualitäten etwa einer Klaudia Novikova oder eines Max Hansen, einer Fritzi Massari oder eines Julius Patzak, eines Dranem, einer Hélène Regelly, einer Hilde Güden oder einer Margarete Pfahl, um nur einige Namen zu nennen, orientieren würden. Wenn Operette glaubwürdig daherkommt, erledigt sich auch das Generationenproblem der Operette von selbst.
Die Operette hat enormes Potential. Angriffslust und Anarchie sind ihr ebenso eigen wie Ironie und Selbstironie. Man muss das nur zeigen. Die Operette hält der Gesellschaft einen Zerrspiegel vor Augen. Sie amüsiert und parodiert, weckt Träume und klagt an, wagt Utopien und setzt Gegenentwürfe, beißt und narkotisiert, und das mit Augenzwinkern, mit zuweilen eindeutigen Zweideutigkeiten, ohne Scham, aber doch fast immer mit Charme.
Es gibt allerdings schlechte Operetteninszenierungen! Sie setzten dem Ruf der Gattung zu, auch wenn sie sich seit ein paar Jahren wieder zunehmender Beliebtheit bei Publikum und Theatern erfreut.
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