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Julia Edtmeier (Micaëla), Anton Zetterholm (Don José), Jörg Mikula (Drums / Percussion), Katia Ledoux (Carmen) - © Jenni Koller/Volksoper Wien

Julia Edtmeier (Micaëla), Anton Zetterholm (Don José), Jörg Mikula (Drums / Percussion), Katia Ledoux (Carmen) - © Jenni Koller/Volksoper Wien

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Gestorben wird immer –  „Killing Carmen“ in Wien: eine Perspektive der besonderen Art auf den Repertoireklassiker.

Vorspann / Teaser

Zum vorweihnachtlichen Premierenreigen der Wiener Bühnen gehörte neben den beiden Großereignissen in der Staatsoper (Nikolaus Habjans „Fidelio“) und dem Burgtheater (Deutschsprachige Erstaufführung von Simon Stones selbstinszenierter Ibsenüberschreibung „Ferienhaus“) auch das Theater in der Josefstadt (mit dem von Andrea Breth inszenierten Einfraustück über Joseph Goebbels Sekretärin „Ein deutsches Leben“) und die Volksoper (mit einer neuen Ballettkreation über Marie Antoinette). Bereits im Oktober kam dort eine außergewöhnliche Variante des Opernrepertoire-Filetstücks „Carmen“ heraus.

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In der Version von Nils Strunk, Lukas Schrenk und Gabriel Cazes gibt es unter dem Titel „Killing Carmen“ eine Art genreübergreifendes Remake. Die drei sind auf Adaptionen klassischer Stoffe des 20. Jahrhunderts spezialisiert. Bizets „Carmen“ hat Volksopernintendantin Lotte de Beer im vorigen Jahr bereits selbst inszeniert. Mit der fabelhaften Katia Ledoux ist somit eine Carmen am Haus, die spielend auch für diese neue Version den Mittelpunkt zu liefern vermag.

„Killing Carmen“ erzählt die bekannte Geschichte aus der Perspektive eines Rückschauens. Eigentlich könnte auch die nach 13 Jahren vollstreckte Todesstrafe an Carmens Mörder Don José den Titel liefern. Aber „Killing Carmen“ klingt zugegebenermaßen besser als „Hanging José“. Im Plot bewegt die Hinterbliebenen die Frage, was nach diesem Mord passiert ist und welche Lücke Carmen bei ihnen hinterlassen hat. Natürlich gibt es dabei als Erinnerung auch die Hauptmotive, die man kennt. Schauspieler Florian Carove macht aus dem inzwischen zwar beförderten, aber immer noch nur die stillgelegte Zigarettenfabrik bewachenden Moralès eine Figur, die streckenweise so energiegeladen wie in einer One-Man-Comedian-Show agiert.

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Ensemble - © Jenni Koller/Volksoper Wien

Ensemble - © Jenni Koller/Volksoper Wien

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In der Inszenierung von Nils Strunk und Lukas Schrenk haben Anne Buffetrille und Lara Regula die Lillas-Pastia-Lokalität in einer  knappen, aber sinnvollen Ausstattung an die Rampe gebaut. Als Requisiten genügen neben dem Bar-Interieur ein paar Holzkisten und ein Teppich. Hier haben auch die fünf Musiker mit ihren Instrumenten (Drums, Percussion, Bass, Gitarre, Harmonika, Cello und Trompete) Platz. Unter denen übernehmen Berhard Moshammer, Hans Wagner und Rina Kacinari zusammen mit Gabriel Cazes als Lillas Pastia auch Gesangpassagen. Neben  Moralès ist  auch der altgewordene, in ein schwarzes Gewand gehüllte Escamillo Stammgast. Wenn er sich an seine Flirts mit Carmen zurückerinnert, verwandelt sich Stefan Cerny in den schmucken Stierkämpfer, der Carmen schon bei ihrer ersten Begegnung mit ihm fasziniert hatte. Mit einem ähnlichen komödiantischen Furor wie Carove als Moralès wirft sich auch Julia Edtmeier in ihre Rolle als ziemlich selbstbewusste Micaëla und dann mit ironischem Witz auch in die Rolle als Räuberhauptmann Dancairo. Gesungen und mit Sprachwitz gesprochen wird in einem so flotten und geschmeidigen Mix aus Französisch, Englisch und Deutsch, dass man nie den Faden verliert.

Die Handlung beginnt an dem Tag, an dem Don Jose hingerichtet werden soll. Zu diesem Anlass versammeln sich alle noch mal bei Lillas Pastia und hängen ihren Erinnerungen nach.

Es ist musikalisch atemberaubend, wie hier Bizets Ohrwürmer in einer Melange mit Nummern so verschiedener Genres wie Oper, Musical und Pop, Jazz und Flamenco bis zu Country und Chanson vermischt werden und mühelos alle Akteure zwischen ihnen wechseln, als müsste es so sein. Dabei kommt immer wieder Carmens Lebensmaxime „Frei bin ich geboren, frei werde ich sterben“ durch, die Musical-Sänger Anton Zetterholm als Don José von Anfang an nicht verstehen bzw. akzeptieren will oder kann.

Es ist ein ziemliches Risiko, einen so populären Klassiker wie „Carmen“ neu zu deuten. Um da die Fans nicht zu verärgern, vielleicht sogar neue zu gewinnen, muss man sein Handwerk verstehen und einen Sinn für Charme und Timing haben - man muss es einfach können. An der Volksoper in Wien können sie es.

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