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Björn Christian Kuhn (Tony), Ines Lex (Maria). Foto: © Andreas Birkigt
Björn Christian Kuhn (Tony), Ines Lex (Maria). Foto: © Andreas Birkigt
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Gezückte Messer und Rüschenhemd – Die Oper in Halle startet mit Leonard Bernsteins „West Side Story“ in die neue Spielzeit

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Im Moment jagt eine Spielzeiteröffnung die nächste. Auf der Opernbühne in Halle jagen sie sich jetzt auch noch gegenseitig. Es sind die Jungs und Mädels der Gangs, die im fernen New York um ihr Stück Straße kämpfen, weil sie es den anderen partout nicht überlassen wollen. Dabei haben sie alle den gleichen Traum vom Land der angeblich so unbegrenzten Möglichkeiten. In Leonard Bernsteins Broadway-Musical aus dem Jahre 1957 ist tatsächlich vieles unbegrenzt. Vor allem nach unten, in die persönliche Katastrophe.

Drei Tote bleiben auf dem Kampfplatz Straße. Das Liebespaar im Stück hat keine Chance. Trotz aller songbeschworenen Traumentschlossenheit zu Wolke Sieben und einer anderen Welt. Der gutwillige Aussteiger und Friedensstifter Tony wird gegen seinen Willen selbst zum Mörder an Marias Bruder Bernardo, als er dessen Zweikampf mit dem Anführer seiner ehemaligen Gang Riff verhindern will. Am Ende wird er von Chino (Andriy Holubovskyy), dem für Maria von der Familie vorgesehenen Mann, aus Rache erschossen. Wie als Beschwörung des Glaubens an das Gute im Menschen stehen sie am Ende alle betroffen um den toten Tony und die verzweifelte Maria und gehen auf die Knie. Geht das als ruhiges Schlussbild noch an, so ist der didaktische Zeigefinger beim dauerermahnenden Doc Joachim Unger schon fast ein Belehrungszaunpfahl.

In Bernsteins rasanter Musik und Stephen Sondheims Songs hört man viel vom amerikanischen Traum. Die Geschichte, deren gesprochene Passagen zwischen den englischen Songs, die Frank Thannhäuser und Nico Rabenald in ein Deutsch mit leichtem Slang übersetzt haben, liefert aber auch den amerikanischen Alptraum mit.

Die Story ist unverkennbar aus Europa eingewandert. Und nur eine von vielen Versionen, die „Romeo und Julia“ in die Gegenwart verlängern. Der von Shakespeare übernommene und von der Fehde der großen Familien in Verona zum Konflikt der Straßengangs in New York umgemodelte Plot ist denkbar einfach. Aber nach wie vor wirkungsvoll. Sie können zusammen nicht kommen, weil es der Kodex der Cliquen und die Eigendynamik der Gewalt nicht zulassen. Es bleibt offen, ob die Toten irgendetwas verändern werden.

Als Ausstatter hat Matthias Hönig auf der mit unbestimmten Graffitis vollgesprayte Unter- der-Brücken-Bühne genügend Raum für die Tanznummern gelassen. Marias Zimmer oder Doc Laden werden da einfach nur bei Bedarf rein und rausgefahren. Die Kostüme von Wiebke Horn verweisen mehr auf die Entstehungszeit, als dass sie sich mit einem etwaigen Brückenschlag in die Gegenwart selbst überanstrengen würden. Optisch bekommt man an diesem Abend deutlicher, als man es sich wünscht, vorgeführt, dass die West Side Story auch schon fast sechzig Jahre auf dem Buckel hat. Der Brückenschlag in die Gegenwart bleibt ganz dem Zuschauer überlassen.

Am Brückenschlag ins jeweils benachbarte Genre, den musicalerfahrene Darsteller wie Markus Maria Düllmann (Bernardo) oder Anna Thorén (Anita) mitbringen und die auch der Hallenser Janko Danailow (Riff) drauf hat und ausspielt, versuchen sich auch alle andren mit Eifer. Das bei der international zusammengesetzten Balletttruppe mit Akzent gesprochen wird, passt in dem Falle sogar gut zum Stück; Maria-Sängerin Ines Lex legt sich sogar einen zu, auch wenn der dummerweise eher an Marika Rökk denken lässt.

Nicht alles überzeugt restlos, aber es macht schon Spaß, zu sehen, wie etwa Dalier Burchanow oder Johan Plaitano vom Rossa-Ensemble ihre Muskeln und Tanzküste überzeugend mit einem gekonnten Macholook aufpeppen. Der Ehrgeiz, den Rossa ins Dialogische und ins Schauspielern bei seinen Tänzern gelegt hat, ist anzuerkennen, aber mitunter eben auch allzu erkennbar.

Am besten funktioniert das Ganze, wenn Bernsteins Musik den Ton angibt und den Darstellern in die Beine und Kehlen fährt. Robbert van Steijn liefert mit der Staatskapelle seinen auf die Sängermöglichkeiten abgestimmten Beitrag aus dem Graben. Wenn er gelegentlich noch etwas mehr auf die Tube drücken würde und die Mikros einen Tick besser eingestellt wären, dann gibt’s da sicher auch noch Spielraum für einen Energieschub von der Bühne. Aber beim America Song von Anita und den Shark Girls – oder bei der nach wie vor hintergründig witzigen Officier Krupke Parodie der Jets überträgt sich die Spielfreude auf der Bühne ohne weiteres in den Saal. Mag sein, dass Ines Lex als Maria und Björn Christian Kuhn als Tony ein bissel zu brav rüberkommen, aber bei ihnen ist der gefühlige, sehnsuchtsvolle Teil der Musik so zwischen Maria und Tonight gut aufgehoben. Das Premierenpublikum war mit allen Beteiligten zufrieden.

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