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In viel Schwarz und Lila: Don Giovanni und Leporello kringeln sich mit ihren Crack-Pfeifen in der Hand vor Lachen.

Regisseur Bernd Mottl pfeift auf diverse Passagen der Partitur. Für die Filmrisse könnten aber auch Don Giovanni (Alejandro Lárraga Schleske) und Leporello (Kai Wefer) selbst verantwortlich sein, schließlich pfeifen sie sich hoch dosierte Rauschmittel rein. © Ronny Ristok

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Junkies mit Bambi-Augen: Bernd Mottls diskursfähige „Don Giovanni"-Regie in der Residenzstadt Altenburg

Vorspann / Teaser

Die „Don Giovanni“-Welle rollt – nach Radebeul, Leipzig und Nordhausen schlägt die „Oper aller Opern“ im Theaterzelt Altenburg des Theater Altenburg Gera auf. Dort am Großen Teich spielt das Fünf-Sparten-Haus mindestens bis Ende 2025, während sich die Totalsanierung des wunderschönen Theaterbaus in der Altstadt auf unbestimmte Zeit verlängert. Der Musiktheater-Start in die Spielzeit 2023/24 gleicht im Guten und Nicht-ganz-so-Guten dem lauten Hilferuf für den baldigen Umzug ins Stammhaus unter dem Residenzschloss Altenburg. Bernd Mottls Regie ist latexlastig und hinterlistig moralisch. Alejandro Lárraga Schleske in der Titelpartie, Kai Wefer, Anne Preuß und Miriam Zubieta liefern packendes Musiktheater.

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Vorsicht: Die Inszenierung ist auf ganz hohem und nicht provokativ gemeintem Niveau am Intellekt-Horizont der Spätachtundsechziger-Generation ausgerichtet. Also nichts für sensibilisierte Temperamente U40. Strobo-Effekte gibt es, auch wenn davor gewarnt, keine.

Aus durchaus polyvalent-bipolaren Konzeptgründen wurde der 1787 in Prag uraufgeführte „Don Giovanni“ im Theaterzelt Altenburg auf zweieinhalb Stunden geschrumpft, inklusive Pause. So wenig „Bestrafte Moralrebellion“ (Lorenzo da Ponte nannte seinen Titelheld im Original „Il dissoluto punito“, den „bestraften Wüstling“) war nie. Etwa ein Viertel der Musik fiel weg, musikalische Formzusammenhänge wurden vor allem in dem Finale empfindlich beschädigt. Anreisende sollten außerdem eine der Vorstellungen im Theater Gera ab 12. Januar 2024 besuchen. Denn unter GMD Ruben Gazarian liefert das Philharmonische Orchester einen historisch wenig stichhaltigen Mozart. Entschädigt wird man mit einem theatral bannenden und das Psycho-Brio des späten 18. Jahrhunderts in packende Straffheit bringenden Action-Drive. In Altenburg sitzt das Orchester neben der Bühne. Alles wird verstärkt, also werden auch die Stimmen in schon enervierende Dezibel-Stärken hochgetrieben. Das passt zum Flow und den Materialien der Szene besser als zur Partitur. Als möglichen Beitrag zum „Tag des offenen Denkmals“ disqualifiziert sich diese Premiere also selbst.

Friedrich Eggerts Spielfläche zeigt eine Manegenbühne mit Himmelbett in Anthrazit- und Neonfarben, eindeutig für Paar-Gymnastik in der Horizontale – und vor Publikum. Wir sind im Club von Moderationseinpeitscher Leporello und seinem Chef, dem Erotik-Hauptdarsteller Don Giovanni. Dessen Markenzeichen ist die Herzen und Unterleiber der stolzesten Frauen nehmende Musketier-Montur. Bei wenig oder schummerigem Licht versteht man allmählich, dass es sich in dieser Dunkelkammer mit viel erstklassiger Musik um einen außer Kontrolle geratenden Drogen-Trip von Giovanni und Leporello handelt. Am Ende kommt der Komtur als Großinquisitor. Schlechtes Gewissen oder echtes moralisches Regulativ? Auf alle Fälle schwingen beim Aufatmen aller über Giovannis Verschwinden die Teufel ihre Schweife noch immer – wie phallische Lassos zum nächsten Opferfang.

Das ist bei Bernd Mottl unterhaltsam und drastisch. Dabei wird auch klar, dass hinter der „sexistischen“ Protzerei eine recht intensive Auseinandersetzung mit aktuellen Moral-Idealen im Hier und Jetzt steckt. Für diese steht Donn’Elviras Begleiterin (Patricia Felsch): Chewinggum, Headsets und Fitness haben für dieses Retro-Girlie First Priority. Demzufolge ist sie die Frau der Gegenwart und Zukunft.

Der Chor – einstudiert von Alexandros Diamantis – spielt freudig und singt wenig: Erst ist er die Meute, bei welcher der Junggesellinnen- und Junggesellen-Abschied attacca in die Hochzeit übergeht. Später sind alle Männer unter schwarzen und alle Frauen unter weißen Brautschleiern. Hochzeit kommt als von feministischer Seite verdammtes Ritual in die Fetisch- und Party-Ecke! Noch immer ohne Alternativen, weil das Scheitern durch den diabolischen Schalk in allen menschlichen Psychen vorprogrammiert ist. Auch das sieht man in Bildern, deren Ausdrucksgewalt manchmal hinter dem Beabsichtigten zurückbleibt.

Männer haben in rauen Mengen Identitäts- und Selbstlegitimationsprobleme: Der harmlose Möchtegern-Bräutigam Don Ottavio etwa: Ihn singt Isaac Lee ohne Testosteron, aber auch ohne Schmelz. Auch die patriarchal-klerikale Autorität hat schon abgewrackt: Valentin Anikins Kleriker-Purpur über dem abgesägten Patriarchen macht mehr Eindruck als seine Stimme. Der Proll Masetto (gut: Johannes Beck) ist zwar toxisch gefährdet, wirkt gerade deshalb vital und macht bei seiner Braut Zerlina einen echt guten Stich. Ivon Mateljan als Zerlina investiert alle Energien erfolgreich in die ihr verbliebenen Partien-Reste.

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Lila-Schwarze Zirkus-Stufen ergeben ein Podest zu einer eingerahmten Bühne. An dessen Rahmen Leporello eine im hohen dreistelligen Bereich liegende Anzahl Striche in Neongrün gesetzt hat.

Absurde Strichliste: Leporellos (Kai Wefer) Protokoll von Don Giovannis Sexsportkapriolen. © Ronny Ristok

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Bleiben trotzdem vier Stars mit frustriertem Charisma: Alejandro Lárraga Schleskes Giovanni ist wirklich ein animalischer Berserker mit galantem Rollenspiel und den melancholischen Bambi-Augen eines gefallenen Engels. Die berühmte Champagnerarie gerät zur vokalen Klaue. Requiem für zwei Junkies: Sein Kompagnon Leporello springt zur Höllenfahrt Giovannis mehreren Frauen im Parkett auf den Schoß, nachdem er die Sexsport-Kapriolen Giovannis mit einer schlichten Strichliste dokumentiert hat. Kai Wefer macht als Sänger und erotischer Teamplayer einen ganz starken Job.

Von den hohen Fräuleins Donn’Elvira und Donn’Anna lässt Bernd Mottl fast nur die Primärtriebe, welche sich allerdings mit vormodernen Zuschreibungen an die „Gefühle einer Frau“ in erstaunlicher Deckungsdichte befinden. Im Finale-Epilog wird klar, dass die Besinnung auf Selbstzufriedenheit vor allem eine Sehnsucht nach dem einen ekstatischen Moment verdeckt. Anne Preuß hat trotz Strichfassung ausreichend Zeit zur Entwicklung eines distinguierten wie differenzierten Porträts. Dieses füllt sie mit innerem Adel und sängerischem Feinschliff. Einen Klick besser noch Miriam Zubietas Donn’Anna im glückenden Fachwechsel zum dramatischeren Koloratursopran. Auch das ist ein Beweis dafür, wie Mottl die altmodischen Freizügigkeiten der Bestager Ü60 und die Hasswelten der moralisch Korrekten zu fusionieren weiß. Kein perfekter „Giovanni“ also, dafür einer mit diskursfähigem Zündstoff in einer für die ADHS-Generation optimal zurechtgestutzten Aufführung.

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