Ben Baur verlegt die „Csárdásfürstin“ von Emmerich Kálmán ins Hier und Heute – so ungefähr jedenfalls.
KS Anke Berndt, Chor der Oper Halle. Foto: © Matthias Horn
Nachdenkliches in üppigen Kostümen – Emmerich Kálmáns „Csárdásfürstin“ in Halle an der Saale
So wie Jacques Offenbach und Johann Strauss gemeinhin als Protagonisten für das goldene Zeitalter der Operette im 19. Jahrhundert stehen, sind es Franz Lehár (1870–1947) und Emmerich Kálmán (1882–1953) im 20. für deren silberne Epoche. Wie auch die realen Zeitläufte diese vermeintlich leichte Muse prägen, spiegelt sich nicht nur in der genretypischen Flucht des Personals und seiner Liebeshändel in eine realitätsferne Vergangenheit und nichtexistierende Operettenstaaten. Das ist eh nur der Vorwand für die zündende und sich dauerhaft einprägende Musik. Dass Gegenwart auch brutal durchschlagen kann, sieht man schon daran, dass Lehár zu Hitlers Lieblingskomponisten zählte, während Kálmán den Rassenwahn von dessen Regime nur im US-Exil überleben konnte. Seine „Csárdásfürstin“ aus dem Weltkriegsjahr 1915 gehört wie „Gräfin Mariza“ (1924) dennoch zum Tafelsilber des Genres. So wie die doppelbödigen Prunkstücke „Orpheus in der Unterwelt“ oder die „Fledermaus“ ist diese Pseudofürstin (mit einem Namen aus Klischee, Starkult und Adelsfimmel) auch heute noch ein Nummer-Sicher-Stück für jedes Theater. So lange genügend Musikfreunden zu den Hits wie „Die Mädis vom Chantant“, „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht“, „Machen wir’s den Schwalben nach“, „Jai Mamám, Bruderherz, ich kauf’ mir die Welt“ oder dem „Tausend kleine Englein singen: Habt Euch lieb“ (nur) die dazugehörige Kálmán-Melodie einfällt, bleibt das auch so. Egal wie sexistisch man da den Unterton in Sachen Frauenbild finden mag und egal wie viele neuerdings tabuisierte Vokabeln da verbannt und durch einen Geige spielenden „Wilden Teufel“ ersetzt werden.
Musikalisch haben die Staatskapelle und der Chor die besten Karten. Der (neue) 1. Kapellmeister Andreas Wolf gönnt den Musikern die Dosis Pusta- bzw. Ungarnklischee, die dem Zuhörer gehörig Spaß macht und eigentlich auch das Zeug hat, im Saal zu zünden. Die aber auch den Protagonisten gelegentlich Mühe bereitet, sich gegenüber dem Graben zu behaupten.
Dass die Chose nicht ganz ohne Weiber geht, ist eine Operettenweisheit, gegen die sich nichts sagen lässt. Dass es für diese Nummer keinen Szenenapplaus gibt, wirkt allerdings etwas seltsam. Soviel Publikumsverführung sollte schon sein. Das mag zum Teil daran liegen, dass Robert Sellier zwar wie immer mit seinem Charme in dem Fall (als Boni) punktet, aber mit seiner vokalen Durchschlagskraft ausgerechnet in der Abräumernummer an seine Grenze kommt. Selbst Anke Berndt, die sich mit darstellerischer und vokaler Verve die Sylva Varescu als Diva anverwandelt, oder auch Vanessa Waldhart als selbstbewusste Anastasia behalten da nicht immer die Oberhand. Daniel Szeilis Edwin setzt durchgängig auf die große vokale Geste; im zweiten Teil allerdings fast nur noch auf Lautstärke. Eva Löser kann sich als Selma mit einem eingefügten The Show must go on profilieren. Und Gerd Vogel ist natürlich so versiert, dass er als Inspizient Feri weder sprechend noch singend untergeht. Der von Frank Flade einstudierte Chor hat naturgemäß kein Problem mit dem Durchkommen, sondern diesmal, dank der Choreografie von Rachele Pedrocchi (die auch fünf Showgirls im wahrsten Wortsinn Beine machte) und der Kostümfantasie von Uta Meenen jede Möglichkeit, auch sein darstellerisches Potenzial zu nutzen, Bein zu zeigen, die Hüfte zu schwingen oder sich selbst auf der Baustelle in Szene zu setzen. (Nach der „Carmen“ ist ihnen das zu gönnen, zumal es alle in pure Spielfreude ummünzen.)
vorn v. l. Robert Sellier, Matthias Brenner, KS Anke Berndt, Vanessa Waldhart, dahinter Chor der Oper Halle. Foto: © Matthias Horn
Regisseur und Bühnenbildner Ben Baur verlegt das Stück aus dem Wien und Budapest vor dem Ersten Weltkrieg ins Hier (nach Halle) und (hoffentlich nicht so bald) Heute einer bedrängten Kultur. Es wird also eine Theater-auf-dem-Theater-Geschichte, in der die Räumung des Hauses und eine Umwandlung der Immobilie in einen profitorientierten Eventtempel beschlossene Sache sind. Der Fürst von und zu Lippert-Weylersheim wird zum XL-Baulöwen und Immobilien-Deal-Maker, der eben auch ein Theater kauft. Sein Sohn Edwin bleibt der Filius, der die Diva des vom Papa aufgekauften Theaters liebt, gegen seinen Willen kurzerhand mit Anastasia verlobt wird, die noch auf der Baustelle zum ausrangierten Intendanten Boni wechselt. Sylva Varescu wiederum kämpft (was sonst) für den Erhalt des Theaters, gibt sich auf dem Richtfest als reiche Investorin aus (wobei man von Liquiditätsproblemen vorher nichts hört), wird vom schnell besoffenen Betonfürsten so brüskiert (sprich: begrapscht), dass der ihr am Ende das Theater sogar schenkt. Was sie gleich weiter an ein halbes Dutzend ihrer Kolleginnen weiterreicht (ein Schelm, wer sich da eins feixt). Das ist vor allem nach der Pause in eine gehörige Dosis von Betroffenheit und Theaterprosa und Baustellenslapstick verpackt. Natürlich sitzt auf dem Dixi-Klo jemand, wenn einer die Tür aufmacht; natürlich dreht man sich mit einem Rohr unterm Arm so um die eigene Achse, dass andere getroffen werden (müssten). Das wird tatsächlich witzig, wenn Matthias Brenner als Betonfürst zum besoffenen Parvenü mutiert und Sylva für ihre Baustellenshow mit der Würde des Besuchs der alten Dame, vor allem aber mit einem Hut wie dem von Melania auftaucht, mit dem sie sich ihren Donald von der Wange gehalten hat. Über das Werbeplakat „MAKE OPERA GREAT AGAIN“ neben der Oper Halle und einem goldschimmernden Hochhaus dahinter, mag man gesondert nachdenken.
Zur tollen Musik von Kálmán und üppigen Kostümen gibt’s durchaus Nachdenkliches. Manchmal freilich kommt es einem so vor, als ob der zu lauwarme Sekt in der Pause, besser zur Inszenierung passte, als er sollte.
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