Als Katharina Wagner den Regisseur der neuen „Meistersinger“-Produktion bekannt gab, wunderten sich viele, weil sie sich bei ihrer Auswahl mal nicht im Reservoir der bekannten Wagner-Regisseure bedient hatte. Der 1962 in Münster geborene Regisseur Matthias Davids ist eher durch seine Musical-Inszenierungen bekannt geworden, hat sogar selbst Hauptrollen in „Jesus Christ Superstar“, „West Side Story“ oder „Grease“ gespielt, bevor er zur Regie wechselte. Zwei Wochen vor der Eröffnungspremiere im Bayreuther Festspielhaus nahm er sich Zeit für ein Gespräch mit unserem Autoren Joachim Lange.

Matthias Davids
Neue Meistersinger-Produktion in Bayreuth – Regisseur Matthias Davids im Gespräch mit Joachim Lange
Wie kommt man vom Musical zur Oper – ist der Sprung nicht recht groß?
Jein. Ich habe auch vorher schon Oper inszeniert, sitze aber von außen betrachtet hauptsächlich in der „Musicalfachecke“. Daher wahrscheinlich auch die Irritation, als mein Name fiel. Aber von Barock bis Modern habe ich immer auch schon Oper inszeniert. Ich habe einen klassischen Background. Deshalb ist es jetzt nicht so ein großer Sprung, wie es scheint.
Vom Musical zur Oper
Und dann gleich Wagner in Bayreuth?
Natürlich ist Wagner immer noch mal eine andere Geschichte. Die „Meistersinger“ in Bayreuth sind überhaupt mein Wagner-Debüt. Die Länge und Komplexität des Stücks stellen eine besondere Herausforderung dar. Ich denke aber, das gilt für jeden. Insofern war der Anruf von Katharina Wagner selbstverständlich eine Überraschung. Auf jeden Fall eine schöne.
Haben Sie lange gezögert?
Ich habe tatsächlich ein bisschen Zeit gebraucht, weil ich mit Katharina Wagner auch über die Herangehensweise gesprochen habe. Sie meinte, dass sie sich eine Konzeption vorstellen könnte, die die Leichtigkeit, die auch in den „Meistersingern“ steckt, beleuchtet. Da liegt wahrscheinlich die Verbindung zum Genre Musical. Wobei es natürlich ein verkürztes Klischee ist, dass Musical immer nur leichte Kost ist. In dem Genre gibt es Komödie und Drama, Populäres und Avantgardistisches, genauso wie in der Oper. Auch die „Meistersinger“ wollen ja letztendlich unterhalten. Wagner wollte endlich mal Geld verdienen mit seinen Werken.
Die Vorgängerinszenierung von Barrie Kosky war zumindest im ersten Akt schon die pure Unterhaltung …
Ja, aber bei Kosky lag dann das Hauptgewicht auf der Beschäftigung mit Antisemitismus. Da habe ich andere Schwerpunkte.
Bei Katharina Wagners Inszenierung war es so, dass sie sich um die innere Struktur, um die Figurenkonstellationen gekümmert, ja sie in gewisser Weise geknackt hat. Machen Sie das auch?
Aus dem, wie die Figuren in der Oper enden, ergibt sich meine Sicht auf sie. Es stellt sich ja zum Beispiel die Frage, ob es so etwas wie eine Art Happyend gibt.
In den Regieanweisungen lehnt z. B. Eva ihren Kopf an die Schulter von Walther von Stolzing. Dazu muss ich mich verhalten. Ich sehe das natürlich anders. Es gibt kein Friede-Freude-Eierkuchen-Ende. Heute sind ganz andere Konstellationen denkbar, wie die Figuren enden könnten. Also wer mit wem zusammen ist und wer am Ende etwas verloren hat.
Zum Beispiel, ob Beckmesser wieder auftaucht oder verschwunden bleibt.
Ja (lacht, sagt aber nicht, was passiert).
Im Ernst: Ich finde, man darf das nicht so aufs Ende reduzieren. Das wäre total mühsam. Vorher gibt es so viele gute Geschichten mit interessanten Figuren. Das sind komplexe Charaktere. Es ist spannend, sich mit denen auseinanderzusetzen, und zwar ohne großen Überbau.
Von nachvollziehbaren Menschen und dem Humor
Das Reizvolle bei den Meistersingern sind nachvollziehbare Menschen, wie sie so oft bei Wagner nicht vorkommen …
Genau so ist es. Und das verpflichtet einen, genau das zu beleuchten. Ich habe das Gefühl, wenn ich einen zu großen Überbau darüberstülpen würde, würde der mich dazu zwingen, Dinge mit den Figuren zu tun, die ich gar nicht machen möchte oder die die Figuren nicht hergeben, die ich dann nur behaupten, aber nicht einlösen könnte.
Ist es nicht besonders schwierig, die „Meistersinger“ gerade hier in Bayreuth zu inszenieren, neu zu denken …?
Dadurch, dass ich nicht so im Mustopf von Wagner sitze, fühle ich mich eigentlich erstmal freier. Natürlich kommen bei den Proben immer mal Bemerkungen wie: Das haben wir damals so oder so gemacht. Und dann kann ich immer nur erwidern: Aha, dann ist ja gut, dass wir die „Meistersinger“ machen, damit können wir beim Thema „Wir haben das immer so gemacht“ oder „Das ist eine gesetzte Tradition“ schauen, ob das heute immer noch so gilt. Darum geht es ja in der Oper auch inhaltlich. Insofern nehme ich mir heraus, mit Lust zu interpretieren und zu inszenieren.
Sind Sie bewusst unvoreingenommen, neu herangegangen?
Natürlich arbeitet man sich durch die Rezeptionsgeschichte, bis einem der Kopf raucht. Man häuft ein Wissen an, das dann aber wenig damit zu tun hat, wie man das Stück auf die Bühne bringt. Am Ende kann ich den Leuten vielleicht einen Vortrag über die Rezeptionsgeschichte halten. Das heißt aber noch lange nicht, dass das auf der Bühne auch sichtbar wird und Lust macht. Es geht mir darum, die Geschichte zu verstehen und verständlich zu machen.
Es sollen also unterhaltende „Meistersinger“ werden …
Ja, es soll das herausgekitzelt werden, was darübersteht, nämlich komische Oper. Als ich den Anruf bekam, dachte ich: Ui – es ist ganz schön schwierig, vier Stunden einen Witz zu erzählen. Natürlich ist das Stück über lange Strecken nicht komisch. Die Komik machen die Schwächen der Menschen aus, die alle mit Unwahrheiten durch die Welt laufen und sich Dinge zurechtlegen, die nicht aufgehen. Das ist etwas zutiefst Menschliches. Da ist mir Loriot ein Vorbild, der die menschlichen Schwächen mit Liebe aufdeckt. Das Wort Komik ist gefährlich, man erwartet womöglich Comedy. „Humor“ trifft es wohl besser.
Aber es gibt in den „Meistersingern“ viele komische Situationen. Hans Sachs ist für mich eine viel leichtere Figur, als die sie oft interpretiert wird.
Beckmesser hat ja mit seiner spöttischen Bemerkung, dass Sachs ein Spitzbube sei, irgendwie recht …
Der Sachs ist ein Schlitzohr. Er ist im Grunde für die Prügelfuge verantwortlich. Deshalb mag ich auch diese beiden Figuren, die für mich in gewisser Weise zusammengehören. Es sind sich messende Personen, die Lust haben, den anderen reinzulegen, herauszufordern und bei seinen Schwächen zu packen.
Auch Sachs hat seine Probleme. Aber ich sehe ihn nicht als melancholischen, mittelalten Mann. Ich sehe ihn als einen aktiven, vital Handelnden, der den Verein, den er kritisiert, nicht gleich aufgeben will.
Auf der anderen Seite ist Beckmesser einer, der oft ins Fettnäpfchen tritt, aber trotzdem ungebrochen mutig bleibt. Allein, wenn er am Balkon steht und hoch plärrt. Das ist absurd.
Provokation ist also nicht das Ziel …
Na ja, was ist schon Provokation? Nach einer Weile kommt man zu dem Schluss, dass man nur das machen kann, was man empfindet, woran man auch Spaß hat …
Wenn ich die Frage gestellt bekomme, ob man lachen darf, finde ich das einfach einen falschen Gedanken. Ich glaube, dass dann, wenn gelacht wird, auch die ernsten Momente stärker wirken, als wenn es die ganze Zeit erdenschwer zugeht.
Jedenfalls macht es Spaß, auf den Proben miteinander über das Stück, was an Gedanken in ihm steckt, und die Figuren zu reden. Wie steht denn Eva beispielsweise dazu, dass ihr Vater sie als Preis verhökert … Das ist doch ein starkes Stück!
Wie weit holen Sie die „Meistersinger“ an die Gegenwart heran?
Meine Inszenierung spielt in einer Gegenwart, die nicht konkret lokalisiert ist. Es wird heutige Kostüme geben, die aber collagiert sind. Aber keine Handys zum Beispiel. Die Geschichte ist mir wichtiger als ein konkreter Zeitbezug. Aber der Schuster darf schon Schuster bleiben. Wissen Sie, Konzepte müssen schon wasserdicht sein. Die Götter aus Barockopern kann man leicht in eine andere Zeit versetzen. Aber wenn es eine konkretere Geschichte ist …
The Bayreuth-Vibes
Wie ist die Arbeitsatmosphäre hier?
Gut! Ich bin ganz erstaunt, wie campusartig sich das anfühlt. Wagner in allen Räumen, das ist wirklich faszinierend. Man geht an allen möglichen Türen vorbei und hört diese oder jene Wagner-Oper … Und jede und jeder – vom Sänger bis zur Bühnenarbeiterin – brennt hier für die Sache.
Sind Sie Wagnerianer?
Wann ist man denn Wagnerianer? Ich würde keinen Komponisten über alle anderen stellen. Aber ich habe ja als Hornist angefangen. Da kommt man unweigerlich ganz schnell mit Wagner in Kontakt. Schon deswegen begleitet er mich mein Leben lang.
Mein musikalisches Interesse ist sehr breitgefächert. Ich kenne auch viele klassische Musikerinnen und Musiker, die in ihrer Freizeit Jazz machen. Unser Generalmusikdirektor in Linz, Markus Poschner, ist zum Beispiel auch ein riesiger Jazzfan und ein fantastischer Jazzpianist.
Wie ist die Zusammenarbeit mit Daniele Gatti?
Die ist gut. In der Opernwelt sind Musik und Inszenierung für mich oft überraschend stark getrennt. Im Musical gibt es immer eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden.
Bei Rezensionen wird ja die Bewertung von Regie und Musik auch oft so getrennt, als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun. Richtig finde ich das nicht. Im Idealfall hat man eine Produktion zusammen herausgebracht und steht gemeinsam für sie ein.
Bei uns ist die Kommunikation gut. Wir haben uns mehrfach getroffen und die Kalender aufeinander abgestimmt.
Was mir wichtig war, ist, dass zur Leichtigkeit auch die Tempi gehören. Wenn schon die Ouvertüre staatstragend daherkäme, würde ich das Ganze nicht mehr einfangen können. Ich präferiere zügige Tempi. Aber man darf nicht übertreiben, weil die „Meistersinger“ sehr dialoglastig sind. Die Dialoge sind schnell und schwer verständlich. Man muss sicherstellen, dass das Publikum die Geschichte versteht.
Wie sind Sie mit der Sängerauswahl zufrieden?
Die ist super! Es sind alles wirklich tolle Sängerinnen und Sänger, die auch wunderbar schauspielern. Das kann ich wirklich explizit so sagen. Ob Georg Zeppenfeld, der nicht nur sehr textverständlich singt, sondern auch ein intelligenter Darsteller ist. Oder Michael Spyres, der alles aus dem Text heraus entwickelt. Er liefert nicht nur Schöngesang, sondern geht mit dem ganzen Körper in die Rolle. Genau wie Christina Nilsson, in der man immer noch die pubertierende Eva sehen kann. Das ist toll, weil es die Spannung zwischen Sachs und Eva möglich macht. Dazu der jugendlich spielfreudige Spyres – das passt alles toll zusammen.
Obwohl das eher die Standardfrage für den Dirigenten ist, aber wie kommen Sie mit der Akustik des Festspielhauses klar?
Die Akustik ist ein Wahnsinn! Trotzdem mussten wir, mein Bühnenbildner Andrew D. Edwards und ich, herausfinden, wie man das Bühnenbild so konzipiert, dass es den Sängerinnen und Sängern entgegenkommt. Das ist eine Herausforderung. Und dann muss man aufpassen, dass das Orchester nicht überpowert. Auf die Balance zwischen Stimmen und Orchester kommt es an, damit man auch noch den Text verstehen kann.
Es gab ja Debatten zu den Veränderungen beim Festspielchor – wirkt sich das aus?
Es ist ja ein teils neu zusammengestellter Festspielchor mit 100 Choristinnen und Choristen und ein Sonderchor mit 34 Mitgliedern. Alle Beteiligten sind mit viel Freude und großem Engagement bei der Sache. Und es wird auch getanzt …
Chordirektor Thomas Eitler-de Lint hat eine tolle Arbeit geleistet. Zumal man hier in Bayreuth schnell sein muss. Mit dem Lernen und dem Umsetzen. Prügelfuge und Festwiese sind extrem komplizierte Szenen, die verlangen einiges. Geordnetes Riesenchaos in der Prügelfuge; bei der Festwiese kann man die Leute aber auch nicht einfach herumstehen lassen. Da bin ich froh, den Choreographen Simon Eichenberger an meiner Seite zu wissen.
Und generell die Arbeitsbedingungen – sie wirken kurz vor der Premiere relativ entspannt …
Wo kann man schon ab dem ersten Tag in der Originaldekoration proben? Das ist ja nun alles andere als selbstverständlich. Aufs Ende zu wird die Zeit immer knapp. Aber das ist hier tipptopp. Die Technik kann man nur loben; die sind ständig am Auf- und Abbauen – alles in einer Stunde samt Ausleuchten. Das funktioniert tadellos.
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