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Reihe 9 in Operaen. Store Scene (Kopenhagen). Foto: mku

Reihe 9 in Operaen. Store Scene (Kopenhagen). Foto: mku

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Reihe 9 (#108) – Wenn's mal klemmt

Vorspann / Teaser

In der Oper oder im Musical ist es wie im großen Konzertsaal: Die meisten Mitar­beiter:innen des Hauses bekommt das Publikum kaum zu Gesicht. Die Orches­terwarte haben bereits vor Beginn des Abends die Stimmen auf die Pulte gelegt, das Licht ist eingerichtet und die Kostüme sind seit Wochen geschneidert. Im großen Haus schieben, hämmern und richten die Bühnenarbeiter die Kulissen – während unsereins noch beim Julefrokost sitzt oder nach der Vorstellung wieder auf dem Weg ins Hotel ist. Man sieht sie alle nur selten – es sein denn …

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Manchmal muss man als Autor einer Kolumne auch „Glück“ haben. Denn es kommt schon einmal vor, dass man sich auf ein Konzert oder eine Vorstellung richtig freut, aber noch unentschlossen ist, was denn nun der „Aufhänger“ des Monats sein wird. So erging es mir jüngst in Kopenhagen. Tatsächlich tendierte ich zunächst zum Ballettabend mit Tschaikowskys Nussknacker – unvermeidlich in der Vorweihnachtszeit und so herrlich bunt und „süß“ im Bühnenbild, dass einem die Zähne wehtun konnten. Doch wer mag schon über die Zuckerbäckerei schreiben, die mit Rolf Zukowskis lustigem Lied derzeit allenthalben aus den Lautsprechern tönt? Dann eher Leonard Bernsteins West Side Story – die um ein Haar als East Side Story in die Musikgeschichte eingegangen wäre. Die Oper in Kopenhagen weiß ziemlich genau, wie man in den Wochen vor Weihnachten und in ernster Konkurrenz zum Tivoli die Reihen in beiden Häusern auch mit jungem Publikum füllt. Respekt!

Dann ist es soweit. Nach den üblichen Hammerschlägen, die im Großen Haus den Beginn der Vorstellung für alle hörbar verkünden, wird der Saal plötzlich von erwartungsvoller Stille erfüllt. Die ersten Töne erklingen, ein Teil der Bühne wird spektakulär angehoben, der halbdurchsichtige Gaze-Vorhang läuft mit, man sieht schon die Beine der „Jets“. Plötzlich bleibt alles stehen. Während hinter der Bühne und an den Seiten vermutlich hektisch nachgeschaut wird, was passiert ist, läuft das musikalische Vorspiel noch einen Moment weiter, bis es mit einem Wink abgebrochen wird.

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Rien ne va plus. Stillstand im Opernhaus Kopenhagen. Foto: mku

Rien ne va plus. Stillstand im Opernhaus Kopenhagen. Foto: mku

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Man kann gar nicht so schnell schalten, wie die in grau-schwarz gekleidete und verkabelte Inspizientin (der Trekkie fragt sich: Seven of Nine?) auf die Bühne tritt, die Situation knapp erklärt und ebenso rasch wieder abgeht. Erst mit dem dann etwas später einsetzenden Re-Start wird klar, wie anspruchsvoll die Maschinerie fährt. In wirklicher Erinnerung aber bleibt ein ebenso peinlicher wie unhörbarer Ausruf einer selbstbewusst auftretenden Deutschen mittleren Alters: „Da werden morgen Köpfe rollen!“ Was für eine unsägliche Arroganz! Die Zeiten der Jakobiner sind erfreulicherweise längst vorbei (und werden hoffentlich nie wiederkommen). Ob so ein Ausspruch wohl auch einen gelegentlich ausfallenden Server trifft? 

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Am Theater hingegen arbeiten Menschen und komplexe Technik auf den Moment genau eng zusammen. Und da „passiert“ auch einmal etwas. Das ist für alle oder die, die es im Detail bemerken, nunmal das Salz in der Suppe. – Daher: „The show must go on“. Und so amüsierte ich mich später eher darüber, wie im Cool der freitonal fugierte Kontrapunkt lustvoll über die noch sitzenden Köpfe hinwegrollte. 

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Reihe 9

Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.

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