Jubiläen lassen sich ganz unterschiedlich begehen. Die einen veranstalten eine „große Sause“ mit zahlreichen Prominenten und geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur (in dieser Reihenfolge!), andere gehen es etwas kleiner an mit einem (langweiligen) Festakt und Kaugummi-Reden, bei denen die klingenden Töne meist zum bloßen Beiwerk gerinnen (auch hier dabei: die genannten obligatorischen Gäste) – oder man veranstaltet einfach einen Abend, bei dem die Musik im Mittelpunkt steht. Dass diese Variante nicht nur mir die liebste ist, konnte man in Markkleeberg erfahren. Knapp vor der südlichen Stadtgrenze Leipzigs lud die Sächsische Bläserphilharmonie zu einem Konzert, bei dem sich unter dem Motto „75 Karat – ein funkelndes Jubiläum“ das Orchester einfach selbst feierte.
Reihe 9 im Großen Lindensaal (Rathaus Markkleeberg). Foto: mku
Reihe 9 (#107) – 75 Karat
Denn feiern durfte man sich wirklich. Dabei ist die Sächsische Bläserphilharmonie in der deutschen Orchesterlandschaft ein oft übersehener Schatz. Unter den 129 professionellen deutschen Konzert- und Theaterorchestern spielt sie als einziges in sinfonischer Bläserbesetzung (und zudem in der Tarifklasse „A“). In der Region hat die Bläserphilharmonie schon lange ihren festen Platz, doch mit ihrer herausragenden Klangkultur und künstlerischen Exzellenz erobert sie nun auch die internationale Musikwelt. Dabei hat das Orchester in seinen 75 Jahren viele Höhen und Tiefen erlebt: 1950 als Rundfunk-Blasorchester Leipzig (RBO) gegründet, war es zunächst dem Rundfunk der DDR zugeordnet. Nach der „Wende“ und der greifbar nahen Auflösung erlebte das Ensemble eine Phase der Neuorientierung. Dank des anhaltenden Engagements zahlreicher Musiker:innen und der Unterstützung durch Persönlichkeiten wie Kurt Masur konnte das Orchester erhalten bleiben und erweiterte in der Folge sein Repertoire. 2010 erfolgte die Umbenennung in Sächsische Bläserphilharmonie. Seit 2021 ist Peter Sommerer Chefdirigent – und unter seiner künstlerischen Leitung lassen sich die Erfolge sehen und hören; 2026 steht das Debüt in der Carnegie Hall (New York) an.
Dass dabei nicht vergessen wird, wo man beheimatet ist, der Spagat zwischen dem Konzert-Alltag und den nationalen wie internationalen Events spielerisch gelingt, ist sicherlich eine herausragende Eigenschaft der Sächsischen Bläserphilharmonie. Ablesbar ist dies an vielen Dingen: an einem kleinen und innovativen Management, daran, dass nicht wenige Musiker:innen nach dem Konzert noch zusammenstehen, daran, dass die immer wichtiger werdende Musikvermittlung in Schulen einen breiten Raum einnimmt, und last but not least an einer interpretatorischen Qualität, weil es im Prinzip keine Tuttisten gibt und geben kann, die nur als Passagiere mitreisen.
Eingangsbereich zum Lindensaal. Eine Welt in s/w. Foto: mku
Anders wäre ein Programm auch nicht machbar, das gleichermaßen Fučiks Florentiner Marsch (zauberhaft leicht gespielt) wie auch Wagners Vorspiel zu Parsifal (intonatorisch verblüffend rein) oder Ravels „La valse“ (was für Feuer!) umfasst. Um die Musik-Versorgung auf höchstem Niveau auch im vorstädtischen Raum muss man sich da wirklich keine Sorgen machen. Eher würde ich mir eine noch größere Wirksamkeit außerhalb der Region wünschen. Denn die einmalige, von der französischen Tradition inspirierte Besetzung (sowie die charmante Moderation von Peter Sommerer) spricht auch ein Publikum an, das man nicht unbedingt als „affin“ bezeichnen würde. Der Applaus jedenfalls war so warm, dass die obligatorischen Zugaben mit Freude aufgenommen wurden. Lange habe ich nicht mehr ein so unverstelltes, ehrliches „Anrechtskonzert“ besucht (ja, so nennt sich in Markkleeberg das Abonnement wirklich noch).
Reihe 9
Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.
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