Beim Stichwort Fledermaus kann man wahlweise an den Operettenklassiker von Johann Strauß oder auch an Artenschutz denken. In Dresden geht beides gleichzeitig … Die Intendantin der Staatsoperette Kathrin Kondaurow hat das unverwüstliche Prunkstück des Genres, das es mühelos auch schon auf jede renommierte Opernbühne geschafft hat, jetzt, sozusagen zuständigkeitshalber, in ihrem Haus als Chefinnensache inszeniert. Offenkundig mit einer Art Liebe zum Stück, die nicht jedem gefiel.
Und die besonders dem Gefängniswärter Frosch, dem im dritten Akt allemal der direkte satirische Brückenschlag in die Gegenwart vergönnt ist, einiges an Stehvermögen abverlangte. Jan Jaroszek musste für den von Jan Neumann beigesteuerten, elegant improvisiert klingenden Zeitgeist-Rundumschlag gegen etliche vermeintliche Artenschützer im Saal („Ich dachte ich bin in der Operette“) mit professioneller Lockerheit anspielen. Marcus Günzel hatte es da mit seinem Prinzen Orlofsky, den er atemberaubend zwischen Falsetthöhe und tiefem Bariton, als ausgeflippten Millionär und erotischen Allesfresser (gelegentlich auch wörtlich) hinlegte, deutlich leichter – er wurde zum heimlichen Star. Und das in einer Inszenierung, deren Ästhetik durchaus etwas Programmatisches hat, gleichwohl niemanden verschrecken muss.
Sie sieht zwar nicht wie bei Otto Schenk in Wien aus (dem der Frosch sogar seine Referenz erweist), ist aber allemal eindeutig zu erkennen. Auch wer „nur“ auf das musikalische Déjà-vu aus ist, kommt zu seinem Recht. Vor allem weil Drive und Tempo stimmen, die Christian Garbosnik am Pult des Orchesters vorgeben, und die Protagonisten (fast durchweg eine Doppelbesetzung!) alle Register ziehen. Inklusive der Sprechtexte, die mit ihrem dezenten Dreh ins Ironische nichts von Peinlichkeit haben. Besonders Nicole Lubinger als Rosalinde und Christina Maria Fercher als deren Stubenmädchen Adele, aber auch Alexander Geller als Schlawiner Gabriel von Eisenstein und Nikolaus Nitzsche als Strippenzieher des Ganzen Drumherum Dr. Falke, mit dem er sich an seinem Freund Gabriel für eine Blamage von einst rächt.
Das läuft in der ziemlich genialen Grand-Hotel-Bühne von Volker Thiele wie ein mit etlichen running-gags gut geöltes Komödienuhrwerk ab. Eingerahmt von einem Foyerambiente samt Rezeptionstresen finden sich auf der Drehbühne alle Räume, die gebraucht werden. Dass das die Bühne für die ewige Theatergeschichte von den Menschen im Hotel ist, macht der Vorhang deutlich. Inklusive der Kostüme von Anke Aleith wird so die Entstehungszeit nicht nur mit Art-déco-Opulenz und 30er Jahre-Revueästhetik garniert, sondern erlaubt auch einen Seitenblick auf die Gegenwart. So eine revueaffine Eröffnungspyramide wie für den Ball von Orlofsky bekommt man nicht oft zu sehen. Seinen Ausflug in die Gegenwart startet (Rezeptionist) Frosch dann vor dem geschlossenen Vorhang auf der Bühne und trifft damit – so oder so – ins Schwarze.
Schon während der Ouvertüre eskaliert die Anreise von Orlofsky und seiner Entourage von der Hotel-Geschäftigkeit in die Hektik jener Intrige, mit der Dr. Falke exemplarisch die Doppelmoral im Hause Eisenstein vorführen wird. Wobei – so ganz nebenbei – auch die gegensätzlichen Lebenswelten nicht ausgeblendet werden. Von Adele und Co. im backstage des Hotels bis zu dem mit Dollarnoten um sich werfende Orlofsky in der Luxussuite.
Die Kürzung und Bearbeitung der Originaldialoge erspart allen das Risiko, im Pseudo-Wienern zu verunglücken und dem Advokaten Dr. Blind (Riccardo Romeo) das Stottern. Rosalinde darf ihre „Klänge der Heimat“ etwas separiert aber als grandiose Einzelnummer über die Rampe schmettern. Und die von Sven Helbig fürs Operettenorchester arrangierten Einlagen wie die von Billie Eilishs „Bad Guy“ passen wie ein maßgeschneiderter Pop-Musicalimport in diese dekadente Prinzen-Party. Deren Gelingen liegt nicht zuletzt am Beitrag der von Radek Stopka choreografierten hauseigenen Balletttruppe.
Der Staatsoperette ist hier eine „Fledermaus“ gelungen, die den Sowieso-schon-Operettenliebhaber ebenso begeistern kann, wie den Neuling, der es mal probieren will. Selbsternannte Artenschützer hin oder her.
- Nächste Vorstellungen: 27.06., 28.06., 06.07., 07.07., 15.07. (immer 19.30) und am 16.07.2023 (15.00)