Mozarts und DaPontes „Hochzeit des Figaro“ ist sicher mehr als eine Komödie. Schon mit Blick auf die Entstehungszeit mit ihrem Widerschein der Zeitenwende am Ende des 18. Jahrhunderts. Vor allem in Frankreich, wo dieses Wetterleuchten der großen Revolution schon in der verarbeiteten Vorlage von Beaumarchais aufscheint, aus der die beiden ihren Operngeniestreich gemacht haben. Figaros berühmte Aufforderung zum Tanz an den übergriffigen Grafen hat nichts Geselliges. Auch wenn da einer die Faust vorerst nur in der Tasche ballt und seinen Widerstand dann viel subtiler einfädelt.
Übergriffe als Chefsache – Volltreffer: Mozarts „Figaro“ in Meiningen auf Komödien-Hochtouren gebracht
Am Ende verbünden sich mehr oder weniger alle gegen den Grafen Almaviva, weil der aus seiner herausgehobenen gesellschaftlichen Stellung das Recht zum sexuellen Übergriff ableitet. Diese Ausnutzung eines Machtgefälles hat sich bekanntlich auch in postemanzipatorischen Zeiten als zählebig erwiesen ….
Dass nicht alles aus dem Ruder läuft und die latent rumorende Gewalt auch ausbricht, ist vor allem der listigen Weitsicht der Frauen im Stück zu verdanken. Wie sich nicht nur Susanna, sondern auch Marzellina und Barbarina mit ihrer Partnerwahl und Lebensplanung letztlich durchsetzen und wie sich die Gräfin (zumindest innerlich, vielleicht auch äußerlich) emanzipiert, das hat geradezu feministische Züge.
Das Geniale und damit Relevante bei Mozart und Da Ponte ist aber, dass sie nicht nur gegen den Adel blank ziehen, sondern auch gleich noch die Kritik am antizipierten nachrevolutionären Frauenbild der Männer mitliefern und das Ganze in eine Komödie verpacken!
Genau darauf setzt die neue, vom Premierenpublikum mit Begeisterung aufgenommene Meininger Neuinszenierung. Schon, wie der junge GMD Killian Farrell mit der Hofkapelle bei der Ouvertüre durchstartet, weist dem Abend den Weg. Es bleibt so flott und zupackend dramatisch, hängt auch dann nicht durch, wenn es mal melancholisch wird. Auch auf der Bühne geht es um Tempo, um Witz, ums pralle Leben mit allem Auf und Ab. Philipp M. Krenn (Regie) und Walter Schütze (Ausstattung) verlegen den tollen Tag, wie es in der Vorlage noch hieß, in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Aus dem Adelsschloss wird die Werbeagentur ALMAVIVA LLC, die, laut gerahmter Urkunde, 1962 das Branchenunternehmen des Jahres war. Der Slogan „Der Anzug sagt viel, die Krawatte sagt alles“ dürfte daran seinen Anteil gehabt haben. Er ziert das Großraumbüro mit seinen Schreibtischen samt Schreibmaschinen und Wählscheibentelefonen mit grandios durchgestylten Damen dahinter. Hier flirtet nicht nur der Chef ungeniert, hier wird vor allem von den eifrigen Herren in ihren Anzügen bei der Arbeit geraucht, auch mal zum Drink gegriffen. Hier kommt die Frau des Chefs mit einer Aura wie Grace Kelly mit großen Dior-Einkaufstüten hereingeschneit, um sich im Salon hinterm Büro erstmal vom Shoppen zu erholen. Hier stellt der Lehrling (Cherubino) fast allen Frauen nach, während sich der Chef im Moment auf Susanna konzentriert.
Dass Cherubino in ein Kükenkostüm gesteckt und in einem Akt kollektiven Mobbings durch alle Räume gescheucht wird, hat da etwas von Ersatzhandlung. Marcellina und Bartolo haben ihren sicheren Platz im Unternehmen. Vermutlich, weil sie zu viel wissen. Susanna wiederum arbeitet im Bunde mit Figaro emsig an ihrem beruflichen Aufstieg. Gibt sich nach außen bieder, hat aber ein Gespür für die Gefahren, die der Aufstieg mit sich bringt.
Diese fabelhaft präzise, bis in die Nebenräume und hinteren Winkel durchinszenierte Bürogeschäftigkeit erinnert an die Zeiten, als das Neueste aus der „Firma Hesselbach“ noch dem Schwarz-Weiß-Fernsehen die Zuschauer sicherte. Das gibt es hier in Farbe. In einer ziemlich clever konstruierten, opulenten Drehbühne, die den fliegenden Wechsel zwischen Schreibbüro, Konferenzraum, WC in mehreren, gut einsehbaren Varianten und einer Abstellkammer neben dem Salon des Chefs. In der versteckt sich erst Cherubino und dann gerade noch rechtzeitig im Tausch Susanna bevor Almaviva die Tresortür mit einem Schweißbrenner öffnen will. Dass dabei seine heimliche Playboysammlung zur Vorschein kommt, ist einer der von der Regie zugespitzten szenischen Gags. So wie Bartolos Rachearie, mit der er das stille Örtchen zu einem ziemlich lauten Ort macht. Zur großen Maskerade kommt man u.a. als Fred und Wilma Feuerstein oder als Kirk und Spock (und erntet dafür Szenenapplaus).
Dass sich freilich Susanna ihren Figaro so selbstbewusst zu einem Quicky im Büro auf den Schoß setzt, ist wohl mehr ein Vorgriff auf die Freizügigkeit, die es vor ‘68 so nicht gab. Insofern spielt die Regie mit einer ähnlichen Vorahnung von eingreifenden, revolutionären Verhaltensänderungen wie schon Mozart und DaPonte. Das Ganze funktioniert hier wie dort fabelhaft.
Am Ende, wenn der Text das große Verzeihen behauptet und die Musik das subversiv unterläuft, sitzt die Gräfin auf dem Schreibtisch und hat die Designer-Koffer schon gepackt. So wie das hier endet, wäre man auf die Fortsetzung gespannt. Bei der charismatischen Noblesse, die Emma McNairy für ihre Gräfin aufbietet, die auch mit etwas weniger vokaler Verve auskäme, kann man wohl davon ausgehen, dass eine Scheidung ihrem Mann teuer zu stehen kommt. Johannes Mooser überzeugt als autoritätsbewusster Chef mit seinem Hab-Dich-nicht-so- Habitus. Monika Reinhard gelingt es als Susanna mit ihrer wunderbar differenzierten Spielweise eine gewisse vokale Zurückhaltung auszugleichen. Johannes Schwarz wiederum vermag seinen sympathischen Durchschnitts-Aufsteiger Figaro, mit tadelloser stimmlicher Prägnanz aufzuwerten.
Für den pubertierenden, zierlich androgynen Cherubino ist Sara-Maria Saalmann nicht nur ein Hörgenuss, sondern auch optisch eine geradezu idealtypische Besetzung. Wunderbar kraftvoll und mit einem Faktotum-Bonus machen Marianne Schechtel und Selcuk Hakan Tiraşoğlu aus dem „alten“ Paar Marcellina und Bartolo zwei prachtvoll komödiantische Hingucker. Auch sonst: perfekte Unterhaltung mit Hintersinn. Inklusive der grandiosen Putzfrau am Ende der Pause.
Bei den Salzburger Festspielen hatte Martin Kusej „Figaros Hochzeit“ die Komödie gründlich ausgetrieben, und dann mit einem Schwamm drüber verblüfft bzw. verärgert. In Meiningen ist es genau andersrum. Hier kommt die Komödie auf Touren, ohne so zu tun, als kämen alle ungeschoren davon. Ein Volltreffer!
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