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Ekaterina Gubanova (Ortrud), Martin Gantner (Friedrich von Telramund) und Herren des Staatsopernchors. Foto: Monika Rittershaus
Ekaterina Gubanova (Ortrud), Martin Gantner (Friedrich von Telramund) und Herren des Staatsopernchors. Foto: Monika Rittershaus
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Verblendet: Calixto Bieitos „Lohengrin“-Interpretation an der Berliner Staatsoper

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„Publikumspremiere“ – das ist auch so ein Begriff, den wir Corona verdanken und auf den man gerne verzichtet hätte. Die Premiere der Neuinszenierung von Richard Wagners „Lohengrin“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden fand schon am 13. Dezember 2020 statt. Es war allerdings eine gestreamte (Peter P. Pachl hat sie hier am 14. Dezember 2020 ausführlich besprochen). Damals schaute man schon deshalb zumindest mal rein, weil Roberto Alagna hier die Rolle singen sollte, vor der er 2018 in Bayreuth kurz vor der Premiere die Flucht ergriffen hatte.

Vor einem Jahr standen ihm Vida Miknevičiūtė als Elsa von Brabant und René Pape als König zur Seite. Von der Erst-Premieren Besetzung sind jetzt Adam Kutny als Heerrufer, sowie Martin Gantner und Ekaterina Gubanova als Friedrich von Telramund und Ortrud mit von der Partie. Live im Graben stand jetzt nicht mehr Komponist Matthias Pintscher, sondern Thomas Guggeis. Der von Daniel Barenboim geförderte, 1993 geborene Dirigent hat sich längst eigenständiges Renommee erworben. Er ist der designierte Nachfolger von Sebastian Weigle als GMD des Frankfurter Opern- und Museumsdirektors.

Dass das dunkle Paar auch live höchst überzeugend seine Intrigen zu spinnen vermag, das war klar. Martin Gantner ist ein ebenso mustergültiger Telramund wie sich Ekatarina Gubanova als eine fulminante Ortrud bewährt, die nicht nur ihr Seherauge, sondern auch das Abgründige leuchten zu lassen vermag. Sie hat zudem für ihren spektakulären letzten Auftritt so viel Kraftreserven, dass kein Zweifel an ihrer Entschlossenheit zur Rache aufkommt. Adam Kutnys etwas mulmige Artikulation passt immerhin zu der Rolle als eine Art Clown, die die Regie dem Heerrufer zumisst. Gábor Bretz ist ein prägnanter, klarer Heinrich mit königlichem Timbre.

Lohengrin ist jetzt Andreas Schager. Der Österreicher hat sich nach seinem Entschluss, ins Heldentenorfach zu wechseln, gleich vorne angestellt. Ein kurzer Anlauf als Siegfried im Ring in Halle oder Tristan in Meiningen und dann war er da. Überall. Bayreuth, Wien usw. In der Lindenoper zählt er zum Hausensemble. Und das ist auch gut so. Nirgendwo steht ja geschrieben, dass nur Klaus Florian Vogt, Jonas Kaufmann oder Piotr Beczała die Luxusbesetzung für Lohengrin sein muss.

Spricht man bei Andreas Schager von der Strahlkraft seiner Stimme, dann liegt die Betonung auf beiden Silben gleichermaßen. Wenn Schager loslegt, dann wird jede Ensembleszene zu einem Solo mit Begleitung. Das Aufdrehen ist wirklich nicht sein Problem, eher schon das Herunterdimmen. Vokal jedenfalls findet schon sein erster Dank an den Schwan bei seiner Ankunft ganz unabhängig von der Inszenierung nicht irgendwo im Hintergrund statt, sondern ganz vorn an der Rampe. Auch fällt auf, dass er eine ganz eigene Art entwickelt, die Vokale besonders auszuschmücken und wie einen großen Edelstein herauszustellen. Wenn man mal einen in jeder Szene und Gefühlslage geradezu entfesselten Lohengrin bestaunen will, dann ist Schager auf jeden Fall die beste Wahl. Damit kein Missverständnis aufkommt – das ist alles in der Kategorie erstklassig und bestaunenswert. Aber der Vergleich mit anderen macht hellhörig. Manchmal ist weniger einfach mehr. Zumal, wenn an seiner Seite eine wirklich auf Referenzniveau singende Elza van den Heever als Elsa zu erleben ist. Dass die Bläser für den König in den Seitenlogen platziert sind und Guggeis mit der Staatskapelle nicht nur den Silberglanz im Vorspiel glitzern lässt, sondern gerade im zweiten Akt auch dramatisch zur Sache geht, und auch die Chöre von Martin Wright fabelhaft einstudiert sind, macht diesen „Lohengrin“ zu einem musikalischen Genuss. Wenngleich man den Eindruck hat, dass die Lindenoper hier auch räumliche Grenzen setzt. 

Konnte man über die musikalische Seite des Abends also alles in allem Staunen, so verschlug einem die Inszenierung von Calixto Bieito auf andere Weise die Sprache. Bieito hat in Berlin schon für denkwürdige Opernabende gesorgt – seine „Entführung aus dem Serail“ etwa löste vor fast zwanzig Jahren in der Komischen Oper regelrechte Tumulte aus. Mit anderen Arbeiten etablierte er sich – meist überzeugend – als Erbe eines Musiktheaters, wie es besonders im Haus an der Behrenstraße gepflegt wurde. 

Aber dieser „Lohengrin“? Sagen wir es so: mit dieser Inszenierung schafft es der Katalane nicht mal auf die Long List der interessanten Interpretationen der letzten zwanzig Jahre. Und das nicht nur, weil er keinen überzeugenden Zugriff zur der Geschichte gefunden hat, sondern auch, weil manche Details schlichtweg eine Frechheit dem Publikum gegenüber sind. Zumindest wer für den ersten und zweiten Rang bucht, sollte sich für alle Fälle eine Sonnenbrille einstecken, denn er wird ohne wirklich erkennbaren Grund über weite Strecken von einem direkt in den Saal gerichteten Scheinwerfer regelrecht geblendet.

Rebecca Ringsts Bühne, mit einer Anmutung zwischen Autosalon und Seminarraum, ist so durchlässig, dass das nur gelegentlich abgeschirmt wird. In diesem nüchternen Raum haben Menschen von heute kleine rote Automodelle vor sich auf den Tischen. Der Heerrufer gibt von Anfang an den Seminarclown und schminkt sich dann auch noch das Gesicht komplett Weiß. Wenn es ans Gottesgericht geht, ziehen die Männer ihre Jacketts und Hemden aus und beschmieren sich die nackte Brust mit roter Farbe – um Telramund auszuschalten genügt ein Psychospielchen des im hellen Sommeranzug aufgetauchten Lohengrin. Wie er das genau gemacht hat, bleibt sein Geheimnis.

Das wirkt alles wie ein Motivationsseminar, vielleicht zum Thema: Wie übernehme ich ohne Begründung die Führung? Für Elsa gibt es einen Käfig, in dem irgendwann auch mal der König sitzt. Der Raum bleibt so vage nüchtern. Für den zweiten Aufzug reicht das bloße Gerüst der Tribüne. Sonst bleibt Bieito kleinteilig assoziativ. Was oft ziemlich aufgesetzt wirkt. Etwa, wenn Elsa im zweiten Aufzug unter einem gewaltigen Schleier wie ein Gespenst zu Ortrud kommt und die dann auch noch zu ihr unter diesen Schleier kriecht. Oder, wenn im dritten Aufzug Telramund – auch als Gespenst – durch die Szene schreitet (statt erschlagen zu werden) und dann nicht seine Leiche vor den König getragen wird, sondern stellvertretend ein Töpfchen mit einer Grünpflanze. Dass die eingespielten Videos zu Aktbeginn einen Jungen unter Wasser zeigen, kann man noch nachvollziehen. Aber wie Mussolini in den Assoziationsstrom der eingespielten Bilderflut gerät, und warum eine nackte schwarze Frau einen ausgewachsenen Schwan offenbar gebären muss, wenn die Musik zum Hochzeitsmarsch erklingt, das erschließt sich zumindest nicht auf Anhieb. (Ehrlich gesagt auch nicht mit etwas Abstand.)

Da das Inszenierungsteam nicht da war, musste sich das Publikum nicht entscheiden, wie es dessen Arbeit bewertet. Bei der musikalischen Seite des Abends war man sich in der Zustimmung einig.

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