Hauptbild
Ruben Sabel. Foto: © Jörg Landsberg

Ruben Sabel. Foto: © Jörg Landsberg

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Weiter, immer weiter ins Freie! – Uraufführung von Elmar Lampsons „Wellen“ am Theater Bremen

Vorspann / Teaser

Uraufführungen in der Oper haben Konjunktur: gerade sahen wir „Die dunkle Seite des Mondes“ von Unsuk Chin in Hamburg, „Peer Gynt“ von Jüri Reinvere in Bremerhaven, „Die Kreide im Mund des Wolfs“ von Gordon Kampe in Hamburg. Demnächst erwarten wir „Lash“ von Rebecca Saunders in Berlin, „Die letzten Tage der Menschheit“ von Philip Manoury in Köln, „Die Liebhaberinnen“ von der Popmusikerin Jenny Wilson in Stockholm, „Voice Killer“ von Miroslav Srnka am Musiktheater an der Wien oder auch unter dem Titel „Neue Szenen VII“ drei Kammeropern der sozusagen nächsten Generation auch in Berlin, aufgeführt von StudentInnen der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Um nur einige wenige zu nennen. Die immer wieder – seit sie existiert – als anachronistische Gattung gescholten scheint mit immer neuen Ideen die kreativen Türen zu öffnen, so verschieden sind die Lösungen. Dies besonders, seitdem die Videokunst sich in der Oper austoben kann, nicht immer gut, oft tautologisch, oft aber auch faszinierend weiterführend für die Gattung. Es scheint unerschöpflich, was Oper sein kann und für eher wenige Menschen auch ist: Magie, Erkenntnis, Emphase.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Nun also in Bremen als Auftragswerk des Theaters, nach einem sechsjährigen Schaffensprozess: „Wellen“ von Elmar Lampson nach einem 1911 geschriebenen Roman von Eduard von Keyserling. Julia Spinola schrieb das Libretto. Die Story ist eher simpel: der baltische Adel trifft sich an der Ostsee, dort hat sich ein einem kleinen Häuschen auch der erfolglose Maler Hans Grill niedergelassen, zusammen mit seiner Liebe, der Gräfin Doralice, die ihren sehr viel älteren Graf zugunsten von Grill verlassen hat. Natürlich klappt die neue Beziehung nicht, das Meer wird zur Metapher allen menschlichen vergeblichen Lebens. Hans Grill kommt in ihm um, Doralice bleibt neben dem heruntergekrachten Kronleuchter allein zurück. Was geht uns das an?, könnte man fragen.

Aber sowohl die Romanvorlage als auch die kompositorische und theatralische Umsetzung zeigen eine Endzeit kurz vor dem ersten Weltkrieg, in der alle Wünsche und Sehnsüchte zerschellen. Mit feinen Strichen zeichnet die Librettistin Julia Spinola nach, dass Keyserlink und dann auch Lampson die zusammenbrechende Gesellschaft nicht anschwärzen, sondern eher liebevoll begleiten. Dabei spielen Ironie und Karikatur eine große Rolle – die aus der Aufführung auch einen unterhaltsamen Theaterabend machen –, aber es wird nie böse. Dafür verantwortlich ist auch der Regisseur Philipp Rosendahl, dem ein unbeschreiblicher Spagat zwischen Tragödie und Ironie über eine untergehende Gesellschaft gelingt und damit aktuell wird. Immer wieder arbeitet Rosendahl auf der Suche nach unseren Innenwelten mit Doppeldeutigkeit, wenn eine Szene ganz und gar in Zeitlupe läuft oder Doralice am Rand Sandburgen baut.

Bild
Ketevan Chuntishvili, Natalie Jurk, Kinderstatisterie, Nathalie Mittelbach, Elisa Birkenheier, Julia Huntgeburth. Foto: © Jörg Landsberg

Ketevan Chuntishvili, Natalie Jurk, Kinderstatisterie, Nathalie Mittelbach, Elisa Birkenheier, Julia Huntgeburth. Foto: © Jörg Landsberg

Text

Das gelingt natürlich auch durch die Besetzung: allen voran zwei große Sing-Schauspieler, die schon immer in Stimme und Schauspiel überragend in der Lage waren, in die seelischen Tiefen ihrer Charaktere einzutauchen: Nadine Lehner als Doralice und Christoph Heinrich als Hans Grill. Lehners Doralice steht für die Sehnsucht einer gesellschaftlich gebundenen Frau nach einem authentischen Leben - „Weiter immer weiter ins Freie!“ sind schon ihre ersten Worte –, das sie bei Hans Grill dann aber auch nicht hat. Denn der meint, sie solle sich mit der „Aura“ der Hausgestaltung beschäftigen, während er malt. Dieser Dialog ist wirklich komisch, da Hans doch immer wieder rausposaunt: „Der Mensch ist frei“. Er also sucht nach Halt und Festigkeit, sie nach wirklicher Freiheit: die Liebe kann also gar nicht klappen. Auch, weil Doralice ihn anbrüllt: „Nenn mich nicht Weib!“

Das Werk und die Inszenierung zeigen auch in anderen Gestalten ein aufbegehrendes Frauenbild: die junge adlige Lolo, fühlt sich angezogen von Doralice, in höchsten Koloraturtönen glänzt Elisa Birkenheier. Deren Verlobter Hilmar ist durch Fabian Düberg eine hinreißende Karikatur männlicher Eitelkeit, Ketevan Chuntishvili überzeichnet souverän die Generalin von Palinkow, Nathalie Mittelbach deren wirbelnde Bedienstete Malwine.

Bild
Christoph Heinrich. Foto: © Jörg Landsberg

Christoph Heinrich. Foto: © Jörg Landsberg

Text

Die Musik von Lampson scheut vor nichts zurück: sie geht zwischen wild und zart, zwischen Dur und Moll mit zahlreichen pentatonischen Anklängen und riesig anspruchsvollen Gesangspartien zwar von Ausdrucksklischees der Neoromantik aus, ist aber immer wieder in der Lage, völlig unerwartete Konstellationen und Konfrontationen herzustellen: mitreißend die an beiden Seiten postierten Schlagzeugformationen. Tief taucht der Dirigent Yoel Gamzou mit den Bremer Philharmonikern in den doppeldeutigen Ausdrucksgehalt der Musik ein. Oft ist der Klang von Wasser und Wellen erkennbar.

Ein Ereignis für sich sind das Bühnenbild von Daniel Roskamp und Paula Mierzowski und die Kostüme von Johann Brigitte Schima: ein echtes Wasser in der Mitte, ein Spiegel als Hinterwand. Die Fantasiekostüme orientieren sich so ein bisschen am Jugendstil, sind aber vollkommen selbständig einfallsreich. Eine umjubelte Premiere mit standing ovations.

  • Die nächsten Aufführungen: 27.Mai, 5., 7., 13., 15. und 18. Juni

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!