Ovationsnjubel in der Staatsoper Hamburg: Viele, viele standen nach der Uraufführung von Unsuk Chins „Die dunkle Seite des Mondes“. Die südkoreanische Komponistin war fasziniert von der Biographie des Quantenphysikers und Nobelpreisträgers Wolfgang Pauli, der in einer seelischen Krise den Psychoanalytiker C. G. Jung aufsuchte. Mit den beiden Protagonisten der Oper, dem anerkannten und bewunderten Physiker Dr. Kieron und dem Wellness-Seelenguru Meister Astaroth stehen sich allerdings zwei gegenüber, die mit den realen Biographien nichts mehr zu tun haben. Denn diese beiden sind in der Oper eher negative, menschenverachtende Machtmenschen.

Unsuk Chin – Die dunkle Seite des Mondes: Thomas Lehman. Foto: Bernd Uhlig
Quantenphysik und Träume – „Die dunkle Seite des Mondes“ von Unsuk Chin uraufgeführt in Hamburg
Zwar sind die Themenfässer, die Chin in ihrem selbst geschriebenen Libretto aufmacht, gesellschaftlich spannend und aktuell und können auch der Stoff für eine Oper sein. Da ist die Anfrage an den berühmten Wissenschaftler, die Formel für die Bombe zu liefern, die im Auftrag der Regierung gebaut werden soll und ihn damit in höchste Nöte bringt. Da ist die Flucht des Wissenschaftlers, der tagsüber eine immer mächtigere Karriere macht, nachts ihn aber sich im Rotlichtmilieu herumtreibt, in der es eine Frau gibt, die ihn als einzige versteht. Da sind verschiedene Traum- und Lichtgestalten, die Kieron in die Welt seiner Träume locken, die er gerne entschlüsseln würde. Da entsteht die Frage, ob technisches Können und Entwicklung etwas mit Verantwortung und Moral zu zun haben. Und und und....
Allerdings merkt man dem ganzen Werk an, dass Chin auch zunehmend eigene Distanz etwas verloren ging und sie die Thematik auf allen Ebenen offensichtlich so überrollte, dass alles zusammen viel zu viel und viel zu lang wurde. Der Abend dauert 3 ½ Stunden. Besonders der erste Dialog von Kieron und Astaroth knallt banale Thesen aneinander, die auch wegen der Schnelligkeit gar nicht zu verstehen sind. Man hat das Gefühl, dass Chin sich von ihren überbordenden Ideen nicht mehr trennen konnte.
Aber es bleibt so viel Positives, denn es ist trotzdem eine fantastische Aufführung geworden – in allen Parametern.
Da ist zunächst einmal die ungemein kraftvolle, blitzende, funkende und tobende Musik Chins, die eines Tages ihr Lehrer György Ligeti ermahnt hatte, weniger sogenannte Avantgarde zu probieren, sondern über sich selbst zu finden und zu werden. Das war nun in ihrer zweiten Oper zu hören.
Da überwältigt geradezu die musikalische Leistung des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg unter der Leitung von Kent Nagano, der schon 2007 die Uraufführung von Chins erster Oper „Alice im Wunderland“ geleitet hatte. In seiner nun letzten Hamburger Operneinstudierung führte er das Riesenorchester mit seinem schlagzeuglastigen Ton (6 Schlagzeuger mit über hundert Instrumenten) durch Chins atmosphärisch reiche Klangwelten.

Unsuk Chin – Die dunkle Seite des Mondes: Thomas Lehman, Bo Skovhus. Foto: Bernd Uhlig
Dann gelingt es dem Regieteam „Dead Centre“ – Ben Kidd und Buah Moukarzel – bestens mit dieser überladenen Story umzugehen: Satire und Ironie in der akademischen Männerwelt: da gibt es sogar viel zu lachen. Doch auch die betrügerische Wellnesswelt von Astaroth hat ihre Komik, aber auch Bedrohlichkeit. Dazu leistet das Bühnenbild von Jeremy Herbert das seine. Übersichtlich und pfiffig das Ineinander die Ebenen: das hoch gebaute Büro Kierons, umgeben von Videos, was auf dem Schreibtisch gerade passiert. Übergroße Stufen führen in die Tiefe, wenn man will, auch die Hinterseite des Mondes, die dunklen Sphären des Menschen. Wie das physikalische Pendel taumelt der goldene Mond über allem. Die Videoprojektionen von Sophie Lux sind nie Schnickschnack, sondern illustrieren und erläutern die psychischen Ebenen: etwa die geometrischen Formeln, die in Kierons Kopf umherschwimmen. Auch unterhalb des Bürokastens die nächtliche Kneipen, in denen sich der betrunkene Kieron als Spaghettimacher und Bananenbieger präsentiert.
Auch die SolistInnen reißen mit: an vorderster Stelle Thomas Lehman als Kieron und Bo Shovhus als Astaroth. Ein Extralob sollten wir hier für das Programmheft aussprechen: nicht nur der Text ist da abgedruckt, es gibt eine Vielzahl von wirklich aufschlussreichen Interviews zu ganz verschiedenen Perspektiven: vorbildlich!
Fazit: der Besuch der Aufführung lohnt sich, an der Partitur könnte noch mal gearbeitet werden …
- Die nächsten Aufführungen: 21, 27. und 31. 5. und 5.6. jeweils um 19 Uhr
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