Augsburgs Philharmoniker bringen Tobias PM Schneids „Earth Symphony“ eindrucksvoll als Plädoyer für den bedrohten Planeten zur Uraufführung. Und überzeugen unter Chefdirigent Héja mit Bruckner nicht weniger.
Die „Earth Symphony“, mittlerweile die vierte der Sinfonien in Schneids Werkkatalog, hat einen längeren Weg der Entstehung hinter sich. Der Auftrag zur Komposition war schon 2019 ergangen, damals im Hinblick auf eine Programmkoppelung mit Beethovens „Pastorale“ – vorgesehen war die Uraufführung zunächst für 2020, das großen Beethoven-Jubiläumsjahr. Dass die Corona-Pandemie derlei Huldigungen zunichte machte, ist inzwischen Geschichte.
Als die Augsburger Philharmoniker die Uraufführung der Schneid-Sinfonie nun für Mitte Mai neu ansetzten und nun nicht mehr im Gespann mit Beethoven, sondern mit Anton Bruckners 6. Sinfonie, war das für Schneid der Anlass, sein Orchesterwerk nicht nur erneut durchzusehen, sondern an einer der Stellschrauben noch einmal kräftig nachzudrehen: bei der Besetzungsstärke. „Wenn schon durch die Aufführung der Bruckner-Sinfonie ein großes Orchester auf der Bühne ist, dann wollte ich mir diese Chance nicht entgehen lassen.“ Also sind die Holzbläser inzwischen nicht mehr zwei-, sondern dreifach besetzt und ebenso die Trompeten, in der Partitur ist jetzt auch eine Tuba notiert, vier Schlagzeuger sind beschäftigt, die ersten Violinen sehen 14 Streicherinnen und Streicher vor. „An der Struktur des Stücks habe ich aber alles beim Alten gelassen“ – abgesehen von einem neuen, länger dauernden Schluss, den der Komponist gerade im Hinblick auf den massiver gewordenen klanglichen Auftritt für notwendig hielt.
Es ist in unser aller Interesse, uns den fragilen Zustand des Planeten Erde bewusst zu machen und uns zu befragen, wie wir, die Nutznießer, das Steuer noch herumreißen können. Das Klima gehört zu den wahrhaft brennenden Themen unserer Zeit, in einem Maße, dass manch einer damit schon wieder seinen Reibach zu machen versucht. Das aber, versichert Tobias PM Schneid, hatte er ganz und gar nicht im Sinn, als er ans Entwerfen seiner 4. Sinfonie ging, der er den englischen Titel „An Earth Symphony“ beigegeben hat. Nein, wohlfeiles Andocken an ein angesagtes gesellschaftliches Thema ist nicht nach dem Geschmack des 58-Jährigen, der in Neuburg an der Donau lebt. Dass die Erde infolge menschlicher Einwirkung Gefahr läuft, unbewohnbar zu werden und deshalb gehandelt werden muss, davon ist Schneid aufrichtig überzeugt, und diese Überzeugung findet sich auch in der Struktur seiner „Earth Symphony“ wieder – entstanden als Auftragskomposition der Augsburger Philharmoniker, die das rund halbstündige Werk nun im Kongress am Park uraufgeführt haben.
Auch wenn Schneid die ohne Pause ineinander übergehenden fünf Teile seiner Sinfonie mit sprechenden Begriffen überschrieben hat, sollen diese den Hörer doch nicht dazu verleiten, sich das sinfonische Geschehen als eine in Tönen gemalte Realsituation vorzustellen. „Magma“, wie etwa der erste Teil benannt ist, signalisiert vielmehr eine bestimmte „Konsistenz“ (Schneid), an der auch das Prinzip der Komposition ausgerichtet ist. Das groß besetzte, rund achtzig Köpfe zählende Orchester entfaltet hier im „Magma“ eine dunkle Klangfläche, die einerseits bewegt und beweglich anmutet und andererseits doch kaum vom Fleck fortkommt, bedrohlich und gefährlich wirkend zugleich.
Schneids Musik, selbst wo sie weitaus agiler und auch aggressiver auftritt wie im nachfolgenden Satz („Water“), ist aufs Ganze besehen von kommensurabler Art, ohne dabei die Gefilde des Seichten zu betreten. Das gilt gerade auch für jene Momente, in denen Schneids Faible für populäre Musikstile zutage tritt, in jenen Bläserschichtungen etwa, wie man sie sonst im Jazzkontext antrifft. Auch sonst ankert die Harmonik dieser „Earth Symphony“ zwischendurch gerne einmal in herkömmlichen Dur-Klängen, wendet sich aber auch rasch wieder ab – großes Gefühlskino wie im mittleren Abschnitt „Tree“, in dem sich Streicherschmelz und Röhrenglocken treffen, bleiben die Ausnahme. Schneid weiß um die Problematik, dass eine Musik, in der ideell das „How dare you!“ immer mitläuft, schnell in den Kitsch driften kann, doch zieht er deshalb nicht die Konsequenz, hinter unpersönlicher Tonmaterialität in der Distanz zu bleiben. Dass gerade im Abschnitt „Desert“ ein fragil anmutendes Violinsolo ins Spiel kommt – zurückhaltend im Zugriff und gerade deshalb eindrucksvoll dargeboten von Konzertmeisterin Jung-Eun Shin –, spricht umso mehr für sich, als just die Solovioline das letzte Wort des gesamten Stückes hat: ein alleine zurückbleibender Ton – tönend eindrucksvolle Frage, wie es weitergehen wird mit dem verbliebenen (letzten?) Menschen und dem geschundenen Planeten … Applaus für den auf der Bühne erscheinenden Komponisten, Applaus auch für die Philharmoniker unter Domonkos Héja, denen diese „Earth Symphony“ hörbar nicht Pflichtschuldigkeit, sondern echtes Anliegen war.
Wie ein Konzert weiterführen nach einer solch eindrucksvollen Uraufführung? Anton Bruckner war ein plausibles Gegengewicht, in diesem Fall seine 6. Sinfonie. Lohnend aber auch deshalb, weil Bruckners großdimensionierte Sinfonik ein erklärtes, bereits mehrfach gepflegtes Anliegen von Augsburgs Generalmusikdirektor ist und stets interessante Interpretationen verspricht. Héja besitzt ein ausgesprochenes Gespür für das spezifisch österreichische Idiom bei Bruckner, das nicht nur in den Ländler-Anklängen des Scherzo-Trios, sondern mehr noch in den wunderbar himmlisch-langen (und himmlisch gespielten) Streicher-Passagen des Adagios wie auch in den Seitenthemen und gedämpfteren Momenten der Ecksätze aufscheint – eine musikalische Weltverlorenheit, in die dann wiederum die geballte Blechbläsermacht schneidend auf das Realitätsprinzip verweist. Hervorragend!