Beim neuen Meininger „Freischütz“ gibt es beim ersten Blick auf die Bühne so eine Art Déjà-vu. Diese raumfüllend opulente Konstruktion, die Ausstatter Walter Schütze da auf die Drehbühne gestellt hat, erinnert durchaus an die Bühnenbildwunderwerke von Frank Castorfs Ausstatter Alexandar Denic. Es sind Hingucker, mit viel Liebe zum assoziativen Detail aus der Wirklichkeit, oder einem Traum von Wirklichkeit, abgelauscht. In dem Falle mit Glockenturm und Hau-den-Lukas, mit Schießbude und Dixiklo. Genau der Raum für eine veritable Dorfplatzsauferei, kollektives Max-Mobbing und aus dem Ruder laufendem Junggesellenabschied.
Der Freischütz: Ensemble, Chor, Statisterie. Foto: © Foto Christina Iberl
Zwischen Dorfkirmes und Junggesellenabschied – Der „Freischütz“ in Meiningen
Wobei sich Regisseur Philipp M. Krenn dabei vom Teufel und den Worten, die Johannes Hoffmann der Teufelin Nicola Lembach ins flotte Mundwerk gelegt hat, etwas vom rechten „Freischütz“-Weg abbringen lässt. Wohl, weil dabei manche dieser Ein-griffe, wie Über-griffe wirken, die den Lauf der Musik ins Stocken geraten lassen, mischten sich am Ende fürs Regieteam so deutliche Buhs unter den Beifall, wie man sie in Meiningen so lange nicht erlebt hat. Das erinnerte an die stürmischen Pro-und-Contra-Zeiten der Intendanz von Res Boshart. Wobei ausgerechnet der damalige „Freischütz“ vor zwanzig Jahren ein gefeiertes Opernregiedebüt genau jenes Philipp Stölzl wurde, der mit seinem zweiten, phantastisch märchenhaften „Freischütz“ für die Seebühne in Bregenz in den letzten Jahren Furore gemacht hat.
Auch dort übrigens mit einem ganz anderen Samiel, als dem in Friedrich Kinds vielgescholtenem Libretto zur gleichwohl, trotz allem von ganzen Publikumsgenerationen heiß geliebten, gar zur Nationaloper hochstilisierten Oper von Carl Maria von Weber. Was natürlich vor allem an dessen unverwüstlicher Musik liegt. Dem Gassenhauercharme von Jungfernkranz oder Jägerchor entkommt man einfach nicht. Und natürlich hat es auch die Wolfsschlucht – vor allem als szenische Gruselherausforderung – in sich. Für ehrgeizige Regisseure ist die Versuchung gerade beim „Freischütz“ groß, hier und da einzugreifen und „nachzubessern“. Versagensängste, überkommene Rituale und das Gründeln in den Untiefen der deutschen Geschichte seit der Urkatastrophe des Dreißigjährigen Krieges laden geradezu ein, speziell in dieser Oper hinter der Fassade der Putzigkeit nach den Untiefen der deutschen Geschichte und Volksseele zu suchen. Mal unterstellt, dass es die tatsächlich gibt. Der Teufel im Stück hat dafür jedenfalls nicht nur ein Loch gelassen, er hält selbst die Tür für diverse Eingriffe sperrangelweit auf.
Der Freischütz: Shin Taniguchi, Nicola Lembach, Isaac Lee, Herrenchor. Foto: © Foto Christina Iberl
Dass diese Figur als eine Melange aus allgegenwärtiger Spielmacherin, realistischer Zusatzfigur und da auch mal Agathe warnende, unerbetene „Freundin“ im dunklen Arbeitsoverall auftritt, ist keineswegs hochgestapelt. Sie hat (zu) viel zu tun, um sich mit ihren Texten in vermeintlichem Jugendslang oder Alltagssprech ans Publikum geradezu anzubiedern. Sie macht das für sich genommen souverän, doch man erkennt die Absicht und ist trotzdem verstimmt. Vor allem, wenn es zulasten der Musik geht. Dass Kilian und Kaspar zu einer Figur zusammengelegt werden, mag noch angehen. Schon, weil es dank Mark Hightowers auch vokal kraftvoll rauem Lederjacken-Machogehabe nachvollziehbar und für das flotte Ännchen (Hannah Gries) sogar verführerisch umgesetzt ist. Bei Tomasz Wija, der quasi zum fürstlichen Erbförster avanciert, hakt die Zusammenlegung deutlich mehr. Auch die von Samiel wortreich zum russischen Roulette verwandelte Sauferei, zu der Kaspar Max verführt, kollidiert mit der Musik. Abgesehen davon, verursacht manche Streichung durchaus Phantomschmerz. So albern einem manchmal Ännchens Ballade vom Kettenhund auch vorkommen mag, wenn sie fehlt, vermisst man sie; so, wie auch den Eklat mit der Totenkrone zum Ende des Auftrittes der Brautjungfern.
Was für sich genommen wirklich gelungen ist und Eindruck macht, ist das Bühnenbild von Ausstatter Walter Schütze. Die Drehbühne beherrscht eine Melange aus Dorfplatz mit Schießbude und Hau-den-Lukas mitten in den Versatzstücken eines desolaten, von der Welt abgehängten, aber ihr nachhechelnden Dorfes von heute. Inklusive eines verwitterten Werbeplakates für eine Erotikmesse im Gemeindehaus. Dahinter verbirgt sich das biedere Wohnzimmer Agathes, in dem der Fernseher das Tor zur Welt ist.
Der Freischütz: Isaac Lee (vorn), Tomasz Wija, Monika Reinhard, Chor. Foto: © Christina Iberl
Die Szene mit dem Probeschuss rahmt sinnvoll die Handlung – so beginnt und endet hier alles. Dabei gibt auch der Chor sein Bestes. Den gemobbten Max, den Issac Lee souverän singt, stecken sie quasi zur dauernden Demütigung in ein albernes, pinkfarbiges Bärenkostüm. Die sehr kraftvoll aufdrehende Lena Kutzner kommt da als Agathe schon besser weg, wenn man vom metaphorischen Rotweinfleck, den ihr die Teufelin aufs Brautkleid macht, mal absieht. Sam Taskinen gibt im Habitus eines Fernsehpredigers als Eremit wohlklingend am Ende seinen Senf dazu. Kens Lui ist am Pult der Hofkapelle nach Kräften und mit Erfolg bemüht, die lobenden Worte vom Anfang zu erfüllen.
Vor der aktuellen „Freischütz“-Premiere in Meiningen freuten sich der Intendant des Hauses, Jens Neundorff von Enzberg und sein Publikum, gemeinsam darüber, dass es die Meininger Hofkapelle in der jüngsten Umfrage der Zeitschrift „Opernwelt“ in der Rubrik „Orchester des Jahres“ ganz an die Spitze geschafft hat. Das ist der Natur der Sache nach kein Mehrheitsvotum, aber es fanden sich genügend Stimmen, um dieses Traditionsorchester damit ins Scheinwerferlicht landesweiter Aufmerksamkeit zu rücken. Dazu kommt noch, dass Meiningen auch in der Rubrik Wiederentdeckung mit Jochen Biganzolis Inszenierung von „The Wreckers“ der Komponistin Ethyl Smyth goldrichtig gelegen hatte.
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