Body
Michael Walter: Die Oper ist ein Irrenhaus. Sozialgeschichte der Oper im 19. Jahrhundert, J.B. Metzler, Stuttgart 1997, 360 Seiten, 78 Mark.„Das dumpfe Verlangen, dem Alltäglichen zu entfliehen“, treibe die Menschen in die Oper. Der Auffassung war im 19. Jahrhundert der Kunstkritiker Théophile Gautier. Heute kursiert der Scherz vom Theater als Irrenhaus und der Oper als Abteilung für Unheilbare. Die fanatische Welt des Theaters, der vom alltäglichen Leben abgehobene, von einem außenstehenden Betrachter nur schwer durchschaubare Betrieb eines Opernhauses: Sind sie ein Fall für den Psychiater?
Gemach. Das Bonmot „Die Oper ist ein Irrenhaus“ dient Michael Walter nur als reißerischer, verkaufsfördernder (?) Buchtitel. Der hinzugefügte Untertitel „Sozialgeschichte der Oper im 19. Jahrhundert“ trifft den Inhalt des Buches und den nüchternen, sachlichen Tonfall der Darstellung präziser. Musikgeschichtliche Darstellungen der Oper im 19. Jahrhundert gibt es viele. Dagegen führte die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Oper im deutschen Sprachraum bislang ein Mauerblümchendasein. Der Autor erlöst dieses Spezialgebiet der Operngeschichte aus seinem Schattendasein, indem er detail- und kenntnisreich sowie mit vielen Zitaten und Belegen gespickt einen zusammenfassenden Überblick über die Sozialgeschichte der Oper im 19. Jahrhundert gibt.
Das 360 Seiten starke Werk stellt die drei wichtigsten Länder für die Oper im 19. Jahrhundert vor: Italien, Frankreich, Deutschland. Wie wurden die Opernbetriebe in den unterschiedlichen Ländern organisiert? Wer subventionierte die Theater? Der zweite Teil des Buches befaßt sich mit der Sozialgeschichte, derjenigen, die die Opernwerke produzierten: Librettisten, Opernsänger. Im letzten Abschnitt des Buches befaßt sich der Autor unter anderem mit Themen wie „Oper und Politik“, „Zensur und Oper“. Spannend ist auch ein Kapitel „Werkbegriff, Vertragspraxis, Urheberrecht“.