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That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts, Hrg.: Klaus Wolbert, zweitausendeins, Frankfurt 1997.Vollmundig kündigt der 2001 Versand das 736seitige Konvolut als „das wohl beste Bild- und Datenkompendium zur Geschichte der Jazzkultur“ an. Und in der Tat, schon das pure Gewicht des Schmökers (sechs Pfund) läßt den Preis von 78 Mark als fast irrelevant erscheinen. Auch der Untertitel ist unbescheiden: „Eine Musik-, Personen-, Kultur-, Sozial- und Mediengeschichte des Jazz von den Anfängen bis zur Gegenwart“ verspricht Herausgeber Klaus Wolbert. Aber schon die editorische Notiz auf der folgenden Seite verrät uns, um was es sich wirklich handelt: „... ein geringfügig veränderter und erweiterter Nachdruck des Katalogs ‚That’s Jazz – Der Sound des 20. Jahrhunderts‘“, erschienen vor neun Jahren zur gleichnamigen Ausstellung des Instituts Mathildenhöhe in Darmstadt.
Die bibliophile Ausstattung, die Vielzahl, Seltenheit und Schönheit der Bilddokumente sucht in der Jazzliteratur ihresgleichen. Man kann stundenlang schauen, staunen, blättern und schmökern, nach Verbindungen zwischen den verschiedenen Kapiteln forschen. Seltene Plakate von Ministrel Shows, Jazz auf dem Mississippi, ein früher Brief von Satchmo an Leonard Feather, das Kornett von Bix Beiderbecke, die Intarsientür einer Broadway-Bar, ein von Charlie Parker gemaltes Mädchenbildnis, das illegale Plattenstudio eines Berliner Swingfans (1940), eine deutsche Nachkriegs-Combo mit Max Greger am Sax und Hans Last am Kontrabaß, das Fernseh- und Konzertmöbel „Komet“ aus dem Jahre 1954 und so weiter und so fort. Fast alle bekannten Jazzfotos und noch dreimal so viel unbekanntes Foto-, Plakat-, Brief- und Kunstmaterial aus dem weiteren Umfeld des Jazz haben die Aussteller gesammelt und liebevoll aufbereitet. Respekt!
Nun darf man aber auch – wenn man vom Schmökern und Bilder-Angucken genug hat – fragen, wer denn die 68 Aufsätze dieses Bandes lesen soll und möchte. Vom Sprachduktus richtet sich das Werk weder an den unbeleckten Jazzliebhaber noch an den jungen Jazzmusiker selbst. Bleiben Akademiker über vierzig, welche die Schriften der altgedienten Jazzkritiker und -autoren (Sandner, Jost, Behrendt usw.) noch nicht kennen. Denn ein Großteil der Aufsätze war mir schon bekannt, viele Textpassagen erreichen ein bedrohliches Maß der Mehrfachverwertung. Beispiel Ekkehard Jost: Identische Textpassagen über das Thema „Free Jazz“ finden sich bei ihm ursprünglich im Buch „Free Jazz“ (1975), „Die Story des Jazz“ (1975), „Die Sozialgeschichte des Jazz“ (1982) und nun im vorliegenden „That’s Jazz“. Es existiert seit 22 Jahren in der deutschsprachigen Jazzliteratur nur diese eine Free Jazz-Darstellung von Ekkehard Jost!
Im Prinzip wäre das nicht gravierend, gäbe es denn z.B. Autoren in diesem Buch, die sich mit derselben Hingabe den siebziger und achtziger Jahren im Jazz widmen würden. Zwar wurde im Zuge der Neuausgabe für den 2001 Verlag rasch noch ein Kapitel angefordert (Peter Kemper „Eine Zwischenbilanz in den Neunzigern“), das den Aktualitätsanspruch des Buches einlösen soll.
Aber es bleibt eine jazzhistorische Lücke von 20 Jahren; Namen wie Weather Report, Chick Corea, Keith Jarrett, Jaco Pastorius, Pat Metheny tauchen nur als Fußnoten auf. Dafür erfahren wir etwas über „Jazz in Italien“, „Die verborgene Moderne in der improvisierten Musik Europas“ und „Weltmusik“, letzteres das bekannte Steckenpferd von Joachim Ernst Behrendt.
Vielleicht ist die Auswahl symptomatisch für das Selbstverständnis dieser Generation von Jazz-Autoren: Hinter einem vorgeschobenen wissenschaftlichen Anspruch verbergen sich dezidierte Antipathien gegen Mainstream, Popularität und kommerzielle Verwertung im Jazz. Anders formuliert: Dem Herausgeber ist die Entwicklung des Jazz in der DDR wichtiger als die Zusammenarbeit von Miles Davis und Gil Evans. Ein gestandener schwarzer Jazz-Musiker aus USA würde die Texte dieses Buch kurz und bündig als „bullshit“ bezeichnen: zu intellektuell, zu weiß, zu europäisch. Um aktuelle Einsichten über Wesen und Geschichte des Jazz zu bekommen, bedarf es neuer Aufsätze, neuer Sichtweisen und damit auch neuer Autoren.