Das Grazer Label TONTO ist in Österreich eine Bastion experimenteller Elektronik mit subkulturellem Charme +++ Kein Geheimnis, dass die CD als musikalisches Speichermedium ein Auslaufmodell ist. Im Angesicht der Tatsache, dass das Leben heute zu einem Großteil am Bildschirm stattfindet, entdecken Musik-Künstler*innen, die multimedial unterwegs sind, zunehmend auch den Stick als Transportmittel. Niklas Seidl zum Beispiel.
Das Grazer Label TONTO ist in Österreich eine Bastion experimenteller Elektronik mit subkulturellem Charme. Robert Lepenik und Christoph Ogiermann, beides ausgewiesene Fachleute auf dem Gebiet des profunden Terrorisierens konventioneller Musikvorstellungen, haben dort schon öfter einzeln veröffentlicht. Jetzt finden sich die Energiepotentiale zweier Klang-Berserker auf „Ende. Gut“ gebündelt zu einem kompromisslosen Rausch, wo knallharte Sound-Gegenwart und pop-elektronische Reminiszenzen dystopisch zusammenkommen. Interessant und überraschend, wie nah sich das oft am düsteren Industrial (der frühen) und Ambient der (späten) 1990er-Jahre bewegt, mit dumpfen Pulsierungen und unheilschwanger wabernden Synthie-Flächen, alles ausgesprochen hallig. Dann wieder mischen sich unerklärliche Gesänge und Erzählungen, irr verzerrte Vokalartikulationen und Textfragmente am Rande des Wahnsinns zur subversiv lärmenden Gemengelage – eine Spezialität von Christoph Ogiermann. „Ende.Gut“ klingt wie der gestörte Elektropunk-Soundtrack zur Selbstzerstörung der Gegenwart. Als reiste man in einem kaputten Raumschiff durch eine mit Technik-Schrott zugemüllte Galaxie. Und in irgendeiner Ecke liegt immer altes Musik-Zeugs herum: Cabaret Voltaire, Palais Schaumburg, Der Plan, Plastikman, Aphex Twin, The Residents. Am guten Ende wird es dann in „poststille: den kollegen anrufen“ dann doch noch besinnlich: erst heulen reißende Pseudo-Gitarren, dann entlässt uns wundersam-trauriges Synthie-Geflöte in eine ungewisse Zukunft. Tolle Platte! (TONTO)
Kein Geheimnis, dass die CD als musikalisches Speichermedium ein Auslaufmodell ist. Im Angesicht der Tatsache, dass das Leben heute zu einem Großteil am Bildschirm stattfindet, entdecken Musik-Künstler*innen, die multimedial unterwegs sind, zunehmend auch den Stick als Transportmittel. Niklas Seidl zum Beispiel. Er hat unter dem Titel „Tiere des Lebens“ digitale Arbeiten unterschiedlichster Formate gespeichert: Musik, Filme, Fotos, Slideshows und Hörstücke, die er selbst als „randoms“ (Zufälle) bezeichnet, Nebenprodukte eines Künstlerlebens zwischen Interpret und Komponist. Musikalisch geht es da sehr divers zu: In „pimples gravity“ für virtuelle Klaviere wuchert eine wirre Polyrhythmik als hätten wir es mit Conlon Nancarrows Player Piano zu tun; „sahne, sahne“ betreibt mit hörbarer Schadenfreude Kitsch-Destruktionen von drei virtuellen Panflöten. So einiges scheint im Versuchsstadium steckengeblieben, wie das Hörpiel „the Adolf entertainment“, das Österreichs Liebes-Beziehung zu Hitler ins Visier nimmt und dem man gerne noch länger gelauscht hätte. Aber alles Fragmentarische geht spielerisch auf im Gesamtkonzept der Collage. Manchmal werden Lüftungsanlagen mit pochendem Brumm-Techno „vertont“, manchmal „Glückssupermärkte“ mit trashiger Elektronik gefeiert. Der abgründige und zugleich poetische Blick auf die schmutzige Wundertüte namens Alltag zieht sich wie ein roter Faden durch diese Produktion und sein zentrales Medium ist hier die Fotografie: „schrott à la art“, so der vielsagende Titel des finalen Bilderbuches. Im „Aufstand der Dinge – Film for violent times“ wird das mit der dystopischen Intensität verzerrt-greller Elektroklänge am Rande der Schmerzgrenze und darüber hinaus exemplifiziert. Die gnadenlosen Schnitte und ungreifbaren Kontexte des Sichtbaren werden noch forciert in der slideshow „unglückliches Muster“, wo hunderte Fotos verarbeitet sind; viele so interessant, dass man sie gerne ein paar Sekunden länger betrachtet hätte als es die schnellen Impulse des pointilistischen Klaviersatzes zulassen. Nicht zu vergessen: Die schönen Interview-Sequenzen von „alles, dies & das und noch viel mehr“, die Seidl mit den Interpret*innen (von der musikFabrik) seines gleichnamigen Stücks für Doppeltrichtertrompeten-Quartett gemacht hat. Nein, da geht es nicht um Probleme der Interpretation, sondern um die wichtigen Themen des Lebens: Freundschaft, Sex, Geld, Tod, Brot ... (niklas-seidl.eu)