Sven Ferchow, Hans-Dieter Grünefeld, Michael Kube, Mátyás Kiss und Christoph Schlüren
Die Tonträgerbilanz 2025 von Sven Ferchow, Hans-Dieter Grünefeld, Michael Kube, Mátyás Kiss und Christoph Schlüren.
Ein Hoch auf die wagemutigen Schatzgräber
Immer noch eindrucksvoll
Indie-Rock. Dieses verquere Genre der Industrie. Alle machen ja Indie-Rock. Nur eine Band kann es aber: We are Scientists. Zehn Songs. Homogen, weil eine Idee dahintersteht. Heterogen, weil die zehn Songs auf „Qualifying Miles“ alles sind, was man von Musik erwartet. Zumindest, wenn Gitarren dabei sind: Ausufernde Refrains, schroffe und sanfte Riffs, Mitnick-Rhythmen, Chill-down-Balladen, Fluchtgedanken, Hochzeitsglocken und das unbezahlbare Gefühl, die Songs wären nur für einen selbst geschrieben. Großer Wurf der Wissenschaftler. (Grönland)
Van Halens Einfluss auf die Rockmusik der Achtziger gerät leider zunehmend in Vergessenheit. Damit junge Musikhörende wissen, was es einmal gab, hat es sich Van Halens ex-Sänger Sammy Hagar auferlegt, das Erbe der Band nicht verblassen zu lassen. Zusammen mit Bassist Michael Anthony und dem sagenhaften Joe Satriani (Gitarre) ist er seit vielen Jahren auf Tour. Das Live Album „The Residency“ fungiert als Zeuge dieser Hommage. Alle Van Halen Klassiker, dazu ein paar Sammy Hagar Evergreens – fertig ist die Rock’n’Roll-Zeitmaschine. (Big Machine)
Wer den Song „Only Happy When It Rains“ nicht kennt, hat die Neunziger verpasst. Ein Song der Band Garbage um Kultproduzent Butch Vig (Nirvana) und Sängerin Shirley Manson, der die erste Grunge-Welle beendete und ein neues Zeitalter der Rockmusik initiierte. Ein Song, der stellvertretend repräsentierte, was die Band wollte. Songs im Understatement, dennoch elegisch genug, große Hallen zu füllen, eine elektronisch verkappte Vorliebe auszuleben, aber dennoch betonklare Gitarren zwischen einem präzisen Schlagzeug- und Bassfundament zu platzieren. Das gelingt erneut und Jahrzehnte später mit „Let All That We Imagine Be The Light“. Wenngleich das Album uns ein wenig der späten Achtziger ins Ohr träufelt, meist in Form der stoischen Synthie-Einsätze. Alles in allem ein Album der Kategorie „Als wären sie nie weggewesen“. (Garbage Unlimited)
Zeitlich fast wie Garbage einzuordnen sind die Counting Crows. Mit Songs wie „Mr. Jones“, „Colorblind“ oder „Rain King“ vom Album „August and everything after“ prägten sie insbesondere in Amerika eine Jugend, die zwar traurig, aber vielleicht sogar doch hoffnungsvoll zwischen den ausgehenden Neunzigern und den kommenden Nullerjahren taumelte. „Butter Miracle, the Complete Sweets!“ heißt das aktuelle Album, enthält vier bekannte Titel aus 2021 (Suite One) und fünf frische Titel. Darf man mögen. (BMG)
Man dürfte nie aufhören, Suzanne Vega zu loben. Was für eine Karriere. Was für Songs. Stets unaufgeregt, aber immer gehaltvoll und nachdenklich. Nie hat sie auch nur einen Trend mitgemacht, vielmehr war sie meist gut beraten, gegen den Trend zu schreiben und musizieren. Lieber ein paar Jahre Pause machen, als so ein Talent planlos einzusetzen. Wahrscheinlich sind das die Gründe, warum das Album „Flying With Angels“ seit gut zehn Jahren wieder mal ein Album mit neuen Songs ist. Und es ist ein Album. Man mag gar keinen einzelnen Song hervorheben. Geschmeidig schafft es Suzanne Vega, Songs klar und ohne Bombast zu strukturieren. Dennoch mit Herz zu schreiben und die Hörenden direkt anzusprechen. Gerne mit ungewöhnlichen Akkordfolgen, bisweilen sogar mit minimaler Stille. Und trotzdem muss man Musik nicht studiert haben, um diese Songs zu mögen. Eindrucksvoll. Immer noch. (Cooking Vinyl)
Sven Ferchow
Vokalfacetten
Als Lieder und Balladen in deutscher Sprache noch keine Patina angesetzt hatten, wurden sie Sediment seriöser Folklore. Prominenter Repräsentant dieses Genres war Carl Loewe, bekannt als „pommerscher Balladenkönig“. Menschliche Schwächen zu karikieren, gar existenzieller Furcht mit „Tod und Tödin“ ein Schnippchen zu schlagen, gelang ihm so gut, dass Gustav Mahler solchen Humus der Volkskultur weiter musikalisch kultivierte. Diesen Echos lauschte die Musicbanda Franui aus Tirol mit dem Projekt „Mahler (nach wie vor)“ Impulse fürs Lebensgefühl der Gegenwart ab. Eigene Arrangements sind in Allianz mit dem Chor des Bayrischen Rundfunks durch Vokalparts subtil verknüpft. (col legno)
„Ich bin ein deutscher Komponist, der am Ufer der Ägäis geboren wurde, und ein kretischer Liedermacher, der in Paris gelebt hat“, sagte Mikis Theodorakis über sich. Offenbar unbekannt war, dass er selbst seine Lieder sang und am Klavier für „Private Recordings“ bei sich zu Hause begleitete, um Fremd-Interpretationen vorzubereiten. Beim Digital-Remastering der 83 Titel wurde nichts retuschiert, sodass man Geräusche der Umgebung aus geöffnetem Fenster oder Telefonklingeln hört. Erstaunlich ist, mit welcher Atem- und Gestaltungskraft Mikis Theodorakis singt. Seine Stimme ist dabei rau, auch brüchig, doch stets stringent, während er manchmal mit einem Fuß den Rhythmus stampft. Ein ebenso authentisches wie seltenes Klangdokument aus der Komponisten-Werkstatt. (Intuition)
Als „ruhige Riesen“ bezeichnete der russische Komponist Alexander Knaifel seine Kompositionen. Nun hat „Kapitel acht“ mit Bezug auf Canticum Canticorum aus dem alttestamentarischen Buch Salomon fürwahr gigantische Dimensionen. Denn über sechzig Minuten erstreckt sich dieses Werk für Kathedrale, Chöre und Cello in Klängen asketischer Demut. Durch Zeitlupen-Tempo und gedämpfte Dynamik entsteht ein fragiles Antiphon von Chor-Prosodie und Cello-Motiven, die in langsam wechselden Konstellationen zeitweise konvergieren. Den Cello-Cantus in manchmal Flageolett-geformter Tongebung artikuliert Patrick Demenga unprätentiös, die Chor-Melodik und die Kathedralen-Kolumnen quasi umhüllend. (ECM)
Das Zwielicht der Dämmerung ist wohl eine passende Analogie für Zustände zwischen Erfüllung und Scheitern. In der Renaissance sind solche Unwägbarkeiten als „Strana armonia d’amore“ repräsentiert. Wie „Madrigali a quattro, cinque e sei voci“ den formativen Übergang zur Oper markieren, hat Geoffroy Jourdain mit seinem Ensemble Les Cris de Paris entlang einiger Werke dieser Epoche vorzüglich dargestellt: Feierlich beginnt dieser Hör-Trip mit milden Klangaromen, von Pomponio Nenna in „Ecco ò mia dolce pena“ angerichtet. Seltsame Digressionen und elegante Fiorituren sind bei „Misero che farò“ von Hettore della Marra kontrastiert, und auch im Titel-Cantus von Sigismondo d’India verschlingen sich die Stimmen in ziemlich schrägen Vertikalen. Ähnlich schwankende Vokal-Säulen hat die zeitgenössische Komponistin Francesca Verunelli für ihren Zyklus „VicentinoOo“ verwendet. Diese kluge Edition würdigt die Provenienz nicht-temperierter Unschärfen der Moderne. (Harmonia Mundi)
Hans-Dieter Grünefeld
Die Tonträgerbilanz 2025 von Sven Ferchow, Hans-Dieter Grünefeld, Michael Kube, Mátyás Kiss und Christoph Schlüren.
Dasselbe – immer wieder
Während immer mehr CD-Abteilungen und Spezialgeschäfte schließen, stellt sich die Frage, ob das Hören „Klassischer Musik“ wirklich vom Streaming aufgefangen wird. Die Voraussetzungen sind doch andere. Auf der einen Seite gibt es die (wiedergeborene) LP oder die (schon totgesagte) CD, bei denen man sich für das abendliche oder gar nächtliche Hören gerne auch „einrichtet“. Auf der anderen Seite gibt es das schnelle Online-Streaming. Hier muss man womöglich erst einmal umständlich suchen, um die gewünschte Aufnahme zu finden. Oder man wird durch das sprudelnde Angebot bunter Covers von den eigenen Wünschen abgelenkt – und hat am Ende zwar viele Einspielungen kennengelernt, aber doch nichts wirklich gehört.
Dieser Häppchenkost kommt die Phono-Industrie auch im Bereich der „Klassik“ immer weiter entgegen – nämlich mit auf Erwartung zielenden Single-Auskopplungen als Appetizer. Nicht etwa eine kleine Sonatine, sondern ein zweiter oder dritter Satz. Ein auch ökonomisch wertschöpfendes Verfahren, das man bereits von früher aus der Popmusik kennt: Wem die Single gefällt, kauft später oft auch das komplette Album (oder klickt es an). Dass viele Kompositionen dabei den ihren eigenen Werkcharakter verlieren … War da was? Wer spricht denn in einer Zeit immer kürzerer Aufmerksamkeitsspannen noch von ganzen Werken?
Und schon ist eines der „führenden“ (oder doch bloß umsatzstärksten) Labels der klassischen Musikindustrie den entscheidenden Schritt voraus – und denkt genau diesen Gedanken konsequent zu Ende. Nachdem die Deutsche Grammophon vor fünf Jahren ein von Lang Lang eingespieltes Piano Book hat erscheinen lassen, ist in diesem Jahr (irgendwann musste es ja kommen) das Piano Book 2 an der Reihe. Während in der ersten Ausgabe neben anderem wenigstens noch eine komplette Variationsfolge auf dem Programm stand (Mozarts weihnachtswirksames Ah, vous dirai-je, Maman), sind es diesmal wirkliche Einzelstücke – oder wie es in einem Werbetext heißt: „eine persönliche Auswahl an Lieblingsmelodien.“ Dass selbst die schönsten Klavierstücke auf weit mehr Parametern aufbauen, erscheint offenbar als zu komplex. Vielleicht spricht man bei einem dritten Band dann folgerichtig auch nur noch von „Liedern“. Und ja, eine passende gedruckte Ausgabe der Stücke liegt auch schon vor. Darunter ein Händel-Menuett in der Bearbeitung von Wilhelm Kempff – ganz so, als hätte es die historische Aufführungspraxis nie gegeben. Aber vielleicht ist es ja auch wieder Zeit für ein größeres, mit Zuckerguss verklebtes Repertoire.
Man könnte meinen, mit derartigen maßgeschneiderten und durchkommerzialisierten Produkten würde die Welt der „Klassik“ immer schneller erodieren. Tut sie aber nicht. Die Auflösung des Repertoires und tradierter Strukturen schreitet eher langsam (molto adagio) und im Stillen (sempre ppp) voran. Die nahezu vollständige TikTokisierung der „Klassik“ im Rundfunk hat mehr als zwei Jahrzehnte benötigt… Aber zum Glück gibt es sie noch: die Wagemutigen und die Schatzgräber. Musiker:innen, Produzent:innen und Labels, die Vergessenes auf die Bühne, ins Studio und so auch auf die Scheibe bringen. Dankbar nimmt man dieses ständig wachsende klingende Musik-Archiv entgegen – und freut sich über Gleichgesinnte. Denn nie zuvor war so viel von Telemann (CPO) und Vivaldi (naïve) verfügbar, und nie zuvor war es einfacher, am Puls der Zeit zu sein (Kairos).
Michael Kube
Vollendet!
Einige anspruchsvolle Aufnahmeprojekte sind in den vergangenen zwölf Monaten zum Abschluss gelangt. Zunächst Guillaume de Machaut: Mit dessen weltlichem Werk beschäftigt sich das aus vier Sängern bestehende Orlando Consort seit zwölf Jahren; mit der elften CD „A Lover’s Death“ liegt es nun vollständig vor. Der Dichter-Musiker Machaut hat zu Lebzeiten dafür gesorgt, dass seine Motetten, Balladen, Rondeaux und Virelais der Nachwelt erhalten bleiben. Da sich die Liebeslieder zwischen Ein-, Zwei- und Dreistimmigkeit bewegen, ist für Abwechslung gesorgt – die auch bitter nötig ist, weil auf begleitende Instrumente verzichtet wurde. Anfangs gewöhnungsbedürftig, sprechen die Schönheit der Männerstimmen und die Qualität der Stücke bald für sich. Die Themen, um die sich Machauts Verse drehen, sind ohnehin zeitlos. (Hyperion)
Mit den Konzerten (nebst Ouvertüren-Suiten) für ein bis vier Soloviolinen von Georg Philipp Telemann befasst sich das L’Orfeo Barockorchester unter Carin van Heerden seit über zwei Jahrzehnten. Einmal mehr wurde dabei der Beweis erbracht, dass Telemann nicht nur ein äußerst fruchtbarer, sondern auch zu immer neuen formalen Lösungen gelangender Komponist war. In den meist frühen Konzerten (ohne Bläser) auf der neunten und letzten Folge ist der Einfluss Vivaldis unverkennbar. Telemanns zu Recht berühmtes Bratschenkonzert fungiert als willkommene Zugabe. (CPO)
Ebenfalls bei CPO ist die bis vor kurzem einzige Gesamtaufnahme der acht Symphonien von Ferdinand Ries verfügbar. Nun ist ihr mit der von Janne Nisonen geleiteten Tapiola Sinfonietta auf Ondine ernsthafte Konkurrenz erwachsen. Auf vier einzeln erhältlichen CDs lässt sich Ries’ Weg aus dem naturgemäß übergroßen Schatten seines Freundes und Lehrers Beethoven hin zur Eigenständigkeit gut nachvollziehen – Ries hatte eben nicht bloß als Pianist und Kammermusiker, sondern auch als Sinfoniker etwas mitzuteilen. (Ondine)
Auf einer drei CDs umfassenden Anthologie der Orchestermusik von Gabriel Fauré mit dem von Jean-Luc Tingaud dirigierten National Symphony Orchestra Ireland fehlen leider Ballade und Fantaisie für Klavier und Orchester (William Youn hat sie vergangenes Jahr für Sony eingespielt). Dafür finden wir hier bei Naxos alle anderen Originalwerke (einige davon in großen Besetzungen mit Solisten und/oder Chor), darunter den viel versprechenden ersten Satz eines Violinkonzerts und selten erklingende Theatermusiken, dazu willkommene Orchestrierungen von fremder Hand („Dolly“!). (Naxos)
Ebenfalls bei Naxos hat Wolf Harden seine Gesamtschau der Klaviermusik von Ferruccio Busoni abgeschlossen, inklusive aller Bearbeitungen und frühreifen Jugendwerke. 13 Folgen sind seit Beginn des Säkulums erschienen – angesichts der erheblichen geistigen und manuellen Anforderungen, welche die Musik dieser als Virtuose, Tonsetzer, Theoretiker und Pädagoge gleichermaßen bedeutenden Zentralfigur der Moderne stellt, eine nicht genug zu lobende Leistung Hardens, die hoffentlich auch andere zu einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit Busoni inspirieren wird. (Naxos)
Beinahe unmerklich, weil gar nicht als zyklisches Projekt ausgewiesen, haben der Bariton Holger Falk und der Pianist Steffen Schleiermacher ihren Überblick über das Liedschaffen von Erik Satie und der Groupe des Six vervollständigt. Der letzte Beitrag gilt den Mélodies und Chansons von Georges Auric, mit dem wohl nur die kleine Gruppe der Cinephilen aufgrund seiner etwa 250 Filmmusiken vertraut ist. Alle Übrigen dürfen einen Komponisten mit echter Begabung fürs Populäre entdecken, der in seiner Jugend noch der literarischen Avantgarde nacheiferte. Wie tief Falk sich dem französischen Idiom anverwandelt hat, zeigt Track 22, das titelgebende Chanson aus „A nous la liberté“ von 1931. Einfach köstlich! (Dabringhaus & Grimm)
Mátyás Kiss
Unvergänglichkeiten
Aufgrund der schwindenden Subventionen ist die Produktion von Orchesteraufnahmen seit Corona weltweit rückläufig. Da die Repertoirewerke einst ohnehin meist mit größerer Hingabe, Kenntnis und Fantasie eingespielt wurden, sind die vielen historischen Anthologien umso willkommener. Zum zeitlos Wertvollsten zählen durchweg die Aufnahmen unter Thomas Beecham, erschienen bei Warner Classics komplett in zwei Boxen (53 CDs aus der Mono-,33 CDs aus der Stereo-Ära) in exzellentem Remastering. Vor allem bei Mozart und Delius, in französischer und russischer Musik bleibt dies unübertroffen. Weitere Warner-Kompilationen: Désiré-Émile Inghelbrecht auf 16 CDs mit sämtlichen Erato-Aufnahmen (Debussy, Ravel und viele weitere französische Werke, darunter einiges von Inghelbrecht selbst); Adrian Boults Mono-Aufnahmen 1920–57 (36 CDs); und, auf 63 CDs, Charles Mackerras – alles zu unschlagbar günstigen Preisen in schlanker Aufmachung.
Unerschöpflich erscheinen die Tondokumente unter Leopold Stokowski, dem Magier des Orchesterklangs: sämtliche Everest- und Vanguard-Aufnahmen auf zehn CDs bei Alto (darunter Blochs „America“, Bartóks Konzert für Orchester, Scriabins „Poème de l’Extase“ und viele Raritäten); die zweite Folge BBC-Live auf sechs CDs; und als besonderer Clou „Frankly Speaking with LS“: Fallas „El amor brujo“ mit Probe und Interview (ARIADNE). Wunderbar ausgestattet ist die Kompilation von vier legendären Terry Riley-Alben zum 90. Geburtstag bei Sony Classical. Und auch Leif Segerstam ist ja jetzt ‚historisch‘, wovon die 15-CD-Box mit Sibelius und anderen Finnen bei Ondine in Referenzqualität zeugt.
Mein Lieblingsalbum in diesem Jahr enthält vier Violinkonzerte mit Ida Haendel live in London: Brahms, Elgar, Sibelius und Britten, mit fesselnder Präsenz und unsentimentaler Innigkeit (ICAC). Unbedingt zu nennen ist auch Albert Sammons, der mit Adrian Boult das Violinkonzert von Ernest J. Moeran ebenso meisterhaft darbietet wie Boult die herrliche einzige Symphonie Moerans (ARIADNE). Und wie ein zutiefst menschlicher Gruß aus einer vergangenen Epoche berührt das Spiel von Albert Spalding und Ernst von Dohnányi live in Violinsonaten von Bach, Beethoven und Dohnányi (Parnassus).
Neben all diesen Unvergänglichkeiten seien an aktuellen Aufnahmen hervorgehoben: Yulianna Avdeeva hat die 24 Präludien und Fugen von Schostakowitsch so charakteristisch und fein eingespielt wie noch niemand (Pentatone), und Andrea Vivanet hat ein herrliches Sweelinck-Album auf dem modernen Konzertflügel vorgelegt (Piano Classics); dem Ballot Quintett (mit Rémy Ballot als Primarius) verdanken wir das schönste Forellenquintett seit langem, gekoppelt mit Johann Nepomuk Hummel (Gramola), wunderbar fein ziseliert musiziert das Quatuor Terpsycordes Frank Martins Streichquartett und Klavierquintett (Claves), und Ernst Gernot Klussmanns monumentales Klavierquintett und expressionistisch ekstatisches 1. Streichquartett wurden vom Kuss Quartett ersteingespielt (EDA). Auf hohem Niveau Unbekanntes von essenziellem Gehalt stellen die Hamburger Camerata mit Géza Frid (KKE), die Kremerata Baltica mit Viktor Kalabis (Hyperion) und das Kokkola Quartett beziehungsweise Ostrobothnian Chamber Orchestra mit Pehr Henrik Nordgren und Kalevi Aho (Alba Records) vor. Sensationelle Entdeckungen sind André Tchaikowskys fulminante Klavierkonzerte und 1. Sonate mit Peter Jablonski (Ondine) sowie das Klavierkonzert von Francis Chagrin mit Simon Callaghan (Lyrita). Auf dem reinen Orchestergebiet möchte ich die Ersteinspielung von Maximilian Steinbergs gewaltiger 3. Symphonie mit dem Ural Youth Symphony Orchestra unter Dmitry Filatov (Fuga Libera) und von Arthur Bliss das kurzweilig dramatische Ballett „Miracle in the Gorbals“ und die erstmalige Komplettaufnahme seines späten Vermächtnisses „Metamorphic Variations“ unter Michael Seal hervorheben.
Christoph Schlüren
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