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Ein Workaholic im Dienste der Musik +++ Der Dirigent Mariss Jansons wird 65 +++ Schon als Kind kannte er ganze Opern auswendig
München (ddp-bay). Eigentlich hätte aus Mariss Jansons auch ein Fußballspieler werden können. Doch als ein stadtbekannter Trainer in Riga bei den Eltern anklopfte und für eine Sportschule warb, war das Entsetzen groß. Der damals neunjährige Mariss spielte schon ziemlich gut Geige. Und im Elternhaus drehte sich einfach alles um die Musik. Das runde Leder bekam keine Chance, was der Sohn allenfalls kurz bedauert haben dürfte. Schließlich gab es mit der Musik eine erfolgreiche Alternative. Am Montag (14. Januar) feiert der längst zum Star-Dirigenten avancierte Jansons seinen 65. Geburtstag.
Der Begriff Star beschreibt zwar seinen Stellenwert im Musikzirkus, doch mit Glamour hat der zurückhaltende Lette so gar nichts am Hut. Und statt einer rauschenden Feier wird am Festtag vermutlich eher ein sattes Pensum Arbeit auf dem Programm stehen. Er ist Chef des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks sowie des Concertgebouworkest. Ausruhen geht nicht. Viel zitiert wird in diesem Zusammenhang der Ausspruch seiner russischen Frau Irina, die mit dem Gatten beim Spaziergang gefilmt werden sollte: «Wir gehen nie spazieren», stellte sie klar, «mein Mann hat zu arbeiten.»
Tatsächlich kann bei zwei Orchestern, die der gewissenhafte Jansons in München und Amsterdam leitet, nur die Musik im Zentrum stehen. Seine Kindheit verbrachte Jansons quasi im Opernhaus von Riga. Die Mutter arbeitete dort als Sängerin, sein Vater war der Dirigent Arvid Jansons. Schon als Kind kannte Sohn Mariss ganze Opern auswendig, und nebenbei lernte er im Elternhaus die Kulturelite der Stadt kennen.
1956 folgte die Familie dem Vater nach Leningrad. Er arbeitete mit der Dirigentenlegende Jewgenij Mrawinskij, der auch Sohn Mariss nach einer Geigen-, Klavier- und Dirigier-Ausbildung zu seinem Assistenten machte. Mrawinskij wurde zur prägenden Figur, die russische Schule zur Basis für den jungen Musiker. Doch dann ging es bald in den Westen. Herbert von Karajan entdeckte 1968 sein Talent und empfahl ihn für einen kulturellen Austausch. Er landete in der berühmten Dirigentenschmiede Hans Swarowskys, hielt aber trotzdem stets und bis heute intensiven Kontakt zur russischen Heimat. Auch wenn ihn die Karriere 1979 für über 20 Jahre nach Oslo führte.
Die norwegische Hauptstadt war damals «musikalische Provinz», doch Jansons gelang es wie Simon Rattle in Birmingham, aus einem mittelmäßigen Orchester einen exquisiten Klangkörper zu formen. Abseits des internationalen Musikzirkus\' konnte er sich in Ruhe ein immenses Repertoire erarbeiten. Den Fokus legte er auf Spätromantik und klassische Moderne, sein Faible für Schostakowitsch und Haydn ist unüberhörbar. Dass ihm Spitzenorchester erst relativ spät Chefpositionen boten - Pittsburgh 1997, die BR-Symphoniker 2003, das Concertgebouw 2004 -, ist nur typisch für einen, der sich nie vor die Musik stellt.
Wer seine Proben besucht, erlebt einen freundlich beharrenden Partitur-Exegeten und Musik-Maniac, ohne jegliche Allüren. SeinemOrchester erklärt er Inhalte, Zusammenhänge, und dabei plaudert er schon mal aus dem Leben des Komponisten. Doch bei aller Intensität dieser Arbeit ist die Atmosphäre immer angenehm, freundschaftlich.
Für das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker vor zwei Jahren hat Jansons über 800 Werke der Familie Strauß angehört. Und nicht nur bei einem solchen Medienevent bereitet er sich akribisch vor. Der drahtige Mann mit den blassen Wangen ist ein Workaholic im Dienste der Musik. Die ständige Überforderung scheint zu seinem Leben zu gehören. Schon zweimal hat er einen Herzinfarkt erlitten.
Immerhin jettet er jetzt kaum mehr zwischen den Kontinenten, dirigiert vornehmlich in Europa. In München, wo Jansons bis 2012 verlängert hat, setzt sich der Klang-Perfektionist vehement für einen neuen Konzertsaal ein - und kann dabei richtig hartnäckig werden. Auch wenn ihn sonst Bescheidenheit ziert und er «glücklich ist, weil er den Menschen mit der Musik etwas Kostbares schenken kann».
Christa Sigg