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Bayreuth (ddp-bay). Am Ende ging alles doch ziemlich schnell. Nur ein knappes halbes Jahr, nachdem seine Frau Gudrun überraschend starb, hat Wolfgang Wagner, der Enkel Richard Wagners, seinen Rücktritt vom Amt des Bayreuther Festspielchefs verkündet.
Mit Gudrun, seiner zweiten Frau, die zuletzt als heimliche Herrscherin auf dem "Grünen Hügel" galt, hatte der 88-jährige seine wichtigste Stütze verloren. Deshalb schien es nur eine Frage der Zeit, wann Wagner einer Nachfolgeregelung nicht mehr im Wege stehen würde.
Allerdings ist Wagners Abdankung keine bedingungslose "Kapitulation". Erst vor wenigen Tagen hatte er in einem Brief an den Stiftungsrat der Festspiele seine beiden Töchter Katharina (aus der Ehe mit Gudrun) und Eva Wagner-Pasquier (seine lange Zeit verstoßene Tochter aus erster Ehe) als Nachfolger vorgeschlagen. Daraufhin bat Kunstminister Thomas Goppel (CSU) die Halbschwestern, dem Stiftungsrat ein gemeinsames Konzept vorzulegen.
Mit dem Rücktritt des knorrigen Oberfranken geht eine Ära deutscher Musikgeschichte zu Ende. Vielleicht ist das mütterliche Erbe für seine Widerständigkeit - manche sagen Sturheit - verantwortlich. Wolfgang ist der Spross von Richard Wagners Sohn Siegfried und der eisernen Winifred Wagner, einer glühenden Nationalsozialistin, die auch nach dem Krieg an ihrer Freundschaft zu Adolf Hitler unbeirrt festhielt. Wolfgang selbst ist Hitler, der in der Villa Wahnfried ein- und ausging, in seiner Kindheit und Jugend oft begegnet.
Die politische Belastung der Mutter bot Wolfgang und seinem Bruder Wieland nach Kriegsende die Chance für einen Neuanfang in Bayreuth. Wieland schmiss die Flügelhelme auf den Müll und machte mit kühnen, abstrakt-stilisierenden Wagner-Inszenierungen Furore. Währenddessen kümmerte sich Wolfgang, der während des Krieges eine Ausbildung als Bühnenbildner und Opernregisseur genossen hatte, ums Finanzielle und Organisatorische.
Das Festspielhaus und den Familienwohnsitz Villa Wahnfried brachte er in eine Stiftung ein, an der neben der Familie auch öffentliche Institutionen beteiligt sind. Außerdem förderte er die Gründung des Mäzenatenvereins "Freunde von Bayreuth", der bis 2000 mehr als 25 Millionen Euro für den Festspielbetrieb spendete. 1953 rang er dem Bund eine Zusage für Zuschüsse ab. Später beteiligten sich auch der Freistaat Bayern und die Stadt Bayreuth. Dass der Festspielbetrieb lange Zeit auf festen wirtschaftlichen Fundamenten ruhte, ist vor allem Wolfgangs Verdienst. Erst in jüngster Zeit war wiederholt von einer "finanziellen Schieflage" des bedeutendsten deutschen Musikfestivals die Rede.
Künstlerisch konnte Wolfgang seinem Bruder Wieland, der 1966 an einem Krebsleiden starb, allerdings nie das Wasser reichen. Seine eigenen Inszenierungen gelten als konservativ und altväterlich. Mit spektakulären Verpflichtungen junger Regisseure, Dirigenten und Sängern sorgte er freilich als Kunstmanager immer wieder für Überraschungen.
So verpflichtete er 1976 für den "Ring des Nibelungen" die Franzosen Patrice Chéreau (Regisseur) und Pierre Boulez (Dirigent). Die Inszenierung ging als "Jahrhundert-Ring" in die Geschichte ein. 2003 holte er den völlig opernunerfahrenen Skandal-Regisseur Christoph Schlingensief für eine Neuinszenierung des "Parsifal" nach Bayreuth. Der kalkulierte Skandal nahm zunächst Kritikern den Wind aus den Segeln, die dem Alten nichts mehr zutrauten.
Schon in den 90er Jahren hatten sich Stimmen gemehrt, die Wagner drängten, endlich seine Nachfolge zu regeln und Jüngeren Platz zu machen. Erster Höhepunkt dieser erst jetzt zu Ende gegangenen Auseinandersetzung war der Putschversuch des früheren bayerischen Kunstministers Hans Zehetmair (CSU), auf dessen Drängen 2001 ein Beschluss des Stiftungsrates zustande kam, Eva Wagner-Pasquier zur Nachfolgerin zu bestimmen. Doch Wolfgang pochte auf seinen Vertrag auf Lebenszeit, woraufhin Eva genervt das Handtuch warf.
Später brachte er mit Unterstützung seiner Frau Gudrun seine Tochter Katharina als künftige Bayreuther Festspielchefin in Stellung. Erst nach Gudruns Tod kam es zu einer (Wieder)-Annäherung der beiden Halbschwestern. Einzig Nike Wagner, die Tochter Wielands, scheint das Ränkespiel um die Macht auf dem Grünen Hügel zumindest vorerst verloren zu haben. Eigentlich hatte sie zusammen mit Eva Wagner-Pasquier die Festspiele leiten wollen und dem Stiftungsrat eine entsprechende Bewerbung vorgelegt. Doch wenn alles so läuft, wie es sich Wolfgang Wagner vorstellt, wird sein Familienstamm auch künftig in Bayreuth das Sagen haben.