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70 Kompositionen zum Siebzigsten: Peter Hanser-Strecker. Foto: Schott Music
70 Kompositionen zum Siebzigsten: Peter Hanser-Strecker. Foto: Schott Music
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Von der moralischen Verantwortung des Verlegers: Ein Interview mit Peter Hanser-Strecker zu seinem 70. Geburtstag

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Peter Hanser Strecker ist Musikverleger des zweitältesten und größten Musikverlags in Deutschland. Im Oktober 1968 in den Schott-Musikverlag eingetreten, stieg Hanser-Strecker bereits 1974 bei Schott zum Geschäftsführer auf, 1977 übernahm er die Zuständigkeit für den gesamten verlegerischen Bereich und wurde 1983 Vorsitzender der Schott-Geschäftsführung. Er war Gründungsmitglied der VG Musikedition, der Paul-Strecker-Stiftung und der Pro musica viva Maria Strecker-Daelen-Stiftung. Den 70. Geburtstag von Peter Hanser-Strecker am 14. Juli nahm die neue musikzeitung zum Anlass für ein ausführliches Gespräch.

neue musikzeitung: Herr Hanser-Strecker, finden Sie nicht auch, dass es ein Jammer ist, dass vor hundert Jahren nicht die alten Musikverlage Herstellung und Vertrieb von Schallplatten an sich gezogen haben, sondern die Industrie, die auch die Abspielgeräte herstellte und daher von Anfang an mit der Musik ein ganz anderes Verwertungsinteresse verband?

Peter Hanser-Strecker: Ich finde es erstaunlich. Allerdings war der Schott-Verlag immer schon daran interessiert, dass die wichtigsten Werke unserer Künstler auf Schellackplatten eingespielt wurden oder auf Welte-Mignon. Es bestand aber ein grundsätzlicher Unterschied. Musikverlage kannten sich damals ausschließlich im Bereich des Druckens aus. Die industrielle Fertigung von Schallplatten erforderte andere komplizierte technische Produktionsmittel. Die waren den Verlagen sehr fremd, der Industrie aber zugänglich. Heute ist das alles kein Thema mehr, es gibt Firmen, die gegen Lohn pressen. Wir würden uns aus der Sicht von heute so eine Chance nicht entgehen lassen. Denn wir verstehen uns als „provider of musical information“.

nmz: Sie haben über „Das Plagiat in der Musik“ promoviert, also quasi in einem Grenzbereich zwischen Jura und Musikwissenschaft und über ein Thema, das weit in unsere Gegenwart ragt.

Hanser-Strecker: Das Plagiat-Thema war noch nie so aktuell wie heute. Dieser Vorwurf wird seit einiger Zeit besonders gegen Dissertationen von Politikern erhoben und vielleicht auch ein bisschen überstrapaziert. Juristisch gesehen sind das in der Regel nur Zitate ohne Quellenangabe. 

nmz: In der Musik dagegen sind Plagiate seit alters her etwas sehr Alltägliches.

Hanser-Strecker: Das Komplizierte bei vielen unserer heutigen Plagiatsprozesse liegt darin, dass bei der Beschränktheit des funktionsharmonischen Materials sogenannte Doppelschöpfungen an der Tagesordnung sind. Der typische Plagiatsprozess läuft wie folgt ab: Es gibt ein sehr erfolgreiches Werk, und ein sehr erfolgloser Komponist stellt fest, dass er irgendwo etwas Ähnliches komponiert hat – und erhebt Klage. Es ist erstaunlich, wie viele Parallelen es in der Musikliteratur gibt, und das Internet ermöglicht heute ein schnelles Auffinden solcher Stellen. Oft wird aber auch gar nicht geklaut. Wenn man Musik auf einen Text schreibt, sind bestimmte Tonfolgen durch Sprachrhythmus und Betonung manchmal fast zwingend vorgegeben.

nmz: Das Thema ist zurzeit in den Hintergrund gedrängt durch die allgegenwärtige Debatte um das Urheberrecht.

Hanser-Strecker: Wir leben heute schon damit, dass durch die Omnipräsenz der gesamten Musikliteratur das Plagiieren, also das Collagieren von Zitaten, zu einer eigenen Kunstrichtung geworden ist. Man kann mit technischen Möglichkeiten dabei sehr viel vertuschen. Der elektronische Diebstahl von geistigem Eigentum ist ganz leicht geworden. 

Die Diskussion um den urheberrechtlichen Schutz wird heute stark polarisiert und wenig erfolgsorientiert geführt. Es ist offensichtlich, dass wir heute andere technische Mittel haben als früher und die Generation der Digital Natives mit geistigem Eigentum weniger reguliert als früher umgehen möchte. Wir haben im digitalen Zeitalter aber noch ein analoges, ein haptisches Denken in Sachen Werk. Die sogenannten Piraten wollen aber kein Werk haben – das kann der Künstler gerne behalten – sie wollen es nur benutzen. Und dann gibt es dieses fundamentale Missverständnis, das davon ausgeht, dass ein besserer Zugang immer ein kostenloser sein sollte. Die Piraten sagen nicht, dass Kunst keinen Wert habe – nur einen Preis soll sie bitte nicht haben. Das geht natürlich nicht. Jede Nutzung eines Werkes erfordert auch eine angemessene Bezahlung. Die Bezahlung wäre etwa in Form von Mikropayments im Internet gar kein Problem, das ließe sich sogar automatisieren. Auf die Weise könnte man sicherstellen, dass nicht der Urheber der Dumme ist, sondern beide Seiten das bekämen, was ihnen zusteht. Die einen bekommen freien Zugang und die anderen für die Nutzung ihrer Werke ein angemessenes Entgelt. Wer Urheberrechte gratis nutzen will, verstößt gegen einen Verfassungsgrundsatz: Urheberrechte sind wie das sachliche Eigentum durch das Grundgesetz geschützt. 

nmz: Sie sind vermutlich auch Anhänger der Siebzig-Jahre-Schutzfrist für die Urheberrechte nach dem Tode des Urhebers?

Hanser-Strecker: Der Einsatz, den wir im E-Musik-Bereich für ein Werk leisten, ist oft so hoch, dass es nicht vertretbar wäre, wenn die Schutzfrist kürzer wäre. Grundsätzlich darf zwischen geistigem und materiellem Eigentum kein Unterschied gemacht werden. Insofern ist es grotesk, dass jemand, der ein Haus baut, mehr davon hat als jemand, der eine Oper schreibt. Das Haus kann selbst nach 70 Jahren nicht jeder einfach gratis bewohnen. Und oft findet die Durchsetzung eines Werkes eben nicht zur Lebenszeit des Urhebers statt sondern erst zur Lebenszeit der Enkel. Als Verlag verstehen wir uns als kulturelle Institution und stehen absolut hinter unseren Komponisten und Autoren. Die Frist von siebzig Jahren ist mehr als gerechtfertigt

nmz: Sie sind 1968 zum Verlag gekommen, als Leiter der Rechtsabteilung... 

Hanser-Strecker: … außerdem Honorar- und Lizenzabteilung, Schallplattenabteilung und Unterhaltungsmusik... 

nmz: ...und Sie haben sich schon sehr früh sowohl für zeitgenössische Komponisten eingesetzt und zugleich der Rockmusik einen Platz im Verlag verschafft.

Hanser-Strecker: 1968 dachten alle, jetzt müsse etwas Neues passieren. Ich war seit den frühen sechziger Jahren immer gern in Darmstadt bei den Ferienkursen und habe auch einen Kurs bei Kagel im elektronischen Studio in München besucht. In Donaueschingen habe ich die Musik von Penderecki und Ligeti kennengelernt und schon bevor ich im Verlag anfing zu meinem Großvater gesagt, dass er sie zu Schott holen solle. Mein Großvater hat mir vertraut, so dass beide 1966 zu Schott kamen. 

nmz: Anfang der siebziger Jahre fiel die Preisbindung für Schallplatten, und innerhalb von kurzer Zeit veränderte sich der Schallplattenmarkt gründlich. 

Hanser-Strecker: Ja, das ging alles ziemlich schnell. Ende der siebziger Jahre war es vorbei mit dem Schallplattenmarkt in seiner alten Form. Und dann kam die CD.

nmz: Die aber auch für die Tonträgerbranche nur ein Moratorium brachte.

Hanser-Strecker: Damals waren wir, und auch ich persönlich, sehr überzeugt von den Möglichkeiten der CD und der digitalen, verzerrungsfreien neuen Technik. Wir gehörten damals zu den ersten, die bei WERGO auf die CD umgestellt haben. Aber wir haben nicht mit dem Internet gerechnet. Der Tonträgerindustrie ginge es auch heute noch viel besser, wenn es nicht das Internet gäbe und die Möglichkeit des Downloads von MP3-files.

nmz: Der Schott-Verlag hat sich früh mit den neuen Techniken vertraut gemacht. 

Hanser-Strecker: Das stimmt, aber nach wie vor machen wir 90 Prozent unseres Umsatzes in den traditionellen Bereichen. Allerdings nehmen die Online-Verkäufe zu. 

nmz: Inzwischen ist es ja längst auch möglich, Noten als Datensätze zu handeln.

Hanser-Strecker: Klar. Wir haben gemeinsam mit weiteren Verlagen eine Online-Plattform für kostenpflichtige Notendownloads entwickelt und sind überzeugt, dass dies der richtige Weg ist. Wenn man zum Beispiel als Student nur an einem einzigen Stück interessiert ist, bekam man es früher nur in einem ganzen Band, man musste also etwas kaufen, was man nicht haben wollte, um eine Kleinigkeit zu bekommen, die man brauchte. Heute bieten wir einzelne Stücke auf einer legalen Download-Plattform an. Und ab sofort auch Downloads von CDs und E-Books. 

nmz: Führt nicht dennoch diese Organisation des Kundenzugangs zu einer Verengung des Marktes?

Hanser-Strecker: Ja und nein: Die Menge der Titel, die man bei iTunes herunterladen kann, ist gewaltig, und an dieser Chance kann jeder partizipieren. Das Problem ist die Masse. Die meisten wissen ja nicht, was sie suchen sollten, sodass paradoxerweise durch die Überfülle des Angebots die Chancen, etwas Neues kennen zu lernen, eher sinken. 

Gleichwohl erlauben es die neuen Vertriebsformen, dass immer mehr Nischen aufgetan und ausgefüllt werden. Wir haben es dabei mit dem Phänomen des „long tail“ zu tun, also mit der Tatsache, dass die Summe der Verkäufe von genannten Nischenprodukten größer ist als die der Bestseller. Wir können heute im Internet unseren Kunden überall auf der Welt alle unsere Produkte zeigen, und das pro Tag 24 Stunden lang und grundsätzlich in allen Sprachen.

nmz: Und Tablet-Computer bieten die komfortable Möglichkeit, sich genau die Noten herunterzuladen, die man gerade braucht.

Hanser-Strecker: Ja, mit dem iPad, das es ja erst seit etwas mehr als zwei Jahren gibt, ist eine Möglichkeit entstanden, die ich als eine zweite Gutenbergsche Revolution empfinde. Im Prinzip kann man alle Werke in einem Gerät jederzeit ansehen, studieren und sogar verändern. Wir haben gerade unsere ersten Apps entwickelt, die endlich die medialen Möglichkeiten bieten, die ich mir immer gewünscht habe: Ich sehe die Noten, ich höre die Musik, ich kann sie – etwa durch Transponieren – beeinflussen, kann mitspielen und dabei auch selektiv vorgehen, also zum Beispiel erst die linke, dann die rechte Hand hören. Das ist fürs Singen, für Kammermusik, zum Einstudieren und viele andere Gelegenheiten ideal. Statt Music minus One gibt es heute Music plus everything.

nmz: Wenn Sie zurückblicken auf die 38 Jahre Ihrer Geschäftsführertätigkeit bei Schott, ist wohl nicht zu übersehen, dass sich das Verlagsgeschäft in dieser Zeit enorm verändert hat. 

Hanser-Strecker: Unser Unternehmen ist jetzt bald 250 Jahre alt, und ich denke, dass sich in den letzten 20 Jahren mehr geändert hat als in über 200 Jahren davor. Vor 30 Jahren hatten wir die größte Notenstecherei in Europa, bevor wir den elektronischen Notensatz eingeführt haben. Was sich auch sehr verändert hat, ist die Internationalisierung. Durch die Veränderung der Kommunikationsmittel ist man heute faktisch gezwungen, international zu arbeiten. Aber darin liegen für uns auch ganz große Chancen.

nmz: Zu den Veränderungen zählen nicht nur Digitalisierung und  Internet, sondern auch die Tatsache, dass etliche durchaus auch große Verlage verschwunden sind. 

Hanser-Strecker: Das Verlagssterben, wie es manchmal genannt wird, hängt nicht nur mit der Veränderung des Marktes zusammen. Manchmal ergab es sich, dass ein Eigentümer keine Erben hatte und seinen Verlag daher verkaufen musste. Solche Verkäufe sind seit vielen Jahren ein bekanntes und lukratives Geschäft. Mich hat das aber auch immer etwas irritiert. 

Ein Musikverlag ist eben nicht nur ein x-beliebiges Privatunternehmen, das jederzeit verkauft werden kann, sondern immer zugleich auch eine Art Versicherungsgesellschaft für die Autoren, die einen langfristigen Partner brauchen. Die Verantwortung eines Verlegers geht über das rein Wirtschaftliche hinaus. In vielen Fällen ist er ja auch eine Bezugsperson und ein langjähriger Weggefährte. Diese Funktion löst sich bei einem Verkauf in Wohlgefallen auf.

nmz: Ein Plädoyer für eine moralische und kulturelle Verantwortung des Verlegers. In diesem Kontext steht auch Ihr vielfältiges politisches und kulturelles Engagement, etwa im Musikverlegerverband, im Musikrat und etlichen Stiftungen. 

Hanser-Strecker: Sehr wichtig ist mir persönlich, dass ich vor 20 Jahren die Chance hatte, die Stiftung „Pro Musica Viva – Maria Strecker-Daelen“ zu gründen, die nach meiner Großmutter benannt ist. Sie hat mir Geld zur Verfügung gestellt, um von den Nazis als entartet diffamierte Werke vor allem jüdischer Komponisten, deren Urheber während des Dritten Reiches ermordet wurden, zu rehabilitieren, indem wir diese Werke aufgeführt und auf CDs herausgebracht haben. Ich habe dabei tief erschütternde Erlebnisse mit überlebenden Komponisten aus Theresienstadt gehabt. Etliche haben mit mir erst geredet, als sie überzeugt wurden, dass ich – Jahrgang 1942 – nicht zu den Tätern gehört haben kann. 

Was damals geschehen ist, bedeutet für uns Deutsche eine Belastung, die niemals verjährt, und zugleich ein Vermächtnis, sich für diese Werke einzusetzen.

nmz: Bindungen, Verantwortung und die alten Werte als Fels in der digitalen Brandung?  

Hanser-Strecker: Ja, wenngleich ein wesentlicher Punkt dazu kommt. Was wir früher leisten konnten mit unseren Produktionsmitteln, also Notensatz und Druckerei, ist heute nicht mehr das, was einen Verlag auszeichnet. Wenn Sie bedenken, dass heute 90 Prozent der entstehenden Musik vom Autor selbst oder gar nicht verlegt wird, muss man sich eingestehen, dass der Verlag als Mittler nicht mehr die gleiche Rolle spielt wie früher. Aufgabe des Verlegers ist es heute, eine Vielzahl von Dienstleistungen für einen Urheber zu erbringen. 

Dazu zählt unter anderem, seine Werke in hoher Qualität weltweit anzubieten und sie immer wieder aus der Masse hervorzuheben und bekannt zu machen. Dazu müssen wir in der Technik der digitalen Aufbereitung und Verbreitung absolut zu Hause sein, um alle Register der Verbreitung zur Verfügung zu haben. 

nmz: Kann man als Einzelner in einem Geschäftsfeld, das sich dermaßen verbreitert und verzweigt hat, dennoch den Überblick behalten?

Hanser-Strecker:  Man muss bereit sein, viel Zeit und Aufmerksamkeit zu investieren, und man muss immer bereit sein, sich in die Situation des Staunens, des unbefangenen Neu-Erlebens zu versetzen. Das ist auch ein gutes Mittel gegen das Älterwerden. Und man braucht richtig gute Mitarbeiter mit Leidenschaft für die Sache – das ist vielleicht sogar das Wichtigste, um heute erfolgreich sein zu können.

In der zeitgenössischen Musik finde ich die Situation heute ganz besonders spannend: Es gibt ja keine großen Trends oder Kompositionsmodelle mehr, sondern unser Musikleben ist geprägt von Menge und Gleichzeitigkeit und einer ständig steigenden Zahl von Gelegenheiten, Musik zu erleben. Wir werden das demnächst bei unserem Petruschka-Projekt zeigen können, das am 14. Juli mit über 70 Uraufführungen abgeschlossen und dem Publikum vorgestellt wird.

nmz: An Ihrem 70. Geburtstag.

Hanser-Strecker: Ein glücklicher Zufall. Wir haben über 70 Komponisten eingeladen, zum Thema „Dances of our time“ ein Stück zu schreiben, um auszuloten, wie heute ein und dasselbe Thema von vielen verschiedenen Künstlern musikalisch erfasst und verarbeitet wird. Ich denke, wir werden an diesen über siebzig Stücken zeigen können, dass es eine unglaubliche Vielzahl von Möglichkeiten gibt, sich auf ein Gemeinsames zu beziehen, eine künstlerische Idee auszugestalten. Das wollen wir medial natürlich mit allen unseren Möglichkeiten bekannt machen. Und wir haben den Plan, das Projekt dann jährlich mit anderen Themen fortzusetzen. Dann sind wir aber nicht mehr der Auftraggeber, sondern nur der Initiator eines weltweiten Wettbewerbs. 

Interview: Hans-Jürgen Linke

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