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Die unstillbare Sehnsucht nach Unterricht

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Eine deutsch-syrische Erfolgsgeschichte an der Musikschule Bremen
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Musikschulen sind Orte der Kunst, der Gemeinschaft und Empathie. Wer hier mit dem Unterricht beginnt, kann gar nicht anders, als sich schnell geschätzt und mitgezogen zu fühlen, denn das Personal solcher Einrichtungen steht ebenso für menschliche Werte wie für fachliche Qualifikation.

Den Beweis tritt die Musikschule Bremen an, denn dort erhält seit drei Jahren ein syrischer Junge Geigenunterricht, der jetzt den Sprung in den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ geschafft hat. Eine Geschichte über Willensstärke, Empathie und Engagement.

Musikschulen, so kann man es auf den Internetseiten des VdM lesen, sind öffentliche Bildungseinrichtungen, die über die Sensibilisierung für das Musizieren, die Auseinandersetzung mit Musik und das Erlernen musikalischer Fertigkeiten hinaus einen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen. Musikschulen fördern die Persönlichkeitsentwicklung, Kreativität, Leistungsbereitschaft, Ausdauer und Konzentration. Sie sind Orte der Integration, des Aufeinanderzugehens, der Öffnung für Unbekanntes und des Miteinander auch unterschiedlicher sozialer beziehungsweise ethnischer Gruppen und kultureller Milieus.

Offene Orte also, Orte, die die Willkommenskultur pflegen, die einladend sind und Freude verbreiten, statt Angst zu machen. Zur Vermittlung einer positiven Ausstrahlung können das Musikschulgebäude oder die Räume, in denen Musikunterricht stattfindet, sicherlich ihren Teil beitragen. Das positive, einladende Image dieser Einrichtungen wird jedoch maßgeblich bestimmt von den Menschen, die dort pädagogisch tätig sind. Von deren fachlicher Qualifikation, ihrer Herzensbildung und Empathie.

An der Musikschule Bremen, gegründet vor nunmehr 71 Jahren, hatte Anfang März, wie um diese Jahreszeit in allen 16 Bundesländern, der Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ stattgefunden. Im Stadtstaat Bremen stellt die kommunale Musikschule das Kompetenzzentrum und den Anziehungspunkt für alle an „Jugend musiziert“ interessierten Nachwuchsmusikerinnen und – musiker dar. Geplant, organisiert und durchgeführt wird der Landeswettbewerb in Bremen seit vielen Jahren von Andreas Lemke, derzeit kommissarischer Leiter der Musikschule Bremen und Vorsitzender des Landesausschusses „Jugend musiziert“. Klein, wie das Bundesland, ist traditionell auch die Zahl der Teilnehmer: 39 Musikerinnen und – musiker stellten sich in 26 Wertungen den Jurygremien vor, schließlich erspielten sich acht Jugendliche die Fahrkarte zum Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ in Halle. Drei der acht Bundeswettbewerbs-Teilnehmer erhalten Unterricht an der Musikschule Bremen. Darunter Dani Alhamoud, ein 17-jähriger Geiger. Seine Qualifikation für den Bundeswettbewerb 2019 ist der vorläufige Höhepunkt einer wunderbaren Geschichte über Willensstärke, Empathie und Engagement. Denn Dani ist ein Flüchtling aus Syrien, der 2015 zusammen mit den Eltern und seinem Bruder nach Deutschland kam.

Die Familie war nach ihrem Weg über die Türkei und Griechenland in einer Unterkunft in Bremen gelandet und wurde, so erzählt es seine Instrumentallehrerin Regine Freitag am Telefon, von einer Dame, die zum Helferkreis der Flüchtlingsbetreuer gehörte, nach kurzer Zeit an die Bremer Musikschule vermittelt. Denn der damals 15-jährige wollte unbedingt Geige spielen lernen. Und so begegnete Dani in Regine Freitag in der Musikschule Bremen dem nächsten empathischen Menschen. Sie sah ihm ins Herz, würdigte seinen Lerneifer und bot ihm ihre fachliche Hilfe an.

Regine Freitag erzählt die Geschichte seines ersten Vorspiels schmunzelnd, denn das, was er ihr 2015 präsentierte, habe sie in Haltung und Klang eher an den Sound der Sinti- und Roma-Kapellen erinnert. Fakt war: „Er war ein kompletter Autodidakt, der in Syrien höchstens zwei Geigenstunden erhalten hatte und sich die Technik vor allem bei YouTube abgeguckt hatte.“ Was ihn nicht daran hinderte, sich anspruchsvolle Literatur zu wünschen, nämlich mit den Phantasien von Telemann seine Ausbildung bei ihr zu beginnen. „Ich konnte ihn nicht davon abbringen“, erzählt sie, „er wollte es unbedingt mit diesen Stücken versuchen.“

Beflügelte Lehrkräfte

Die Musikschule Bremen, mit ihren derzeit rund 3.000 Schülerinnen und Schülern, ist Mittelpunkt eines Netzwerks von Förderern und Stiftern, dazu gehört die Hermann-Grevesmühl-Gesellschaft. Die hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Musikerziehung und -förderung besonders von Kindern aus Bremen-Nord, einem Brennpunkt der Stadt, finanziell zu unterstützen. Da die Familie Alhamoud im Norden Bremens lebte, wurde für Dani eine Sozialermäßigung vereinbart. Seit nunmehr dreieinhalb Jahren erhält Dani bei Regine Freitag also Einzelunterricht, einmal pro Woche, im Rahmen des regulären Unterrichts. „Er ist sehr selbstständig, außergewöhnlich lernbegierig, für ihn ist Lernendürfen ein Geschenk“, so ihre Bilanz nach dieser gemeinsamen Zeit. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis der junge, begabte Geiger vom Wettbewerb „Jugend musiziert“ erfuhr – und umgehend den Wunsch äußerte, daran teilnehmen zu dürfen. Und so erweiterte Freitag ihr Angebot und bot ihm kos-tenlose Zusatzstunden an. „Anders ist eine Vorbereitung für „Jugend musiziert“ nicht möglich“, sagt sie lapidar. Der Erfolg beim Landeswettbewerb beflügelt Lehrkraft und Schüler nun erst recht: Dani wird sich in der Altersgruppe V mit Deutschlands Geigerinnen und Geigern messen, die zum Teil mehr als dreimal so lange Unterricht auf ihrem Instrument erhalten.

Danis Begegnung mit empathischen Menschen in der Musikschule Bremen beginnt jedoch eigentlich an einer anderen Stelle: Sie beginnt mit seinem Besuch des an der Musikschule angesiedelten „Jungen Kammerorchesters“ und dessen Leiter Martin Lentz, der seit über 30 Jahren in der Orchesterarbeit mit Jugendlichen engagiert ist. Nicht erst in der Musikschule Bremen übrigens. Lentz gehörte Anfang der 2000er Jahre zum Team der Free International Music School in Ramallah unter der Präsidentschaft von Daniel Barenboim. Er hat dort wie hier viele Begabungen entdeckt und gefördert und erinnert sich lebhaft an Danis ersten Probenbesuch: „Dani kam mit seiner Geige zur ersten Probe und wurde herzlich in die Gruppe aufgenommen. Ich setzte ihn neben die Stimmführerin in der ers-ten Geige, damit er schnell reinfände, aber Dani spielte nicht. Er versäumte ab diesem Moment keine einzige Probe, saß jedoch über Wochen still neben der Konzertmeisterin und las intensiv seine Stimme mit.“ Erst als er sich im Notentext sicher fühlte, verließ er den Platz in den ersten Geigen und setzte sich an eines der hinteren Pulte. Als er dann mit dem Unterricht bei Regine Freitag begann, verbesserte er sich „explosionsartig“, so Martin Lentz.

Unstillbare Sehnsucht nach Unterricht

Nicht zuletzt liegt das auch an dem Instrument, das ihm die Musikschule seither zur Verfügung gestellt hat. „Meine Eltern hatten mir in der Türkei eine Geige gekauft“, so erzählt Dani am Telefon. „Meine erste Geige hatten wir in Syrien zurücklassen müssen. Die Geige, die sie kauften, war nicht besonders teuer, aber wir hatten vereinbart, dass ich ihnen das Geld zurückzahle. Deshalb habe ich dann über mehrere Monate in der Türkei in einem Restaurant gearbeitet. Ich hatte mir ja gute Türkischkenntnisse angeeignet.“ Die Geige hütet Dani bis heute, auch wenn er längst erkannt hat, dass sie für seine Fortschritte eher hinderlich ist. Die Musikschule Bremen hat ihm nun eine Geige geliehen, die ihr wiederum von einer Gönnerin angeboten worden war. Auf ihr wird er auch beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ musizieren.

Wie kommt ein syrischer Junge überhaupt auf die Idee, mit dem Geigenspiel zu beginnen? Schuld daran sei ein Film, den er mit fünf oder sieben Jahren gesehen habe, sagt Dani. Darin sei es um eine Stradivari gegangen und seit er den Klang dieses Instruments gehört habe, habe ihn der Wunsch, Geige spielen zu lernen, nicht mehr losgelassen. Bei einem Lehrer in Syrien habe er dann ein paar Unterrichtsstunden erhalten, dann aber sei der Krieg gekommen. Als Zehnjähriger unternahm er dann einen zweiten Versuch, Geigenunterricht zu erhalten. Da er aber keinen Geigenlehrer gefunden habe, habe er, gemeinsam mit seinem älteren Bruder Hassan, mit dem Klavier angefangen, so erzählt er, und man ist angesichts der glutvollen Schilderung all seiner Bemühungen, ein gut ausgebildeter Musiker zu werden, gleichermaßen gerührt und beschämt, denn wäre man selbst in der Lage, vor dem Hintergrund solcher internationaler Wirren und Gefahren ein Ziel mit solcher Inbrunst zu verfolgen?

Die Eltern von Hassan und Dani sind beide Akademiker, der Vater ist Elektroingenieur, die Mutter Informatikerin. Die Familie hat inzwischen den Status der anerkannten Flüchtlinge, und beide Eltern sind in Bremen wieder in ihren Fachgebieten berufstätig. Auch sie gehören zu den empathischen Menschen mit großer Herzensbildung, denen das Glück ihrer Kinder ein Anliegen ist. Anders ist es kaum erklärlich, dass sie die Musikausbildung ihrer Kinder nach Kräften unterstützen.

Wie viel davon auf ihre beiden Söhne übergegangen ist, spürt man schon am Telefon. Danis große Höflichkeit ist unüberhörbar. Alle, die in Bremen mit ihm persönlichen Umgang haben, bestätigen diesen Eindruck. „Ich habe selten solch einen höflichen Schüler gehabt“, sagt Martin Lentz, der seinen Schützling auch im Umgang mit den Orchestermitgliedern genau beobachtet. Ob es um den Instrumententransport nach der Orchesterprobe geht, um das Aufräumen der Stühle, immer gehört Dani zu denjenigen, die mit anpacken. Demnächst steht eine Konzertreise des „Jungen Kammerorchesters“ nach Rumänien an. Neben der Vorfreude aller Musiker, stellt die Reise Dani und einige andere auch vor finanzielle Probleme, die gelöst werden müssen. Aber da blitzt sie wieder durch, die Empathie, die Menschen veranlasst, anderen Menschen die Hand zu reichen. Denn Martin Lentz hat diese leisen Sorgen seiner Musiker im Blick, wenn er trocken feststellt: „Eher mache ich solch eine Konzertreise nicht, als dass ich jemanden aus finanziellen Gründen nicht mitnehme.“

Wo empathische Menschen tätig sind, wird sich eine Lösung finden. Genauso wie Regine Freitag ihren Terminkalender so einrichten wird, dass sie in Halle das Wertungsspiel von Dani erleben kann. Sein Bruder Hassan wird Dani am Klavier begleiten. Unabhängig davon, mit welchem Ergebnis der Solist und sein Klavierbegleiter den Bundeswettbewerb absolvieren, alle haben schon jetzt Hochachtung und Applaus verdient: der Schüler an der Musikschule Bremen, Andreas Lemke, der Musikschulleiter, Martin Lentz, der Fachgruppenleiter im Fach Streicher und die über die Maßen engagierte Lehrkraft Regine Freitag. 

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