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Von der Pyjamisierung und rosa Schmetterlingen

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Die Coronalumne Nr. 1 von Ynej Meriel
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Ynej Meriel studierte an den besten Musikhochschulen ein Streichinstrument und hat eine rege internationale Konzerttätigkeit hinter sich. Um besser mit der Corona-Situation zurechtzukommen schreibt sie Tagebuch und wagt jetzt den Schritt zur Veröffentlichung, in der Hoffnung, Gleichgesinnte für eine Zoom-Selbsthilfegruppe, die „Anonymen MusikerInnen“, zu finden. Leben als MusikerIn in der Coronazeit – Das ist die Coronalumne.

Besser arm dran als Arm ab: Als Musiker*in in der Corona-Zeit

Oma besuchen heißt Schnitzel und Kuchen. Aber Oma ist gegangen, es ist Lockdown, auch Konzerte gibt es nicht. Pest oder Cholera? Corona! Online-Arbeiten? Mein YouTube-Erfolg ist mäßig: 9 AbonnentInnen – alles meine besten FreundInnen. Da klingelt das Handy. Lottogewinn? Nein, meine Schülerin. Sie hat ihren Arm gebrochen. Schlechtes Internet, abgehackter Klang und jetzt auch jemanden mit Gips unterrichten? Langsam bin auch ich mit meinem Latein am Ende. Meine Schülerin muss jetzt mit mir eine Mozartbiographie lesen,   er hatte es auch oft schwer und man kann davon lernen. In solchen Zeiten ist es wichtig, positiv zu bleiben und sich an Menschen zu orientieren, die einen inspirieren.

Ich nehme mir also vor, ein Übe-Video zu drehen, dann könnte ich es in den sozialen Medien teilen und so Kontakt mit Freunden und Kollegen aufrecht erhalten. Ich habe viele Ideen, wenn ich zu Hause im Pyjama auf der Couch sitze. Aber es muss ja nicht heute sein, es ginge auch morgen. Also streiche ich von meiner heutigen To-Do-Liste „Bach Aufnahme“ weg und schreibe es auf die To-Do-Liste von morgen. Prokrastination hat seit Corona nie gekannte Ausmaße entwickelt. Außerdem ist da noch das Problem der Pyjamisierung. Pyjamisierung bedeutet, dass ich, wenn ich von zu Hause aus arbeite, mehr und mehr Gefahr laufe, den Tag im Pyjama zu verbringen.  Wenn man im Homeoffice arbeitet, ist es gemütlicher im Pyjama. Auf Zoom muss man ja auch nur oben herum ordentlich aussehen. Nur auf einem Video macht sich ein Pyjama meistens schlecht.

Wie komme ich also vom Rumhängen in eine kreative Phase? Ich frage mich: Warum übe ich? Was treibt mich an? Was kann ich tief in mir erwecken, das ein Bedürfnis nach künstlerischer Betätigung auslösen kann?

Ich habe ein Heft mit blauem Glitzer drauf, in das ich rosa Sticker klebe, wenn ich am Tag mehr als 5 Minuten geübt habe, eigentlich bin ich viel zu alt dafür, aber diese Methode ist wirklich effektiv. Die Vorstellung, abends einen rosa Schmetterling in mein Übe-Heft zu kleben, ist so verlockend für mich, dass ich tatsächlich seit Corona wirklich jeden Tag geübt habe. Manche würden meinen, den Schmetterling muss man sich erst verdienen, 5 Minuten reichen nicht. Aber 5 Minuten haben oder nicht haben! Und als Bratsche muss man bekanntlich nicht so viel üben. Es ist die Regelmäßigkeit, die wichtig ist, genauso predige ich es meinen SchülerInnen. Tonleitern wie Zähneputzen betrachten und sich damit einen Sticker verdienen. Jeder Mensch hat das Bedürfnis nach Geborgenheit und Austausch und vielleicht ein bisschen Magie. Wir Musiker haben jeden Tag die Chance, einen rosa Übe-Sticker zu bekommen.

Auch wenn es manchmal so scheint, dies ist nicht die erste und wohl auch nicht die letzte Krise. Unsere musikalische Arbeit kann uns Kraft geben: Ich nehme meine Bratsche und spiele, was ich fühle. Ich bin ein Star, holt mich hier raus!

 

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