ver.di: Der Durchbruch in Leverkusen, den du als damaliger Sprecher der Honorarkräfte an Deiner Musikschule wesentlich vorangebracht hast, war leider noch nicht der erhoffte Dammbruch zur bundesweiten Übernahme von Musikschullehrer*innen in feste Arbeitsverhältnisse mit Sozialversicherung, Lohnfortzahlung, Urlaubsanspruch und Mutterschutz?
Martin Ehrhardt: Nein. Aber das Ziel bleibt. Nicht zuletzt Corona hat uns ja gezeigt, mit welchen existenziellen Problemen Soloselbstständige im Bereich Kunst und Lehre zu kämpfen haben. Darauf richtet auch unsere Fachgruppe zunehmend den Fokus. Ich selber habe mich weiter für sozialversicherungspflichtige, tarifgebundene Festanstellung stark gemacht und auf Landesebene das Kulturgesetzbuch mit vorangetrieben. Dort sind Festanstellungen nun als zwingendes Kriterium für die Förderwürdigkeit von Musikschulen verankert. Doch akut stehen wir in Nordrhein-Westfalen vor dem Problem, dass die laut Koalitionsvertrag zugesicherte Steigerung des Kulturetats um 50 Prozent bis 2027 nicht umgesetzt wird. Statt 150 Millionen Euro mehr soll es sogar 7,5 Millionen weniger geben. Eine Riesen-Misere, gegen die wir vor den Haushaltsentscheidungen im November mit einer ver.di-Kampagne ankämpfen: www.kultur-finanzieren.de
ver.di: Um bei den Honorarkräften zu bleiben: Die Fachgruppe Musik war auch treibende Kraft beim Ringen um die faire Bezahlung von Soloselbstständigen. Im vergangenen Sommer konnte das ver.di-Basishonorare-Modell vorgestellt werden …
Ehrhardt: ver.di hat das Thema Basishonorare umfassend aufgegriffen und geschafft, dass es nicht ein reines Thema für Musiker*innen geblieben ist. Über die AG Kunst und Kultur wurde die Expertise aller künstlerischen Branchen einbezogen. Am Ende gelang Einigung – angesichts der disparaten Lage geradezu eine meisterhafte Leistung. Um den Erhalt unseres Berufsstandes zu sichern, sehen wir allerdings auch Handlungsbedarf in Richtung unserer Festangestellten und damit zugleich bei sonstigen Lehrkräften und Pädagog*innen außerhalb allgemeinbildender Schulen.
ver.di: Da gibt es seit langem im ver.di-Ratgeber für Musikschullehrer*innen Vorschläge mit Gehaltstabellen. Die wären weiterzuentwickeln?
Ehrhardt: Unbedingt. Schon der letzte Bundesfachgruppenvorstand hatte sich eine Überarbeitung des gesam-ten Ratgebers vorgenommen, samt der Umrechnungstabellen für Musikschullehrkräfte im Honorar. Die insgesamt modernisierte Fassung wird nun Ende des Jahres vorliegen – Print und Online auf dem Tarifniveau von Frühjahr 2024. Die enthaltenen Umrechnungstabellen gehen über die bisherigen groben Einstufungen hinaus, die sich eher am Einsteigerniveau orientierten. Die Tabelle enthält jetzt alle Erfahrungsstufen. Ließen sich diese Honorarsätze gerade auch für die erfahrenen Kolleg*innen praktisch durchsetzen, wäre das ein enormer Schritt.
Dramatische Situation
ver.di: Das Thema „Erhalt und Förderung des Berufsstandes“ scheint derzeit euer übergreifendes Motto zu sein?
Ehrhardt: Wir müssen dringend den Beruf aufwerten, wenn wir künftig noch genug Musikschulpädagogen haben wollen. Die Situation ist schon heute durchaus dramatisch. Und tatsächlich steht vor uns ein gewaltiger Berg an Problemen. Um ihn abzutragen, müssen wir mit unseren Kräften haushalten und uns auch spezialisieren. Meine persönliche Devise ist, keinesfalls alles alleine regeln zu wollen. Wir haben deshalb im Bundesfachgruppenvorstand zu einzelnen Themen kleine Arbeitsgruppen gebildet.
ver.di: Bleiben wir zunächst bei den Gründen, warum das Berufsbild akut so in Frage steht.
Ehrhardt: Es hat sich in den letzten Jahren fundamental verändert. Wir decken mittlerweile einen größeren Kompetenzbereich ab und sind viel höheren Belastungen ausgesetzt. Das treibt uns als Vorstand und viele Kolleg*innen im ganzen Land um, weil sie es tagtäglich erleben. Ich kann das aus eigener Erfahrung sagen: Als ich studiert hatte, gab man als Geigenlehrer Individualunterricht. Meist an einer festen Arbeitsstelle und zwischen 14 und 20 Uhr. Die Schüler*innen kamen zu uns. Heutzutage wollen wir ja allen Kindern die Möglichkeit anbieten, mit musikalischer Bildung aufzuwachsen. Im Ganztagsbetrieb ist das nur zu realisieren, indem wir Lehrer*innen in die allgemeinbildenden Schulen hineingehen. Dort unterrichten wir zunehmend größere Gruppen oder ganze Klassen. Das wird verpflichtend von uns erwartet. Unsere Arbeit findet also schon vormittags dezentral an verschiedenen Schulorten statt, ab Mittag womöglich wieder im Musikschulgebäude. Das bringt vielfach zerstückelte Arbeitstage mit Wege-, Warte- und Überbrückungszeiten und hat natürlich Auswirkungen auf die Unterrichtsqualität. In einer Grundschule stehen weder pralle Notenschränke noch Konzertflügel.
ver.di: Was du beschreibst, hat nicht nur physische, sondern auch mentale Auswirkungen?
Ehrhardt: Unbedingt. Bedenken wir allein folgendes: Wir haben einen großen Teil von Kolleg*innen, die bewusst in Teilzeit arbeiten, um selbst weiter musizieren zu können. Auch für die Qualität der Lehrtätigkeit ist es nur förderlich, in der Berufspraxis zu bleiben. Doch neben den steigenden musikpädagogischen Anforderungen weiter unser instrumentales Können auf einer Bühne unter Beweis zu stellen, wird schon organisatorisch immer schwieriger. Solche Angebote können kaum noch angenommen werden, wenn Musikschullehrer*innen für Projekte nach dem Stundenplan von Grundschulen festgenagelt sind. Die Flexibilität, auch einmal eine Stunde zu verlegen, geht immer mehr verloren. Wir haben gar nicht mehr zwei Standbeine, weil eines stark amputiert ist. Das hat ideell-psychische, am Ende aber zugleich erhebliche finanzielle Auswirkungen.
ver.di: Auch die technischen Anforderungen an den Unterricht sind stark gewachsen – Stichwort Digitalisierung.
Ehrhardt: Es gab in der Corona-Pandemie kaum eine andere pädagogische Berufsgruppe, die sich so schnell umgestellt hat, um ihre Klientel weiter unterrichten zu können. Aus der Not heraus und um überhaupt Einnahmen zu behalten, musste sich eigentlich jeder bewegen und mit elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten befassen. Erst mal wurde das auf privaten Geräten und mit eigener Software gemacht. An vielen Musikschulen folgte dann eine Digitalisierungsoffensive, es wurden in Größenordnungen digitale Endgeräte angeschafft. Damit die genutzt werden können, muss man sich in die Bedienung zahlreicher Apps einarbeiten und seine Unterrichtsmethodik neu aufstellen. Das fällt nicht jedem gleich leicht und hat viel Zeit und zusätzliche Beschäftigung gefordert, die den Terminkalender weiter einschränken. Mein Eindruck: Die Digitalisierung der Musikschulen wurde von den Kolleg*innen wesentlich in ihrer Freizeit gestemmt. Das muss künftig anders werden.
ver.di: Ist nicht zumindest der erreichte Digitalisierungsstand erfreulich?
Ehrhardt: Bedingt. Allgemein wurde viel in Hardware investiert, die Software stand nicht so im Blick. Positiv ist die VdM-betriebene gemeinschaftliche Cloud Smart/Musikschule, auf der unter anderem Daten rechtskonform gespeichert werden können. Doch zu wenige Schulen beteiligen sich. Bundesweit wird zu oft auf private Speicherformate und Freeware oder Plattformen wie YouTube zurückgegriffen. Wenn wir als Lehrkräfte und ausübende Musiker so lapidar mit Datenschutz und Urheberrechten umgehen, kratzt das stark an der Vorbildfunktion, die wir eigentlich ausüben sollten. Früher wurden Noten oder CDs gekauft, die Urheber- und Leistungsschutzrechte abdecken. Heute leiten wir unsere Schüler*innen oft mit unbedarfter Umsonst-Mentalität in eine sehr problematische Richtung.
Skandalon Flexi-Verträge
ver.di: Ihr wäret aber nicht aktiv in ver.di, wenn Ihr angesichts dieser Vielzahl an Problemen den Kopf in den Sand stecken würdet …
Ehrhardt: Richtig. Analyse muss in Forderungen münden. Und die wesentlichste ist, dass wir eine höhere Eingruppierung und mehr Wertschätzung brauchen, weil der Beruf, so wie er heute ausgeübt werden muss, uns viel mehr abverlangt. Das merken inzwischen auch unsere Arbeitgeber, die Träger der Musikschulen. Ohne bessere Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen bekommen sie die Stellen langfristig einfach nicht mehr besetzt. Das Brot der Künstlerin ist nicht der Applaus allein. – Allerdings …
ver.di: Ja?
Ehrhardt: Die neuen Flexi-Arbeitsverträge, die jetzt vielerorts als Musterverträge propagiert und Kolleg*innen von ihren Trägern aufgedrängt werden, sind wirklich ein Skandal. Die Flexi-Quoten verlagern das unternehmerische Risiko nicht ausreichender Schülerzahlen auf die einzelnen Lehrkräfte, deren Verträge dann schnell mal um 20 Prozent gekürzt werden dürfen. Nicht einmal das Wenige, das einem ursprünglich zugesichert wird, ist verlässlich. Ein solches Damoklesschwert macht unseren Beruf nochmals unattraktiver.
ver.di: Ihr macht euch generell in Tariffragen stark?
Ehrhardt: Die bearbeitet gezielt unsere AG Arbeitszeit und Tarif, der erfahrene Kolleg*innen angehören. Hier geht es zum einen darum, die zerstückelte Arbeitszeit, die wir Musikschullehrerinnen inzwischen haben, exakt zu erfassen. Das ist gesetzlich und von der Rechtsprechung gefordert, aber – wie schon erklärt – bei uns sehr kompliziert. Zum anderen wollen wir eine zugeschnittene Forderung in die nächsten TVL-Verhandlungen einbringen. Da engagieren sich speziell Kolleg*innen aus Bremen, wir unterstützen sie nach Kräften. Insgesamt geht es in der kommenden Tarifrunde um die spürbare Aufwertung unseres Berufs.
ver.di: Noch ein Wort zu euren anderen Vorstands-Arbeitsgruppen?
Ehrhardt: Wir wollen unser nmz-Redaktionsteam stärken. Künftig sollen unterschiedliche Kolleg*innen mit interessanten Themen zu Wort kommen. Eine weitere spezielle AG wird sich auch um unseren Beitrag zum regelmäßig stattfindenden VdM-Kongress kümmern. Unsere Haltung und den Bericht vom Kongress haben wir in unserem letzten Beitrag in der nmz 7-8/2023 formuliert. Zudem planen wir eine AG, die sich dem Thema Hochschulen, Studierende und Lehrbeauftragte widmet.
ver.di: Eure Fachgruppe war aktiv an der ver.di-Stellungnahme zur Künstlichen Intelligenz beteiligt?
Ehrhardt: Ja, wir haben dafür die Initiative mit ergriffen und dann in einer entsprechenden ad-hoc-Arbeitsgruppe der ver.di-AG Kunst und Kultur mitgearbeitet.