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Foto: Roland Obst
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100 Jahre Theater Nordhausen: „Otello“ intensitätsstiftend

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Das rührige (Musik-)Theater, das Loh-Orchester Sondershausen und das Ballett Nordhausen haben etwas, wovon andere Häuser nur träumen können: Ein treues und großes Publikum mit liebevoller Aufgeschlossenheit auch für Unbekanntes und Neues. Unter dem seine zweite Spielzeit realisierenden Intendanten Daniel Klajner nennt sich das in einem während des Ersten Weltkriegs eröffnete Haus jetzt pfiffig „TN LOS!“, gestaltet weiterhin beliebte Sommerfestspiele und hat eine eigene Veranstaltungsfolge im Meininger Hof Saalfeld – bei den Vorstellungen des Musiktheaters spielen dort allerdings die Thüringer Symphoniker.

Über Glück und Gelingen des einwöchigen Jubiläumsprogramms „100 Jahre mittendrin“ vom 23. bis zum 30. September freuten sich alle Mitarbeiter und vor allem das Publikum. Das dokumentiert auch der Jubiläumsband mit Nachdruck. Man braucht am Südrand des Harzes keine protzige Prunkbroschüre, sondern glänzt unter dem Titel „Liebeserklärungen“ mit nichtmateriellen Mehrwerten wie Kommunikationsstärke und Kunstfertigkeit. Die langjährige Chefdramaturgin Anja Eisner zieht zum Beispiel ein paar statistische Spielereien heran oder lässt den 2016 an das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin gewechselten Intendanten Lars Tietje einen Blick zurückwerfen in das existenziell bedrohliche Krisenjahr 2006. Damals wären am Theater Nordhausen durch eine beabsichtigte Reform der Subventionsverteilung beinahe fast alle Lichter verloschen. Doch mit einer „Charme-Offensive“ und handfesten Argumenten, nämlich dem Zuspruch des Publikums, einem farbenreichen Spielplan und sozialer Nachhaltigkeit, stellte sich das Theater Nordhausen wieder energisch in Positur.

Seither wird eine Fassade der Hauptspielstätte jedes Jahr zum Adventskalender und gehören zahlreiche interaktive Projekte wie Mitsingkonzerte oder sogar Hochprozentiges zum Programm: „Veronika, der Korn ist da!“ heißt die komödiantische Belagerung der „Echten Nordhäuser Traditionsbrennerei“ zum Jubiläum und zeugt von einer feuchtfröhlichen Fraternisierung zwischen dem Theater und Nordhausens Exportschlager.

Beim Jubiläumsfestakt am 13. September ging es gewinnend „uncool“ zu. Die Power an emotionaler Verbindlichkeit war bewegend. Drei frühere Intendanten folgten der Einladung der amtierenden Leitung und der Thüringer Politikspitzen: Hubert Eckart (heute Geschäftsführer der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft), Christoph Nix (jetzt in Konstanz) und Lars Tietje, also ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, zeigten ihre starke Verbundenheit mit dem Haus. Christa und Bernd Sourell kamen als Kenner zu Wort: 60 Jahre Voll-Abonnement ist eine stolze Marke - das gibt es also noch. Besucherschwund und Berührungsangst sind am Theater Nordhausen Fremdworte, weil die Balance zwischen Erdung und Verbindlichkeit ohne Anbiederung grundehrlich herüberkommt.

Neben einer Wiederaufnahme des Musicals „Dracula“ greift das Theater Nordhausen mit Verdis „Otello“ nach einem Kometen. Dieser zerfällt aber ausgerechnet diesmal in viele kleine Sterne, weil die Entscheidung für den späten Verdi vielleicht doch nicht ganz glücklich ist. Zum einen, weil Gäste in zwei zentralen Partien von Otello (Michael Austin) und Iago (Krum Galabov) geholt wurden und das Theater sich damit um die Chance brachte, den seit Jahren beglückenden Ensemblegeist ganz kräftig zu feiern. Und zum anderen, diese Erfahrung mussten auch schon andere Bühnen machen, ist „Otello“ nicht unbedingt ideal für kleinere Häuser. Dabei fand das Loh-Orchester in der besuchten zweiten Vorstellung ab dem zweiten Akt zu einem geschmeidigen Ton, der vor allem die lyrischen Momente des Werkes sinnfällig akzentuierte. GMD Michael Helmrath, dem Anfang des Jahres mit Operndirektorin Anette Leistenschneider eine rundum souveräne „Salome“ gelungen war, wächst spürbar mit dem Nordhäuser Ensemble zusammen. Er lockt Zinzi Frohwein als Desdemona nicht gewaltsam, sondern mit sensibler Umsicht aus der lyrischen Zurückhaltung und befeuert auch den von Marius Popp zu feinen Piani angehaltenen Chor identitäts-, ja intensitätsstiftend. Das Publikum feiert die von Wolfgang Kurima Rauschning und Anja Schulz-Hertrich üppig bebilderte Inszenierung mit viel Rot, prunkvollen Roben und vielleicht einer Spur zu vielen himmelblau umschleierten Madonnen. Lange und nachdrücklich.

Die echten Trümpfe kommen aber noch, etwa die Wiederaufnahme der Zarzuela „Luisa Fernanda“ in Saalfeld oder Poulencs „Gespräche der Karmeliterinnen“. Diese beiden Produktionen zeigen wie der zielstrebige Kurs des Theaters Nordhausen als Hochburg besonderer Musicals und der Erfolg des ambitioniert-ideenreichen Ballettdirektors Ivan Alboresi das bemerkenswerte, von den Intendanten und Spartenleitern kultivierte Geschick, neben dem regionalen Publikum auch Musikreisende zu locken und dauerhaft zu interessieren. 

  • Wieder am So 08.10./18:00 – Sa 21.10./19:30 – So 26.11./14:30 – Fr 12.01.2018/19:30

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