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Anna Peshes als Komponist und Sharleen Joynt als Zerbinetta in Heidelberg Foto: Klaus Fröhlich
Anna Peshes als Komponist und Sharleen Joynt als Zerbinetta in Heidelberg Foto: Klaus Fröhlich
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Abgesang einer Epoche: Cornelius Meister verabschiedet sich mit „Ariadne auf Naxos“ aus Heidelberg

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Der Donner aus der Höhe und der prasselnde Regen auf dem provisorischen Dach waren echt. Ansonsten alles Kulisse im Blickfeld der Zuschauer: Eine flache Bühne, hinter einem Gitterzaun in drei Stufen steil ansteigend und sich perspektivisch rasch verjüngend, zeigt den hochherrschaftlichen Park und das Stadtschlösschen des „reichsten Manns von Wien“. Entworfen von Rolf Käselau und ausgeführt von den Werkstätten des Heidelberger Theaters wie für eine Vorstadtbühne in der Zeit kurz vor dem ersten Weltkrieg. Deren Mode und Uniformen zitiert Sabine Bickenstorfer herbei. Rechts und links, auch wie aus Pappe, Proszeniums-Logen, die ins Spiel mit einbezogen werden.

Auftrieb zur großen Feier des namenlosen Mäzens: Ab und zu werden Pappautos in die Szene geschleppt und tun so, als ob sie Gäste ausspucken. Eine Limousine kutschiert Zerbinetta herbei. Sie lässt sich zur Einstimmung auf den heutigen Auftritt erst einmal gründlich von einem Kürassier hin- und hernehmen. Ihre Karosse schaukelt bedenklich und funkelt zu jedem Ziel- oder Höhepunkt mit den Scheinwerfern. Der junge Komponist der „Ariadne“-Tragödie, dem Anna Peshes Stimme und borniert-blasierten „Kunsternst“ verleiht, entdeckt Abgründe. Lorenzo Fioroni ließ der Klamotte ziemlich freien Lauf und schlug – „Deutschland macht mobil“ – mit einer einst aktuellen Zeitung und dem wild um sich schießenden Militär den Bogen zum großen Krieg. Der bereitete jener europäischen Kultur ein Ende, die sich in der von Ariadne repräsentierten Tragödie noch einmal als hoch und hehr zelebrierte. Die glückliche Hand hatten die Schöpfer des Werks durch ihren Zugriff auf Zerbinetta als Protagonistin einer Bühnenpraxis, die sich unentwirrbar mit Lebenskunst verstrickt.

Die zwiespältige Tragikomödie Hugo von Hofmannsthals, die mit vollmundiger Annäherung an die Leiderfahrung der „bedingungslos“ bedingten Liebe und das Unbegreifliche derselben zu einem Abgesang auf ein „Weltbild“ wurde, entstand in relativ kurzer Zeit nach dem Erfolg des „Rosenkavaliers“. Uraufgeführt wurde sie mit der resümierenden Musik von Richard Strauss im Oktober 1912 im Kleinen Haus des Stuttgarter Hoftheaters – und genau in solchen kleineren Häuser ist dieses heiter-turbulente Präludium mit dem angehängten schwerblütigen, schließlich ins Welttheatralische ausgleitenden Einakter auch bestens aufgehoben. Also auch in dem auf baden-württembergisch solide Weise gefestigten Provisorium „Theaterzelt“ in Heidelberg.

Hier verabschiedet sich der junge Generalmusikdirektor Cornelius Meister mit dieser Produktion in Richtung Wien, wo er die Leitung des Radiosinfonieorchesters übernimmt. Aufs Neue riss Meister das Auditorium zu einem Begeisterungssturm hin mit seiner Animation der Kontraste, dem ungehemmten Schwelgen im musikalischen Augenblick samt der Zelebration von Musik als „heiligster Kunst“. Und da es den jungen Meister zweimal gab – einmal auch als Pappkameraden, der sich artig durch Zusammenklappen verbeugen kann –, bekam er inmitten der Komödianten bereits zur Pause Riesenbeifall.

Den quirligen Vorbereitungen für eine Privatopernaufführung im Wiener Magnatenhaushalt folgt die Tragödie der von Theseus verlassenen Frau – der junge Meister öffnet die Schleusen der von Richard Strauss an den Rand des Obszönen getriebenen Musik. Regisseur Fioroni zeigte den Abhub zum Welttheater in einer angeranzten Theatergarderobe, an deren Wand Griechenland-Plakate auf die einsame Insel verweisen. Hier brütet Yannick-Muriel Noah vor sich hin und leidet mit gewaltiger Stimme leidet, superstark in den Höhen. Nicht ganz glaubwürdig in diesem Ambiente erscheint die Selbsttäuschung bezüglich des neuen Glücks, das sich mit dem dunklen Bacchus einstellt. Man nimmt es als Rollenspiel, in dem der Baumstammtenor Ta’u Pupu’a das finale Glück mit einem „jungen Gott“ in die Höhe stemmt.

Das Bemerkenswerteste des Heidelberger Ariadne-Abends ist das große Solo von Sharleen Joynt: das Kesse der Stimmführerin einer ins 20. Jahrhundert transponierten commedia dell’arte eskaliert mit dem Singen von grenzwertigen Erfahrungen der Liebe zur Exaltation, deren Artistik man atemlos lauscht. Hat die Sopranistin Joynt schon zuletzt in Dessau als Despina in „Così fan tutte“ überzeugt – als Zerbinetta entwickelt sie eine Begeisterungsfähigkeit, die die Zuschauer aus dem Häuschen bringt.

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