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Abschied ohne Tränen – vorläufig: Katharina Wagners Bayreuth „Meistersinger“-Inszenierung erneut aufgefrischt

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Katharina Wagners noch unter der Ägide ihres Vaters Wolfgang Wagner entstandene Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ steht den fünften Festspielsommer auf dem Programm und – eine Novität für Bayreuth – vor Beginn der Aufführung wurden am Festspielhügel noch Karten angeboten. Während und nach den ersten beiden Aufzügen war der Gewöhnungsaspekt des Publikums spürbar, und es wurde sogar gelacht. Aber nach dem Verklingen des C-Dur-Schlusses in finsterer Nacht über Bayreuth, mit faschistisch verbrämten, monumentalen Goethe- und Schillerstatuen neben einem dämonisch, nämlich lautlos lachenden Hans Sachs, brach ein Buhsturm los, dem ein extrem kurzer, mühevoll verlängerter Schlussapplaus folgte.

Die politisierende Deutung der Wagner-Urenkelin, mit einem optischen Austausch von Sanges- und Dichtkunst durch bildende Kunst, hat auch über die Jahre wenig uneingeschränkte Zustimmung gefunden. Dabei hat die Regisseurin den Werkstattgedanken ihres Onkels Wieland Wagner und ihres Vaters aufgegriffen, an ihrer Inszenierung weiter gearbeitet und auch in diesem Sommer einige Modifikationen angebracht, die teilweise auch mit der Umbesetzung von Hauptrollen zu tun haben.

Burkhard Fritz als Walther von Stolzing ist ein anderer Typ als sein Vorgänger, dessen abstrahierte Darstellungen haben daher auch eine andere „Handschrift“. Analog der Fertigung eines auf dem Kopf stehenden Nürnberg-Puzzles beim Bewerbungslied im ersten Aufzug, bemalt der neue Stolzing nun Evas Vorderseite als Rücken und ihren Rücken als nackte Vorderansicht. Und die durch sein exzentrisches Klavierspiel aus dem Flügel gerissene Klaviatur legt er sich nicht mehr als Stola, sondern nunmehr als Gürtel um, damit erinnernd an das Märchen vom tapferen Schneiderlein.

Hans Sachs ist vom Kettenraucher nun fast schon zum Nichtraucher geworden, da James Rutherford, im Gegensatz zum Kollegen der Erstbesetzung, persönlich offenbar ein Nichtraucher ist; und so wurde das Bild des ständig rauchenden Existenzialisten deutlich verändert: einmal löscht Eva Sachs’ Feuerzeug aus, bevor er seine Zigarette anzünden kann, das andere Mal steht die brennende Flamme seines Feuerzeugs für jenes Licht, das im Original der Oper von Sachsens Arbeitstisch gezielt auf die Gasse fällt.

Überhaupt wurde die Beziehung des Schreibmaschine schreibenden Nicht-mehr-Schuhmachers-und-nur-noch-Poeten zu Eva intensiviert. Im ersten Bild des dritten Aufzugs übergibt Sachs der ihn besuchenden Eva (wie im Vorjahr mehr dramatisch als lieblich: Michaela Kaune) einen zunächst verpackten Blumenstrauß, aber die Stengel sind bereits verwelkt.

Gesteigerte Bedeutung in dieser Inszenierung hat das Küssen erlangt. Die aus den viel bespielten gelben Reclam-Textbüchern gerissenen Seiten legen sich die Mitglieder der Meistersinger-Zunft als eine paraklerikale Kommunion in den Mund und küssen sich anschließend mit dem als Hygieneschutz zwischengeschobenen Textbuch. Nur Sachs zieht das Textbuch weg, um durch den Versuch, Beckmessers Lippen zu küssen, dessen Ekel auszulösen. Dieses Motiv wird im dritten Aufzug wieder aufgenommen: Sachs küsst die auf seinem Sofa zärtlich liebkoste Eva auf den Mund und ihr Aufschrei „Ha!“ ist hierauf bezogen, nicht auf Stolzings für sie überraschenden Auftritt. Einen zweiten Versuch, Eva zu küssen, unternimmt Sachs nach seiner Frage „drückt er [der Schuh] dich noch?“ und einen dritten bricht er selbst ab, um das traurige Beispiel der Liebe von Tristan und Isolde zu zitieren.

In der in die Sechzigerjahre der letzten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts verlegten Handlung wird nunmehr auch die Sicht auf die Frau zugespitzt. Beim goldgerahmten eines Doppelgruppenfotos der Zukunft (der Protagonisten mit ihren Kindern) trägt Eva nun während des Quintetts eine ihr vom Vater umgehängte Küchenschürze.

Viel Beifall erhält Adrian Eröd, der Wiener Loge, in Katharina Wagners ungewöhnlicher Sicht auf diese Rolle als eines sich vom rückständigen Kritikaster zum progressiven Avantgardisten wandelnden Außenseiters. Nachdem er bei Sachs durchs Fenster eingestiegen ist, dekoriert Beckmesser dessen Bücherregal als Puppe und löst mit der Nachbesserung eines aus roten Socken geformten Penis Lacher im Publikum aus.

Die verstummen jedoch angesichts der angesteckten Phallusse der tanzenden, schwellköpfigen Meister deutscher Geschichte und bei der Verbrennung des avantgardistischen Regieteams, aus dessen Überresten und Nachlass ein goldener Platzhirsch als Gewinnobjekt im Sängerwettkampf gebrannt wird. Nochmals intensiviert wurde Beckmessers Preislied als das Spiel der Erschaffung eines neuen Adams, dem Beckmesser nun gottgleich aus einer Rippe jene Frau herausschneidet, – die er realiter für seine Performance aus dem Festpublikum von der Tribüne holt und entkleidet.

Bei Sachs’ Schlussansprache zieht Beckmesser dem Rivalen eine unsichtbare Maske vom Gesicht. Er ist der eigentliche Enthüller der fatalen Folgen der Rezeptionsgeschichte von Wagners zeitgleich mit seinen „Meistersingern“ verfasster Zweitversion des Pamphlets „Das Judentum in der Musik“.

Der von Eberhard Friedrich einstudierte Chor ist klangvoll präsent, selbst wenn er häufig nur aus dem Off ertönt und fängt bei den Zunftchören einen Schmiss selbst auf. Genuss beim Zuhören verschaffen die rundum überzeugenden stimmlichen Leistungen von Georg Zeppenfeld als einem hinreißend timbrierten, jugendlichen Pogner, wie auch der zu dramatischer Wucht gereifte Norbert Ernst als David. Köstlich als Zerrbild eines penetranten Vereinsmeiers der Kothner von Markus Eiche.

James Rutherford als Sachs ist souverän und beherrscht seine Partie bestens, bleibt aber als Persönlichkeit ebenso blass, wie Burkhard Fritz, der die Partie des Walter von Stolzing heldisch angeht, aber kaum über Nuancen und über zu wenig Durchschlagskraft verfügt.

Für die an diesem Premierenabend besonders häufigen Divergenzen zwischen Bühne und Graben trafen Dirigent Sebastian Weigle beim Applaus auch Buhrufe, massiver dann die für die inszenierende Festspielleiterin. Insgesamt ein Abschied ohne Tränen, aber falls Bayreuth – analog zu den Salzburger Festspielen beim Mozart-Jahr – im Wagner-Jahr 2013 alle 13 musikdramatischen Werke Wagners zur Aufführung bringen will, so werden die Festspiele auf eine Wiederaufnahme dieser Produktion nicht verzichten können.

Weitere Aufführungen: 30. Juli, 6., 12. 18., 24. August 2011

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