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Grafik: Studiobühne Bayreuth
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Allerlei Halbes: Uraufführung der Semi-Oper „Wilhelmine“ in Bayreuth

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Bayreuth begeht derzeit ein Doppeljubiläum, zur Hälfte den 300. Geburtstag und zur anderen Hälfte den 250. Todestag von Wilhelmine, der Tochter des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., die dieser fränkischen Stadt durch ihre Schloss- und Theaterbauten aus der Bedeutungslosigkeit erhob. Auch Richard Wagner wurde bekanntlich von Bayreuth nur angelockt, da er von der besonderen Bühnentiefe des Markgräflichen Opernhauses gelesen hatte.

Dieses Opernhaus darf aus konservatorischen Gründen grundsätzlich nur wenige Tage pro Jahr bespielt werden, und dann sind die Aufführungen zumeist rasch ausverkauft, wie auch jetzt die sechs Vorstellungen der Uraufführung einer Semi-Oper über Wilhelmines Leben, deren eine Hälfte von Hans-Martin Gräbner, die andere von Uwe Hoppe stammt. Künstlerisches Vorbild war vermutlich „Fairy Queen“, die vor elf Jahren, zum 250. Jubiläum dieses Opernhauses, vom selben Ensemble mit großem Erfolg realisiert wurde, denn auch in Henry Purcells Opus mischen sich Schauspiel- und Opernszenen eines gemischten Ensembles.

Die „Studiobühne Bayreuth“ ist eine 1980 gegründete, sehr engagierte Laienformation mit Sprungbrettfunktion, zu der auch manche inzwischen als Profis tätige Darsteller gastweise zurückkehren, so dass man in Bayreuth – etwas hochtrabend – stolz ist auf ein „semiprofessionelles, eigenes Theater“. Dieser Stolz schlägt sich nieder im opulent vierfarbigen, vom Oberbürgermeister eingeleiteten Programmheft, in der ortsgetreuen Dekoration (Daniel Reim) und in üppigen Rokoko-Kostümen (Heike Baetz).
Hans Martin Gräbner, ein in Bayreuth lebender Komponist, Pianist und Dirigent, leitet die Aufführung vom Cembalo aus, und Uwe Hoppe, ein für seine Wagner-Paraphrasen und Parodien bekannter Braunschweiger Autor, hat sein Opus auch selbst inszeniert.

Gräbner und Hoppe sind auch das Autorenteam eines Richard Wagner-Musicals für ein in Bayreuth geplantes Musicaltheater. Und an erfolgreiche Wiener Musicals, á la „Elisabeth“ oder „Mozart“, erinnert auch der dramatische Aufbau von „Wilhelmine – Liebe ist nur Phantasie“: ein zweiteiliger Bilderreigen um die unter dem gewalttätigen Vater leidende Prinzessin Wilhelmine und ihren geliebten, vom Vater geknüppelten, homosexuellen Bruder Friedrich; der flieht in die Kriegsführung, Wilhelmine in die Kunst. Als Gattin des Bayreuther Markgrafen erträumt sie sich, teilweise an der Seite des Philosophen Voltaire, einen Musenstaat. Die Bayreuther Eremitage, das Opernhaus und das Neue Schloss, sowie das Naturtheater Sanspareil sind lebendige Stätten eines menschlich vorwiegend trostlosen Daseins, das einzig in der Umsetzung künstlerischer Ideen Erfüllung findet.

Das Orchester „Les solistes sans pareils“, mit Flöte, Oboe, Fagott, Trompete, solistischen Streichern, sowie Cembalo, nimmt namentlich Bezug auf Ort und Zeit; es „unvergleichlich“ zu nennen, wäre jedoch arg hochtrabend; an Intonationsproblemen überboten wird es allerdings vom 19-köpfigen „Zamirchor“ (Einstudierung: Barbara Baier), der auch den Vergleich zur hebräisch namensgebenden Nachtigall scheuen sollte, denn dieser Chorklang ist wenig natürlich und sehr viel mehr semi- als professionell, auch wenn sich das Programmheft auf Gastspiele in Israel und New York (in Planung) beruft.

Gräbners geschickt historisierende Partitur meidet jegliches Zitat, selbst da, wo es nahe liegen würde, – etwa wenn der junge Fritz sein Flötenkonzert darbietet. Nur selten spannt der Komponist den Bogen sehr vorsichtig bis ins frühe 20. Jahrhundert, etwa bei den Gewalttätigkeiten des Königs, dem Köpfen von Fritzens Intimfreund Katte und dem Brand des Alten Schlosses, – oder in der (allerdings auch schon bei Monteverdi anzutreffenden) Tendenz, Gesangsnummern abrupt zu beenden.

Die als potenzielles Ohrwurm-Stück wiederholt dargebotene Arie des Katte (Stefanie Golisch, mit tragendem Mezzosopran, lässt Reminiszenzen sogar aus dem Auditorium ertönen) bietet sich jedoch weniger an als andere Melodieeinfälle Gräbners. Der angesichts der Formmischungen nahe liegende Weg, die Schauspielszenen melodramatisch durch historisierende Musik zu begleiten, die sich dann für die Affekte der Opernszenen zu einer heutigen Musiksprache weitet, wurde nicht beschritten, obgleich er für die Laiendarsteller sicherlich hilfreich gewesen wäre.

Der inszenierende Autor verdoppelt und verdreifacht Figuren, – so etwa Wilhelmine als sterbende Markgräfin, die ihr Leben Revue passieren lässt (Amateurin: Johanna Rönsch), als tänzerisch anmutige Prinzessin von Preußen (Schauspielerin: Kristine Walther) und als ambivalente Opernfigur (dramatischer Sopran). Ein anderer Regisseur hätte wohl kräftig zum Rotstift gegriffen, denn in dem grundsätzlich klug gebauten dramatischen Reigen wird Vieles drei- und viermal gesagt, so dass der erste Teil des Abends bereits auf zwei Stunden ausgedehnt wird.

Auch dramaturgisch bleibt Manches auf der Strecke. Die identischen Kostüme für den Berliner Hof und das einfache Volk in Bayreuth könnten möglicherweise den finanziellen Grenzen dieser üppigen Produktion geschuldet sein, die Verkörperung von Wilhelmines verhasstem, engstirnigen Schwiegervater zu einer mundartlichen Bayreuther Identifikationsfigur zeigt jedoch die zwangsläufige Diskrepanz dieser Semioper über und für Bayreuth, zur Hälfte historisch kritisch, zur Hälfte als ein Jubelgesang.

Doch wie erwünscht, frönte das Premierenpublikum aus Nah und Fern solchem Jubel, trotz lauten Stöhnens über die Dauer, durchaus emphatisch. Den meisten Zuspruch erntete die dramatische Sopranistin Rebecca Broberg, spielfreudig und textverständlich wie in ihren Wagner-Partien, aber mit der hier gebotenen Rücknahme ihres stimmlichen Volumens für das von Gräbner alludierte Barock- und Rokokofach.

Die nächsten Aufführungen: 29. und 30. April, 01., 02. und 03. Mai
 

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