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Foto: © Bayreuther Festpiele / Jörg Schulze
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Alles anders – Neuinszenierung „Der fliegende Holländer – für Kinder“ bei den Bayreuther Festspielen

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Die jüngste Produktion der Reihe „Richard Wagner für Kinder“ im Rahmen der Bayreuther Festspiele kann in ihrem achten Jahr auf Kontinuität, Diskontinuität und auf bewusste Reibungen zu szenischen Ergebnissen der jüngeren Bayreuther Inszenierungsgeschichte setzen. Im Sommer 2009 hatte Dirigent Ulrich Meier die Originalpartitur auf einen 19-köpfigen Klangkörper mit solistischen Streichern reduziert und ein auf dreizehn Köpfe reduzierter Chor hatte in einer Textfassung von Alexander Busche die in musikalische Häppchen aufgelöste Geschichte als Rückblick des alten Steuermanns erzählt. In der Neufassung von Katharina Wagner und Dorothea Becker ist alles anders.

War der Klangkörper damals kaum sichtbar, so nimmt nun das rechte Drittel des Bühnenraums das 30-köpfige Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) ein, mit vier ersten Violinen, doppeltem Holz, zweifachem Blech, Pauke und Harfe. Der „Wagner für Kinder“-erfahrene Dirigent Boris Schäfer setzt in der musikalischen Bearbeitung von Marko Zdralek Wagners frühe Partitur in ihrer Fassung letzter Hand domestiziert, aber großenteils wirkungsvoll um.

Die linken zwei Drittel der Bühne an der Längsseite der Probebühne IV gehören der Bucht Sandwike und der zentralen Stube. Bühnenbildnerin Esther Dandani signalisiert die Bucht mit einem Steg für Daland und seinen Steuermann und einem kleinen Kahn für den Holländer. Dalands weißes Heim verschließen drei Jalousievorhänge; Senta liegt vor einem Fernsehapparat, auf dem ihre Lieblingsgeschichte vom fliegenden Holländer (bekanntlich auch paraphrasiert im Film „Der Fluch der Karibik“) wieder und wieder läuft. Aber auch in einem Bilderbuch liest die Seemannstochter (Christiane Kohl mit jugendlich-dramatischer Verve) und später der Holländer selbst nach, wie die Geschichte weiter- und ausgehen soll. Den Holländer hat sich Senta als fotorealistische Pappfigur mit leichtenden Flügeln aufgestellt – quasi eine Konkretisierung jener Plastik, die sich Senta in Philipp Glogers aktueller Inszenierung dieser Oper im Festspielhaus erschafft. Bereits während der Ouvertüre naht Mary (Eva Maria Summerer) mit einem platten Reifen an ihrem Fahrrad, den sie später reparieren und anstelle des nicht vorhandenen Chors der Mädchen als „gutes Rädchen“ besingen wird.

Die Ouvertüre reißt ab, als Daland (der gleichermaßen auf der Festspielbühne, wie bei den Versionen für Kinder bewährte Jukka Rasilainen) eine Flaschenpost findet, die nicht etwa, wie man glauben könnte, die Nachricht lange verstorbener Seeleute enthält, sondern ein Gedicht Goethes, das verändert rezitiert wird. Immer wieder verkürzen Dialoge die Handlungsdauer – und verwandeln die Nummernoper in die frühe Form einer Spieloper. Einer der gesprochenen Dialoge zwischen Senta und dem Holländer. erfolgt über einem Paukenwirbel.

Als Schätze führt der Holländer in seinem Kahn Goldbarren und ein vergoldetes Ausgussrohr (!) mit sich. Mit hell baritonalem Timbre gestaltet Kay Stiefermann den verkürzten Holländer-Monolog. Die chorische Wiederholung seiner Bitte um „ew’ge Vernichtung“ intoniert stellvertretend der Steuermann (David Amelin) im Schlaf.

Charles Kim singt seine Traum-Erzählung und später die Kavatine als einzige Ausschnitte der Partie des Erik, mit natürlich gewachsenem Tenor und mit wunderbarer Stimmgebung.

Zu den beliebigen Aktionen der Inszenierung von Julia Huebner gehört, dass Mary eine schlecht schmeckende Suppe, welche sie Senta einschenkt, selbst ausspuckt, während Senta sie mit Todesverachtung austrinkt. Voreilig lässt Daland eine Girlande „Herzlichen Glückwunsch“ aufhängen und fordert die Instrumentalisten mit dem Satz, „Na, Orchester, Partymusik!“ zum Intonieren des Terzetts auf, welches in – im Gegensatz zur Praxis an den meisten Bühnen – hier ungekürzt erklingt; danach ertönt aus Wagners später Bearbeitung der Abschluss des zweiten Aktes.

Mangels eines Chores singt Daland solistisch das „Steuermann lass die Wacht“, danach erfolgen mehrere Brüche: als Einspielung ist der Chor der Holländermannschaft, inklusive Orchesterbegleitung, zu hören, Erik spricht koreanisch und ebenfalls vorproduziert hört der Besucher den textlich gegenüber dem originalen Gesang leicht verändert ausgesprochenen Gedanken der Senta, „Ich kannte ihn, als ich zuerst ihn sah“. Während der Holländer sich nach seinem Abgang flach in den Kahn legt, springt Senta beherzt von der Stube einen Meter tief an den Strand um dem Holländer nachzulaufen. Erik und Mary naschen von der Hochzeitstorte, und Senta reicht dem Holländer – zu Wagners nachkomponiertem Erlösungsschluss – die Hand. Noch bevor sich beider Fingerspitzen berühren, beendet nach exakt 60 Minuten ein Black-out diese Kurzfassung.

Auch in diesem Jahr war der durch Sponsoring frei finanzierten Wagner-Zusatzproduktion bei den Bayreuther Festspielen ein Kostümwettbewerb an Münchner Schulen vorausgegangen. Realisiert wurden schließlich Kostüme der sechsten Klassen des Pestalozzi-Gymnasiums München und des Gymnasiums Fürstenried.

Das diesmal wieder eingesetzte Mittel der Interaktion mit den Besuchen im Kindesalter funktionierte in der Premiere unterschiedlich gut: auf Dalands Frage, „Meint er es ernst?“, antwortete noch ein zaghaftes „Ja“ der Kinder; aber auf die Frage, ob der Holländer wirklich als Fremder anzusehen sei und ob Holland noch zu Europa gehöre, erfolgte keinerlei Antwort.

Gleichwohl scheint jene den Kindern verständliche Adaption von Wagners erstem, selbst für Bayreuth-tauglich erachteten Bühnenwerk anzukommen: Das gemischt junge Publikum, darunter der komplette Windsbacher Knabenchor, applaudierte beherzt und trampelte begeistert für seine Stars.

  • Weitere Aufführungen: 28. , 29. ,30. Juli, 1. , 2., 4. und 5. August 2016.

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