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Probe der Ensembles. Screenshot aus dem YouTube-Video.
Amacord und Calmus in einem YouTube-Video. Screenshot
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Amarcord und Calmus: Luxus-Konzerte in Leipzig und in Oberbayern

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Außerhalb dieses Luther- und Reformationsjahr müsste man dahinter eine fulminante PR-Attacke vermuten. Aber in der Veranstaltungsdichte mit Bachfest, „Unerhörtes Mitteldeutschland“ und „Straße der Musik“ scheint so gut wie nichts unmöglich.

Möglich und berückend, ja fast außerirdisch schön war nicht nur das Konzert „Disputation – Et ecce terrae motus!“ in der Thomaskirche, der erste Gemeinschaftsauftritt der Leipziger Vokalensembles Amarcord (25 Jahre jung) und Calmus (18 Jahre jung), dazu zwei ebenbürtige Gastsängerinnen. Noch bis zum 28. Januar 2018 ist im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig die Ausstellung „Luther im Disput. Leipzig und die Folgen“ zu sehen, in der genau jenes Ereignis gewürdigt und reflektiert wird, dessen damalige musikalische Umrahmung Anno 1519 in diesem Konzert erklingt - für zwölf Stimmen und damit in der allerhöchsten Kunstform des musikalischen Satzes.

Der dritte Coup: Präsentiert wird diese „Disputation“ am 7. Juli auch in der Stadtpfarrkirche St. Nikolaus im oberbayerischen Eggenfelden als Benefizkonzert der Reihe „Grundton D 2017“ des Deutschlandfunks und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Das ist schon so etwas wie eine außerterrestrische, friedensreiche Okkupation: Die beiden Vorzeigeensembles bürgerlicher Leipziger Sangeskultur für sakrale und weltliche Musik gastieren in der Region des katholischen Gnadenbild-Wallfahrtsortes Altötting: Mit Werken, die des Reformators Martin Luthers definitive Trennung vom Heiligen Stuhl markieren. Die durch Universität und Handel geförderte Kultur der Messestadt dringt vor in den ländlich geprägten Kulturraum der Andachtsjodler, der Maiandachten und einer trotz „Laptop und Lederhose“ bis heute mit viel Leidenschaft ausgestellten Volksfrömmigkeit.

Das wird dort ein Kampf nur auf Flügeln des Gesanges und strahlenden, aber allseits korrekten, pazifistischen, stumpfen Waffen der Musik. Und mit einer liturgischen Dramaturgie, von der die lutherische Bewegung bei der katholischen Glorifizierung weltlicher und kirchlicher Fürsten gelernt hat. Weitaus mehr, als man bei der Spaltung der Konfessionen denkt. In der Thomaskirche, der musikalischen Heimatstätte der Ensembles Amarcord und Calmus mit den beiden Sopranen Anna Kellnhofer und Isabel Jantschek, merkt man davon nur wenig. Das hat die luxuriöse Gewohnheit eines bewährten Heimspiels. Doch schon hier hört man warum: Calmus und Amarcord sind für diese Botschaftsaufgabe schlichtweg ideal. Sie stacheln und vereinigen sich intensiv und beglückend. Davon profitieren vor allem die Tenorstimmen von Wolfram Lattke mit Robert Pohlers (Amarcord), die mit dem Altus Sebastian Krauses (Calmus) irisierend verschmelzen. Die Ensembles für sich kennt man als gleichrangig leuchtende Smaragde. Zusammen sind sie wie gefasste Granatsteine mit opalisierenden Reflexen. Das passt wiederum sehr gut und genau zum Destinationsort an der Rott und Brokatornat der Madonnen im katholischen Voralpenland.

Nach Genehmigung durch Georg den Bärtigen, Herzog im albertinischen Sachsen, tagt vom 27. Juni bis zum 4. Juli 1519 die Disputation zwischen Katholiken und dem erstarkenden Wittenberger Kreis in Leipzig. Deren folgenreicher Höhepunkt ist die berühmte Auseinandersetzung zwischen Johannes Eck, dem katholischen Rektor der Universität Ingolstadt, und Martin Luther. Er markiert den unwiderruflichen Bruch des Reformators und des Papsttums.

Bisher nahm man an, dass die Festmesse zur Eröffnung der Disputation von Thomaskantor Georg Rhau komponiert wurde. Bacharchiv-Dramaturg Michael Maul, der schon mit der Entdeckung einer der ersten deutschen Opern „Il pastorello“ zum Bachfest 2017 archäologischen Scharfsinn bewies, brachte Amarcord und Calmus auf die richtige Spur: Georg Rhau musste nicht zwingend der Komponist dieses erklungenen Meisterwerks sein, in dem Franzosen Antoine Brumel entdeckte man den Schöpfer der Disputationsmesse. „Et ecce terrae motus (Und sie bewegt sich doch!)“, eine gregorianische Antiphon, schien dafür der einzig richtige Prolog.

Zwischen die Sätze stellen Amarcord und Calmus andere Renaissance-Juwelen. Das Gefälle zwischen den Gesängen wird überdeutlich. Nicht nur in den Verschlingungen der Stimmen bei Antoine Brumel, sondern auch dessen Vermögen zu musikalischen Sätzen, in denen sich die Stimmen harmonisch und sogar spektral zur höheren Einheit fügen: „Soli Deo gloria“? An diesem Topos darf man hier dezent zweifeln. Zum einen werden im „Canon“ von Johann Walter, einer der Einlagen, Luther selbst und sein humanistischer Mitstreiter Philipp Melanchthon gepriesen wie Sankt Peter und Paul kurz nach der Mittsommerwende in den alten Litaneien zum Festtag (den man in Eggenfelden bis heute am 29. Juni feiert). Peter Wollny signalisiert im Programmheft, dass man in Leipzig mit Brumels Messe „die Legitimation und Überlegenheit der Wittenberger Theologen mittels prachtvoller Klänge zu untermauern suchte.“ Das zielt auf eine Verherrlichung der neuen Lehre mit allem Glanz katholischer Überwältigungsstrategie. In der Thomaskirche ist ein derartiger Gestus aufgrund der Leipziger Prägung durch Bach, Telemann und Mendelssohn eher selten, aber in der Eggenfeldener Kirche St. Nikolaus und beim Altöttinger Gnadenbild kennt man diesen jubelnden Glanz der „Ecclesia triumphans (triumphierenden Kirche)“ von Haydn oder vom Müllner Peter aus Sachrang. Deshalb ist diese programmatische Konzertverdoppelung an zwei exemplarischen Orten ein gar trefflicher Spiegel früherer Verwerfungen und ökumenischer Entsprechungen.

  • Wieder am 7. Juli, 19.30 Uhr:  Stadtpfarrkirche St. Nikolaus, Eggenfelden (Oberbayern): Deutschlandfunk / Konzertreihe "Grundton D", Konzert und Denkmalschutz: Benefizkonzert zu Gunsten Sanierungsarbeiten in der Pfarrei. Calmus & Amarcord: „Disputation – Et ecce terrae motus“

 

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