Hauptbild
Richard Wagner. Zeichnung von Ernst Benedikt Kietz ca. 1840
Richard Wagner. Zeichnung von Ernst Benedikt Kietz ca. 1840
Hauptrubrik
Banner Full-Size

An der Uraufführungsstätte: Wagners „Liebesmahl der Apostel“ bei den Dresdner Musikfestspielen

Publikationsdatum
Body

Der Name des Dirigenten prangt auf dem Umschlag des Konzertprogramms größer als der des Komponisten Richard Wagner, zu dessen 200. Geburtstag einige seiner in Dresden komponierten Werke, insbesondere für Männerchor, zur Wiederaufführung kamen. Christian Thielemann, der neue Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, leitete bei den Dresdner Musikfestspielen als Hauptwerk die im Jahre 1843 für das Allgemeine Männergesangfest entstandene biblische Szene für Männerstimmen und großes Orchester, „Das Liebesmahl der Apostel“.

In sehr viel schwächerer Besetzung als am 7. Juni 1843 im Dresdner Zwinger unter Wagners Leitung, von 40 Herren des Staatsopernchores ausgeführt, erklang zur Eröffnung unter der Stabführung von Christian Thielemann der Festgesang „Der Tag erscheint“. Die zur Denkmals-Enthüllung der Bronzestatue von König Friedrich August I. entstandene Komposition auf eine Dichtung von Christoph Christian Hohlfeld, stützt den Männergesang durch eine Blechbläserbegleitung. In dieser Version (WWV 68) gelangte die Komposition erst postum, 1911, zur Uraufführung. Das vorherrschende Blech deckte in der Akustik der Frauenkirche den Chor bisweilen zu und verhinderte die Textverständlichkeit der Herren des Staatsopernchores. Möglicherweise erklärt dies im Nachhinein, warum Wagner die dem ehernen Standbild entsprechende Bläserbegleitung bei der Uraufführung weggelassen und seinen Chor a cappella zur Aufführung gebracht hat.

Im Original mit doppelt so viel Bläsern erklang am 14. Dezember 1844, bei der Überführung der Gebeine Carl Maria von Webers zum Dresdener katholischen Friedhof Wagners Trauersinfonie WWV 73. Das aus einem Abschnitt der „Euryanthe“-Ouvertüre und aus der Kavatine der Titelfigur im dritten Akt arrangierte kurze Trauermusikstück war bei der Uraufführung offenbar mehrmals hintereinander gespielt worden und hatte sich auf diese Weise nachhaltig eingeprägt. Beides war bei der Wiederaufführung nicht der Fall. Den Anlass, die Überführung Webers vom „fernen Albion“, umriss dann Wagners auch selbst getexteter Chor „An Webers Grabe“, WWV 72. Das Des-Dur dieser Komposition wird im Programmheft als „Trauertonart“ gedeutet, was für die Barockmusik zutreffend ist, aber angesichts des Einzugs der Götter in Walhall, im „Rheingold“, fraglich erscheint. Zur originalen A-cappella-Fassung ergänzte Thielemann jedoch eine Bratsche; ob der Staatsopernchor einer derartigen Intonationssicherung bedarf?

Dass in der Mitte der Konzertabfolge des Geburtstagskonzerts für Richard Wagner die Reformationssymphonie in d-Moll, op. 107, des von Wagner mehr geschmähten denn geschätzten Felix Mendelssohn-Bartholdy stand, war nicht als Wiedergutmachung für Wagners Ausfälle in seiner Schrift „Das Judentum in der Musik“ gemeint, sondern wurde begründet mit dem im ersten Satz ausgeführten „Dresdner Amen“. Dieses verwendet  Wagner bereits in „Das Liebesverbot“ und „Tannhäuser“, aber erst in „Parsifal“ erklingt es so, wie Mendelssohn es vor dem Allegro-Teil und in der Reprise des Eröffnungssatzes seiner 1832 abgeschlossenen fünften Symphonie verwendet. Die Initiatoren des Konzertes hätten ihre Wahl für diese Komposition auch mit dem im Schlusssatz variierten Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ begründen können, zumal Wagner diesen auch in seinem „Kaisermarsch“ zitiert. Der Bogenschlag zu Wagners Begrüßung der Reformation, dem „Wach auf“-Chor der „Meistersinger von Nürnberg“, die Vertonung von Hans Sachs’ Gedicht der Wittenbergisch Nachtigal, unterblieb jedoch. Im Gegensatz zum nachfolgenden Hauptwerk des Konzertes, dirigierte Thielemann die Fünfte auswendig, ließ die Sächsische Staatskapelle Mendelssohns Fugati gleich einer Übung, schwerelos, geradezu heiter exerzieren.

Zum Abschluss war dann jene Komposition räumlich zu erleben, deren an Andrea Gabrieli orientierter Raumklang eigens für diesen Kirchenraum erschaffen wurde. Gleichwohl erklang die biblische Szene für Männerstimmen und großes Orchester, WWV  69, wohl erst zum zweiten Mal in der Frauenkirche.

In der Mitte positioniert blieb die für rund zwanzig Minuten stumme Sächsische Staatskapelle. Dahinter standen die zwölf Apostel, und die drei Chöre der Jünger auf einer Tribüne, sowie auf Emporen rechts und links und in der mittleren Höhe.
Wagners selbst gedichtete biblische Szene ist ein Pfingststück: Die versammelten, verängstigten Jünger werden von den Aposteln ermutigt; als „Stimmen aus der Höhe“ verkündet eine chorische Verheißung das Wort des Herrn. „Ein Brausen erfüllt die Luft“, ein „Tönen“, wenn schließlich der Heilige Geist ausgeschüttet wird: das zuvor stumme Orchester setzt ein und führt die Komposition mit den vereinigten Chören zu einem wirkungsvollen, triumphalen Abschluss, „von Ewigkeit zu Ewigkeit“.

Zuvor sind Hinweise auf Wagners schon hier anzutreffende revolutionäre Bestrebungen zu vernehmen: Unisonso lässt der Bakunin-Freund Wagner die Apostel den Appell „Gemeinsam sei euch Hab’ und Gut!“ anstimmen. Wagners sprachliche Eigenart, Missetaten mit „züchtigen“ in Bezug zu setzen, wurde jedoch in der Wiederaufführung nivelliert, das „bezüchtigten“ zu „bezichtigten“ retuschiert.

Auch für „Das Liebesmahl der Apostel“ setzte der Dirigent drei Bratschen ein, die – bis zum Einsatz des vollen Orchesters – hinter der Tribüne und auf den beiden seitlichen Emporen zur Intonationssicherung mitspielten. Daneben meint der Autor auch einige leise Orgeltöne vernommen zu haben. Ansonsten enthielt sich der Wagner-Dirigent diesmal interpretatorisch fragwürdiger Eigentümlichkeiten. Lange ließ er das Wort „Geist“ ver- und nachklingen und wählte für den Schluss ein zupackendes Stretta-Tempo, das zweifellos von Wagner intendiert ist, auch wenn es in Aufführungen des „Liebesmahls“, und selbst auf Einspielungen, in den vergangenen dreißig Jahren nur höchst selten zu hören war.

Im Gegensatz zur Uraufführung, kamen die seitlich positionierten Chöre – dank großer Flachbildmonitore – ohne zusätzliche Dirigenten aus. Großartige Einzelleistungen, wie im Zusammenklang, brachten die Herren des Tschechischen Philharmonischen Chores Brünn (einstudiert von Petr Fiala) als Erster Chor der Jünger, die Herren des Sächsischen Staatsopernchores und des Sinfoniechores Dresden (Chordirektor: Pablo Assante), gemeinsam mit den Herren des Tschechischen Nationalchores Prag (einstudiert von Miriam Nemcova) als zweiter Chor der Jünger, die Herren des MDR Rundfunkchors (Chordirektor: Howard Arman) und des Philharmonischen Chores Dresden (einstudiert von Gunter Berger)
als dritter Chor der Jünger, der Dresdener Kammerchor (einstudiert von Olaf Katzer) als Stimmen aus der Höhe. Die zwölf Bässe als Apostel waren ebenfalls einstudiert vom Chordirektor der Staatsoper, Pablo Assante, der sich am Ende als einziger Chorleiter verneigte.

Zu den Besonderheiten dieser Komposition zählt der Einsatz der „Stimmen aus der Höhe“, als eine deutliche Vorwegnahme des Bühnenweihfestspiels „Parsifal“, im Kirchenraum aber deutlicher auszumachen als im Theater. Dieser Klang war, zumindest vom Sitzplatz auf der ersten Empore der Frauenkirche aus, allerdings nicht deutlich zu lokalisieren. Seltsam auch, dass sich die Ausführenden, der Dresdener Kammerchor, beim Applaus nicht zeigten. Hätten die Mitglieder dieser Chorgemeinschaft nicht wenigstens an die Rotunde der Kuppel treten können?

Noch vor dem Verklingen der Komposition brandete begeisterter Applaus auf. Die Emphase des Publikums führte allerdings nicht – wie etwa bei einer Aufführung von Wagners biblischer Szene in Bayreuth – dazu, dass der Schlussteil der Komposition, ab dem Einsetzen des Orchesters, wiederholt wurde. Obgleich das pausenlose Konzert nicht einmal anderthalb Stunden gedauert hatte, verließen die Orchestermusiker noch beim Applaus ihre Plätze.

Für das seit langem ausverkaufte „Wagner-Geburtstagskonzert I“ gab es auch am Abend keine Restkarten, aber beim Rundblick von der ersten Empore waren doch mehrere frei gebliebene Plätze auzumachen. Handelte es sich dabei um Konzert-Abonnenten, die grundsätzlich nicht in die Kirche gehen? Diese haben am Vorabend des Pfingstfestes mit Sicherheit eine seltene Gelegenheit verpasst – auch wenn das Konzert in mehreren Rundfunkübertragungen nachzuhören sein wird.

Rundfunkausstrahlungen: 19. Mai 2013, 19.30 Uhr MDR Figaro und MDR Klassik; 24. Mai 2013, 20.03 Uhr Deutschlandradio Kultur, 20. August 2013, 20.05 Uhr.

Die Dresdner Musikfestspiele laufen noch bis 3. Juni.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!