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Daniel Henriks (Stephan), Adelheid Fink (Regina), Tabea Floch (Ein Kind). Foto: Hans-Jürgen Brehm-Seufert
Daniel Henriks (Stephan), Adelheid Fink (Regina), Tabea Floch (Ein Kind). Foto: Hans-Jürgen Brehm-Seufert
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Authentisches Zeitdokument aus der 1848er-Revolution – Albert Lortzings „Regina“ am Pfalztheater in Kaiserslautern

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Es ist schon erstaunlich, passt aber ins Bild einer Musiktheaterlandschaft, die sich mit dem selbstgefälligen Wiederkäuen oder Zerfleddern des Bekannten leichter tut als mit der unbequemen Erschließung des Unbekannten und Interessanten. Nachdem die Originalfassung von Albert Lortzings während der1848erRevolution entstandener Oper „Regina“ 150 Jahre bis zur Uraufführung 1998 in Gelsenkirchen brauchte, hat es jetzt noch einmal 15 Jahre gedauert, bis wieder ein Theater das Stück auf die Bühne brachte: Das Pfalztheater in Kaiserslautern in Kooperation mit dem Ludwigshafener Theaterim Pfalzbau.

„Regina“ ist eine Revolutionsoper – aber nicht im kämpferischen Sinne, sondern als authentisches Zeitdokument der 1848er Revolution. Lortzing arbeitete von Mai bis Oktober 1848 in Wien daran – inmitten einer unruhigen Entwicklung, und ohne zu wissen, wie sie ausgehen würde. Der Betrachter sieht keine klaren Fronten, wie sie im Nachhinein das historische Gedächtnis überliefert, keine Heroen, sondern Menschen, deren Leben – wie das vieler Zeitgenossen damals – durch die Ereignisse durcheinander gerät. Als dann am 9. November 1848 kaiserliche Truppen den Paulskirchen-Abgeordneten Robert Blum trotz seiner Immunität standrechtlich erschossen, zeichnete sich der Sieg der Reaktion ab. Hoffnungen auf eine Aufführung zerschlugen sich, wie Lortzing sicher zu Recht mutmaßte, „der liberalen Tendenz wegen“. Und so blieb das letzte Stück Arbeit, die Ouvertüre, unvollendet liegen.

In Kaiserslautern hört man schon bei den ersten Tönen aus dem Orchestergraben, dass Lortzings Musik zu „Regina“ von leidenschaftlicher Unruhe geprägt ist. Am Pult steht Kapellmeister Rodrigo Tomillo, der die Aufführung von GMD Uwe Sander übernommen hat. Mit dem Orchester des Pfalztheaters zeigt er im weiteren Verlauf ein gutes Gespür für die Kontraste, die das Stück prägen – zwischen Biedermeier und Revolte, zwischen Spieloper und Grand Opéra, zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Manchmal sind die angeschlagenen Tempi etwas zu schnell für die Sänger, manch eine Spannungspause kommt etwas zu kurz, aber das ändert nichts am starken Gesamteindruck der Aufführung.

Die Ouvertüre bricht im Pfalztheater dort ab, wo Lortzing den Stift niedergelegt hat. Sofort tritt der Männerchor hervor. Die Arbeiter des Fabrikanten Simon (Christoph Stegemann) streiken – der erste Streik auf der Opernbühne überhaupt! Sie fordern höheren Lohn und überhaupt ein Ende von Knechtschaft und Tyrannei. Der Arbeitgeber ist auf Geschäftsreise. An seiner Stelle tritt der Geschäftsführer Richard (Daniel Ohlmann) den Streikenden entgegen. Er konzediert „Frei geboren sind wir alle!“, mahnt zu ruhiger Überlegung, erinnert an die immer wieder hilfreiche Hand des sozial denkenden Patriarchen Simon und verweist auf den Verhandlungsweg. Die Arbeiter räumen ein, sie seien von der allgemeinen Stimmung im Lande mitgerissen worden, und stimmen friedlich mit ein in Richards Parole: „Freiheit ohne Einigkeit gewährt kein Glück auf Erden.“

Richard hofft auch auf privates Glück. Wegen seiner Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen rechnet er sich wenig Chancen aus auf die Hand von Simons Tochter Regina (Adelheid Fink). Simon stimmt aber nach seiner Rückkehr einer Verbindung der beiden Liebenden nicht nur zu, sondern schlägt sie zu beider Freude sogar selbst vor. Als der verdiente Werkmeister Stephan (sehr authentisch: Daniel Henriks), der in Regina unglücklich verliebt ist, wenig später seinerseits um Reginas Hand anhält, lehnt Simon natürlich ab. Wütend und verzweifelt schließt sich Stephan einer Gruppe von Freischärlern an, die von seinem alten Freund Wolfgang (Daniel Böhm) angeführt werden. Der hatte seine Widersetzlichkeit gegenüber einem adeligen Herrn mit jahrelanger Haft bezahlen müssen und sinnt nun auf Rache gegen alles, was Rang und Namen hat. Die Freischärler stürmen die Verlobungsfeier von Richard und Regina, entführen die Fabrikantentochter und brennen das Gebäude nieder. Richard wird im Kampf niedergeschlagen.

Wenn später Stephan Regina erzählt, er stamme aus gutem Hause und sei das Opfer familiärer Intrigen geworden, wird deutlich, welcher literarischen Tradition Stephans Wendung zu den Freischärler entstammt: Nach Aufhebung der Zensur konnte das Kärtnertortheater, wo Lortzing als Kapellmeister amtierte, Ende März 1848 Schillers Drama Die Räuber auf den Spielplan setzen. Inzwischen war es in Wien zu Unruhen gekommen. Das von Andreas Bronkalla zusammengestellte Programmheft zitiert einen Brief Lortzings, der von Patrouillen Mitte März berichtet; „denn der Pöbel plünderte in den Vorstädten.“

Das Schillersche Modell spielt für den Fortgang der Handlung keine Rolle mehr: Simons Diener Kilian (Daniel Kim) und seine Freundin Beate (Ludovica Bello) fliehen aufs Land zu Kilians Mutter Barbara (Geertje Nissen). Eben dort machen aber auch die Freischärler mit der verschleppten Regina Station. Kilian gelingt es zwar, Regina eine Nachricht von Richard zu übermitteln, die wilde Schar betrunken zu machen und mit der Entführten zu entkommen. Unterwegs aber holt ihn Stephan wieder ein und verschleppt Regina ein zweites Mal – diesmal zum Waffenlager der Freischärler. Inzwischen gelingt es Simon und Richard, nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Bauern der Gegend zur Rettung Reginas zu mobilisieren.

Die Verfolgungsjagd ist erfolgreich: Als sich die Niederlage der Freischärler in Sicht- und Hörweite des Waffenlagers abzeichnet, ist Stephan entschlossen, sich und Regina mit dem alten Pulverturm in die Luft zu sprengen. Da wird Regina wider Willen zur Heldin. Im letzten Moment gelingt es ihr, den Entführer zu erschießen. Nun wird nicht nur Reginas Befreiung gefeiert. Lortzing nimmt den erhofften Sieg der Freiheitsbewegung vorweg. „Landleute, Arbeiter aus allen Klassen mit Büchsen, Hacken, Sensen, bunten Fahnen etc., Soldaten stürmen von allen Seiten herbei“, heißt es im Libretto, und Richard verkündet: „Nicht hier allein ertönen Siegsklänge. Von allen Seiten Freiheitsboten nah’n. Aus vollem Herzen jubelt froh die Menge. Es bricht der Freiheit großer Morgen an.“

Dass 1849 dann keine Bühne mehr diese Oper spielen wollte, verwundert nicht. Erst in den Jahren 1899 bis 1901 kam „Regina“ ein paar Mal auf die Bühne, allerdings in einer wesentlich veränderten Fassung von Adolph L’Arronge als „vaterländische Oper“ mit antifranzösischer Tendenz. Für eine Rostocker Aufführung 1953 unterlegte Wilhelm Neef dem Stück eine marxistische Aussage. Die schmale, aber ideologiebefangene „Regina“- Rezeption spiegelt mithin Wege und Irrwege der deutschen Geschichte in besonderem Maße. Hansgünther Heyme, Intendant des Ludwigshafener Theaters, der kürzlich erst Wagners „Ring des Nibelungen“ inszeniert hat, nimmt als Regisseur und Ausstatter diese Problematik in seiner Inszenierung auf. Er koppelt das moderne Konzept des „historical reenactment“ mit einem Szenario kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Da sitzt ein kleiner Bub auf einer schlichten hölzernen Schulbank und betrachtet skeptisch die von einer Horde von seriösen Studienräten im dunklen Anzug und ältlichen Lehrerfräuleins im hochgeschlossenen Kleid veranstaltete Zeitreise in die Vergangenheit. Diese ziehen sich sukzessiv schwarze, rote oder goldgelbe Plastikplanen über und verkörpern jeweils Arbeiter, Freischärler oder Bauern. Schwarz-Rot-Gold, die Farben der demokratischen Revolution, zieren auch die Bühnenhinterwand und manches kleine Detail auf der Bühne.

So plausibel der Wunsch nach reflektierender Darstellung ist, so ist der Ansatz doch überzogen. Richard, der Held aus einfachen Verhältnissen, wirkt mit Anzug und Krawatte bestenfalls wie ein „Genosse der Bosse“. Daniel Ohlmann tut sich nicht leicht mit der Rolle (was bisweilen auf die Spitzentöne durchzuschlagen scheint.) Regina erscheint mit blonden Zöpfen und steif-ausladendem Kleid wie eine Kreuzung aus Goethes Gretchen und Kaulbachs Germania, nicht wie ein liebendes Mädchen, das in kritischer Situation über sich hinauswächst, (Adelheid Fink kämpft tapfer gegen ihr Rollenklischee an). Die Stilisierung widerspricht der Direktheit und Natürlichkeit, die die Figuren in Lortzings Dialogen und Musik an den Tag legen, und sie behindert, wie den Pausengesprächen zu entnehmen war, beim unvorbereiteten Zuschauer das Verständnis erheblich.

Überzeugend erscheint Heymes Entscheidung, an den Rand der Schulbank ein hölzernes Kreuz zu platzieren. Denn je weiter die Handlung fortschreitet, desto öfter rufen die in Bedrängnis Geratenen Gott an, gipfelnd in Preghiera Reginas und einem intensiven Ensemblegebet. Wiederholt wenden sich die Darsteller zu dem symbolischen Altar und rufen damit zugleich den Knaben und das Publikum als Zeugen ihrer Not an. Immer wieder lässt Heyme große, ruhige Bühnentableaus entstehen, in denen Text, Musik und Bild für sich wirken. Deutlich wird Lortzings Steigerungsanlage: Der durchkomponierte 3. Akt ist in seiner Dramatik, in seinen Kontrasten und seiner musikalischen Wucht näher an Verdi als an der deutschen Spieloper.

Ungebrochenes Pathos ist Lortzings Sache indessen nicht. Kilians Mutter Barbara, die alte Bäuerin, vertritt gesunden Menschenverstand und Mutterwitz der kleinen Leute, wenn sie in einem zweistrophigen Couplet gegen die heroischen und gewaltsamen Aufwallungen der Zeit protestiert und dagegen das Glück des Friedens setzt. Dabei rupft sie am Kaminfeuer buchstäblich ein Hühnchen. Wenig später wird das Feuer für Stephan zum Symbol seines Bundes mit der Hölle. Der gewitzte Kilian wiederum unterhält die Freischärler mit dem verlangten Ständchen. Dessen Text hat Lortzing bei dem Wiener Publizisten Johann Nepomuk Vogl (1802-1866) entlehnt. Es richtet sich gegen das „Jesuitenpack“, gegen korrupte Adelige, gegen Adelsdünkel und politisches Desinteresse – allesamt Aussagen, die den Freischärlern gefallen, gegen die aber selbst der alte Simon wohl kaum etwas einzuwenden hätte. Lortzings kompositorischer Witz blitzt unverkennbar auf: Aus dem vom Chor imitierten Gitarrenklimpern „didldum“ wird am Ende ein hintersinnniges „dumm dumm dumm“. Das Lied versandet in schläfrigem Ritardando, sogar der Fagottist im Orchester verschläft den Schlusston.

Das Finale bildet die „Deutsche Hymne“, ein aktuelles Freiheitsgedicht des Frankfurter Dichters Friedrich Stoltze (1816-1891) aus dem Revolutionsjahr 1848. Lortzing hat die 3. Strophe „Heil, Freiheit dir, du Völkerzier“, an den Anfang gesetzt und in optimistischem C-Dur vertont. Der Folgetext indessen macht schaudern: „Fließ hin, mein Blut, fließ in den Sand! O süßer Tod fürs Vaterland!“ Lortzings Vertonung aber widersetzt sich der Überhöhung des Selbstopfers und Heldentods. Mit einer plötzlichen Ausdünnung des Satzes und einer rapiden Wendung nach c-moll hält die Musik erschrocken inne – so als ahne der Komponist, welches Unglück noch auf diesem Boden wachsen würde. Heyme und seine choreographische Mitarbeiterin Éva Adorján deuten diese Entwicklung schon an, wenn sie in der Verlobungsfeier des ersten Aktes die Festgäste erstarren lassen und einen kleinen Totentanz mit zwei Kindern und einer Puppe zeigen. „Hätte Lortzings ‚Regina’“, fragt Andreas Bronkalla im Programmheft, „nicht eigentlich verdient gehabt, die deutsche Nationaloper zu werden?“ Die Antwort kann nur lauten: Ja!

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