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Invasion. Emanuele Soavi Incompany. Foto: Joris Jan Bos
Invasion. Emanuele Soavi Incompany. Foto: Joris Jan Bos
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Beine hoch! – Ein Tanzstück für Jubilar Jacques Offenbach in Köln

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Das Unwichtigste, weil am meisten Abgedroschene, wird an diesem Abend in der Kölner Orangerie gleich zu Anfang erledigt, eher pflichtschuldig statt mit zündendem Elan: Ein Tänzer singt mehr schlecht als recht Jacques Offenbachs Gassenhauer „Can Can“ auf die rhythmisch repetierten Silben „Babababibababaaa…“. Rainer Nonnenmann berichtet.

Doch kein Corps kesser Tänzerinnen streckt stramme Beine hübsch nach alter Melodie und Weise in die Höhe. Vielmehr räkelt sich eine einzelne Tänzerin über den Boden. „Orpheus in der Unterwelt“ ganz unten angekommen. Da zu Anfang jedoch bereits angekündigt wurde, die zur Travestie verhinderte Hopserei nur exakt eine Minute dauern zu lassen, bricht die Nummer auch tatsächlich punktgenau wieder ab.

Der Gag eröffnete das von Choreograph Emanuele Soavi mit und für sein Ensemble „Incompany“ entwickelte „Ein Stück Tanz für Jacques Offenbach“. Den Auftrag dazu hatte die Kölner Offenbach-Gesellschaft erteilt. Der honorige Verein war 2015 gegründet worden, um 2019 den zweihundertsten Geburtstag des aus Köln stammenden Komponisten Jakob Offenbach, „uns Jup“, mit rund 250 Veranstaltungen gebührend zu feiern, finanziell und werbetechnisch unterstützt von Stadt Köln, Land NRW, Landschaftsverband Rheinland und mehreren Firmenstiftungen. Die vereinten Kölner Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmer, Kulturfunktionäre, Veranstalter, Wirtschafts- und Kulturpolitiker gaben sich für das Jubeljahr eine Losung, die Offenbachs Greatest Hit bejubelt und zugleich die große Weltpolitik verballhornt: „Yes We Can Can“. In der rheinischen Karnevalshochburg werden eben seit jeher Kunst, Politik, Geschäft und Spaß miteinander verklüngelt.

„Yes We Can Can“

Die Ankündigung der neuen Produktion klang vielversprechend. Offenbachs Werke hätten die Kunstwelt und Gesellschaft im Paris der Zeit mit großer Wucht und atemberaubendem Tempo getroffen, wie eine – so der Titel der Veranstaltung – „Invasion“. Im Fokus sollte aber nicht die weithin bekannte historische Wirkung des Operettenkönigs stehen. Und auch die in der vergangenen Spielzeit bei verschiedenen Gelegenheiten bereits ausgiebig abgefeierten Schmankerln aus einschlägigen Offenbach-Werken sollten nicht schon wieder zum Besten gegeben werden. Stattdessen wollte man den Mythos dieser „gesellschaftskritischen Entertainment-Maschine“ auf seine zeitgenössische Dimension untersuchen. Zwischen gepflegter Langeweile bei Galakonzerten, mit denen sich die feiernde Gesellschaft nicht zuletzt selbst feierte, las sich dies wie ein Versprechen: Endlich ein neuer, sozialkritischer Umgang mit dem zu Tode geliebten Jubilar. Und vielleicht sogar eine Übertragung von dessen charmant-satirischem Geist auf aktuelle Kölner Verhältnisse und Personalien?

Bezugsfolie „Die Reise zum Mond“

Als Bezugsfolie diente Offenbachs 1875 komponierte Operette „Die Reise zum Mond“ über das Sujet von Jules Vernes im selben Jahr erschienenen Roman „Reise um den Mond“. Abgesehen von kurzen Lautsprecherwiedergaben spielte diese Operette jedoch weder musikalisch noch inhaltlich eine Rolle. Statt als Gegenstand aktualisierender Auseinandersetzung diente Offenbach lediglich entweder zur Begleitung oder als Zitat, von dem man sich höflich aber deutlich distanziert. Neben elektronischen Sounds und Beats des Theatermusikers Stefan Bohne erwiesen sich einzelne Sätze aus den bezaubernden drei Duetten für zwei Violoncelli op. 53 gleichwohl als Glücksfall für die Choreographie. Im Andante des dritten Duetts lässt Offenbach – Sohn eines jüdischen Kantors und selber ein ausgezeichneter Cellist – mit zwischen e-Moll und E-Dur wechselnder Melodik die jüdische Musiktradition anklingen. Eine tränenreiche Schattenseite zeigt der sonst zu Jux und Tollerei aufstachelnde Großmeister der leichten Muse auch in der melancholischen Elegie „Les Larmes de Jacqueline“ op. 76/2, ein cellistischer Rühr- und Schmachtfetzen sondergleichen, doch mit vielen ungewöhnlichen harmonikalen Wendungen.

Frei an das Spiel der Cellistinnen Katharina Apel-Hülshoff und Anja Schröder angelehnt, gestalteten drei Tänzerinnen und drei Tänzer eindringliche Duos, indem sie sich wie die Instrumentalpartien wechselseitig kontrapunktierten, begleiteten, stützten, trugen und miteinander verschmolzen. Als ungleiche Brüder, Liebende und Streitende interagierten mit unterschiedlicher Statur, doch gleichem Lockenkopf Federico Casadei und Michele Nunziata, mal poetisch, zart und geschmeidig, mal schroff, kantig, akrobatisch. Ebenso eng zu modernem Pas de deux verschlungen die beiden Frauen Lisa Kirsch und Mihyun Ko.

Rhythmisiert wurden Raum und Bewegung auch durch großformatige Plexiglasflächen, die wahlweise als Wände, Schieber, Böden oder Decken fungierten und die Tänzer entweder ein- oder ausschlossen, trennten oder verbanden, verstellten oder zeigten. Neben expressiven und betont physischen, abstrakten sowie mechanisch-repetitiven Bewegungsabläufen zitierte Soavi vereinzelt auch klassische Ballettfiguren sowie das Laufsteg-Posieren von Models. Und schließlich ließ er irgendwann gegen Ende dann doch noch einmal den „Can Can“ kurz aufblitzen, zwar kokett von einem Mann getanzt, aber stielgemäß im Faltenröckchen.

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