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Berliner Staatsopern-Events mit linkem Museumsstück und russischer Diva: Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“ und Benefizkonzert mit Anna Netrebko

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Die Staatsoper im Umbau fördert ungewöhnliche Aktionen: Anna Netrebko macht auf dem Weg zum deutschen Fach die Philharmonie mit dramatischem Gebaren zu ihrer Bühne und nutzt dabei den Konzertmeister, sowie Dirigent und Pianist Daniel Barenboim als Partner, und im Kraftwerk Mitte/Trafo werden Luigi Nonos Heldinnen der Revolution –mit enormem technischem und künstlerischem Aufwand – als Live-Film-Handlung gefeiert.

Staatsopern-Intendant Jürgen Flimm besitzt zu Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“ ein besonders enges Verhältnis: seine erste Regiearbeit für das Musiktheater war im  Jahre 1978 die Uraufführung der Zweitfassung dieser „Azone scenica in zwei Teilen“ in Frankfurt. Als Intendant der Salzburger Festspiele setzte er gegen enorme Widerstände die Aufführung dieser in ihrem Titel eine Verszeile von Rimbaud  zitierenden Collage durch. Und diese Salzburger Inszenierung  holte er jetzt als Koproduktion in die Fabrikruine des Kraftwerks Mitte, das – mit dem roten Staatsopernvorhang als Eingang zu der nur über endlose Stahltreppeneinbauten zu erreichenden Tribüne und mit teuren Catering-Möglichkeiten auf halber Höhe – zum Berlin-Event gesteigert wurde.

Das vom Komponisten, gemeinsam mit Juri Ljubimov zusammengestellte Libretto greift für die Schlüsselereignisse in der Geschichte des Kommunismus, von der Pariser Kommune im Jahr 1871 bis zum Vietnamkrieg, auf Zitate von Maxim Gorki und Bert Brecht, Marx, Lenin, Pavese und Che Guevara zurück. Die Heldinnen dieser Geschichte bleiben stumm, aber fünf Sopranistinnen (Elin Rombo, Silke Evers, Tanja Andrijic, Hendrickje Van Kerckhove, Virpi Räisinen) und eine Altstin (Susan Bickley) singen assoziativ, was die Darstellerinnen Julia Wieninger als Tania Bunke, Laura Sundermann als Hure Deola, Birgit Walter als russische und Helena Lymberty als Turiner Mutter verkörpern. Drei Herren (der Tenor Peter Hoare, der Bariton Christopher Purves und der Bass Michael Rapke) schlüpfen vokal in die Rollen der verhassten Kapitalisten, aber auch in die von Freier oder Verwandtschaft der Frauen.

Ein Videoregisseur (Leo Warner for 59 Productions) lässt von zwei Kameramännern und mehreren Standkameras die Livebilder der Inszenierung von Katie Mitchell mischen und auf einem Cinemascope-Screen aus abgerissenen Zeitungsschnipseln, oberhalb des Bühnenraums, projizieren.

Fast konzertant bleibt der an der rechten Seite der Bühne sitzende, von Eberhard Friedrich einstudierte Staatsopernchor, zu dessen einzigen szenischen Aufgaben das wiederholte Rascheln mit den Notenblättern (zum Klappern der Schreibmaschine auf der Szene) oder das triumphale Heben der rot eingebundenen Exemplare über den Kopf gehören. Am Ende des ersten Teiles legen die Damen des Doppelchores langstielige rote Rosen auf einem kleinen Filmbiotop der Bühne ab.

Was auf der Breite der Salzburger Felsenreitschule großzügig platziert war, ist auf die engere Bühne des Kraftwerks gequetscht: fünf Arbeiter-Wohnzellen, in denen Schießpulver eingefüllt, Essen zubereitet und Stoffe rot gefärbt werden oder in denen sich die Hure ausgiebig ihre Scham wäscht. Das wirkt kunstvoll und gefällig und bietet dem Zuschauer die seltene Möglichkeit, der Verfilmung von Episoden einer Soap Opera in der Totale und in der Nahen live beizuwohnen. Revolutionäre Kraft geht davon nicht (mehr) aus, und die handelnden Personen werden in Nonos Materialschlacht zu Menschenmaterial.

Während Sänger- und Schauspieler-Besetzung größtenteils deckungsgleich ist mit jener der Salzburger Aufführung, so sind der Staatsopernchor und das Orchester in Berlin hauseigen. Im Gegensatz zu den Wiener Philharmonikern klingt die harmonische und rhythmische Durchführung und der melodische Einsatz der Pauken in Berlin plastischer. Gleichwohl entfaltet Ingo Metzmacher, ein echter Spezialist für diese Partitur, die er auch in Salzburg und in Hamburg dirigiert hat, im lichttechnisch herausgehobenen Wechselspiel von Tonbandeinspielungen, kleinem und großem Live-Orchester faszinierende Klangwirkungen, die vermutlich seiner erwiesenen Liebe zur späten Romantik und frühen Moderne geschuldet sind.

Viel Berliner Prominenz, darunter auch der Kulturstaatsminister und der regierende Bürgermeister, gehörten zum Premierenpublikum, das dieser klassenkämpferischen Kommunismus-Nostalgie einhellig zujubelte. Die vier weiteren, einzigen Nachfolgevorstellungen des linken Museumsstücks an ungewöhnlichem Ort sind bereits ausverkauft. Gleichwohl gab es in der Premiere nach der Pause im Auditorium merklich viele freie Plätze.

Netrebko, Barenboim und die Staatskapelle Berlin in der Philharmonie

Nicht der Fall war dies bei dem dieser Premiere vorausgegangenen Abend, einem Benefizkonzert zugunsten der Sanierung der Staatsoper Unter den Linden. Opernnähe bewies Daniel Barenboim auch in der Philharmonie, zumal er beim Dirigat von Richard Strauss’ „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ selbst wie ein Till tanzte, beim ländlerartigem Thema das Orchester undirigiert aufspielen und Nebenfiguren als Störfaktor unbeachtet passieren ließ, mal mit eingestützten linkem Arm, mal ans Geländer des Dirigentenpults zurückgelehnt und doch das Todesurteil des sinfonischen Helden überlebend.

Mit wenig deutscher Textverständlichkeit wartete Anna Netrebko auf, als sie drei sehr bekannte Orchesterlieder von Richard Strauss interpretierte. Aber satte Piani und faszinierende Schwelltöne beweisen den eingeschlagenen Weg zum hochdramatischen Fach als nicht falsch. Wechselnd kostümiert, gestaltete die russische Diva ihren Auftritt auch als szenisches Ereignis: „Morgen“ visualisierte sie als Zwiegespräch mit dem virtuos solistisch aufspielenden Konzertmeister und vollzog bei „der Gottheit weltschaffendem Atem“ in „Caecilie“ eine komplette Drehung um sich selbst.

Mit Berlioz’ „Marche hogoise“ begann Barenboim noch im Applaus. Wie auf der Bühne, blickte die Netrebko bei den Reflexionen der eingekerkerten Margherita aus Boitos „Mefistofele“ zum Orchester – nur dass dabei diesmal der Großteil des Publikums in ihrem Rücken saß. Barenboim, der das Programm bis auf die Sopran-Arien auswendig dirigierte, wurde nach der Ouvertüre zu Verdis „I vespri silciliani“ mit Bravorufen bedacht, wie er sie im Orchestergraben nach Ouvertüren kaum erleben dürfte. Die Leichtigkeit, mit der Netrebko jene Siciliana der Elena, die Traviatas Brindisi antizipiert, nimmt, dabei Koloraturen herausschleudert und saubere Spitzentöne setzt, bedingten einen stürmischen Applaus, der sogar die extrem lange Pause zu überdauern vermochte, welche das Abräumen des Dirigentenpodiums, das hydraulische Absenken des Podests und die Auffahrt des Flügels benötigte. Zwei Lieder Tschaikowskis als Dank, bei denen Anna Netrebko nicht nur spezifische Nähe zu Tschaikowski, sondern auch zu Barenboim bewies, da sie ihre Arme um den Pianisten legte, der im extrem langen Vor- und Nachspiel der zweiten Zugabe seine pianistische Virtuosität erneut unter Beweis stellen durfte: Küsse zwischen Dirigent und Solistin und emphatischer Jubel des exkursierenden Staatsopern-Publikums.

Weitere Aufführungen von Nonos „Al gran sole carico d'amore“:
3., 5., 9. und 11. März 2012

 

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