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Chor und Extrachor der Staatsoper Hannover, Statisterie. Foto: © Thomas M. Jauk
Chor und Extrachor der Staatsoper Hannover, Statisterie. Foto: © Thomas M. Jauk
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Bernd Mottl findet in Hannover eine radikale Lösung für den „Fliegenden Holländer“ von Richard Wagner

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Die Grundproblematik in Richard Wagners 1841 entstandener, 1843 uraufgeführter Oper, mit der der Komponist den traditionellen „Opernstil“ überwinden wollte, ist bekannt und es gibt bei keiner einzigen Inszenierung ein Missverständnis darüber, dass hier weder der Holländer die Senta irgendwie liebt, noch Senta den Holländer: die Partner sind immer Projektionen für eine seelische Sehnsucht, nämlich die nach Erlösung, was ja fortan Wagners Lebens- und Werkthema werden sollte.

Der Regisseur Bernd Mottl fokussiert in seiner Inszenierung am Niedersächsischen Staatstheater Hannover das Thema in einer extremen Richtung: beide, der Holländer und Senta, suchen einen Partner nicht für ihre Erlösung, sondern den geplanten Selbstmord. Ohne jegliche innere Rührung steht der körperlich mächtige Holländer im schwarzen Philipp II.-Kostüm da, sagt sogar, die Begegnung mit Senta sei nicht die Liebe, sondern das Heil. Aber während er (mit schönem Gesang Stefan Adam) eher eine steife Unnahbarkeit präsentiert, erleben wir mit Senta einen fulminant trotzigen Teenager, der in schwarzen kaputten Klamotten nägelkauend sich an seinen Wunschkapitän klammert, der im Hintergrund als Statue sitzt. Alles an ihr ist Sehnsucht, diese unerträgliche Welt zu verlassen – ein hochaktuelles Thema: Kelly God war der überragende Mittelpunkt des Abends. Das Duett mit dem Holländer, das sie unendlich weit voneinander entfernt kommunikationslos singen, endet damit, dass Senta den Holländer mit schwarzen Kerzen umstellt. Wie God ihr Inneres, ihre Seele sozusagen auf die Stimme bekam, das hört man in diesem Facettenreichtum selten. Erik, die vielleicht einzige „normale“ Figur brachte mit Schwung, Wut und Leidenschaft Realität in die Geistergeschichte hinein: sehr gut Robert Künzli. Auch Shavleg Armasi als Daland brachte Wirklichkeit: wunderbar, wie er regelrecht durchdreht vor Freude über seinen angehenden Reichtum.

Wo spielt das Ganze? Ganz sicher handelt es sich nicht um die Begegnung zweier konträrer Schiffsbesatzungen, Mottl hat für das Selbstmordmotiv nach Krasserem gesucht. Er präsentiert eine Konsumgesellschaft in mehreren ruinenhaften Etagen einer Einkaufszeile (Bühne von Friedrich Eggert), die „sich von ihren Wurzeln getrennt hat“, wie er im Interview sagte. Das erklärt Sentas Verzweiflung an diesem Leben, die Shopping-Damen decken die Träumende mit ihren Pelzmänteln und Einkaufstüten zu. Und wenn am Ende die beiden Schiffsmannschaften kämpfend aufeinander losgehen, gerät hier eine weiß-blaue Matrosenfeier mit vielen Luftballons aus dem Ruder: Das ist brillant und virtuos gemacht, ein Lob dafür dem Chor. Dass Daland seine Tochter dem Holländer regelrecht verkauft, ist in dieser Aufführung leider nur vollkommen oberflächlich zu sehen, seine Haltung aber ist ja ein weiteres Motiv für Sentas Lebensekel.

Die musikalische Wiedergabe lief unter Leitung von Ivan Repušić, seit dieser Spielzeit nach Jahren der Kapellmeisterposition der neue Generalmusikdirektor, etwas schwerfällig und pauschal an, fand aber schnell und anhaltend zu einem überzeugenden Gegenüber frischer Wildheit und lyrischer Intimität. Begeisterter Beifall.

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