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Helen Schneider und die SWR Big Band in Kempten. Foto: Oliver Hochkeppel
Helen Schneider und die SWR Big Band in Kempten. Foto: Oliver Hochkeppel
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Bürgersinn im Dienst der Musik: Jazzfrühling Kempten mausert sich zu einem kleinen Burghausen

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„Jazz ist Teamarbeit“ hat Kemptens Oberbürgermeister Ulrich Netzer sein Grußwort zum 27. Jazzfrühling in der „Metropole des Allgäus“ überschrieben. Tatsächlich ist dieses Festival ein herausragendes Beispiel für Bürgersinn, sozusagen ein kleines Burghausen. Der „Kleinkunst-Verein Klecks“ hat die Tradition einst mit einem Jazz-Wochenende begründet und Zug um Zug ausgebaut.

Wer jetzt an den neun Tagen bis zum vergangenen Sonntag durch die 65 000-Einwohner-Stadt schlenderte, kam am Jazzfrühling nicht vorbei. Nicht an den allgegenwärtigen Bannern und Plakaten und nicht an den swingenden Klängen, die aus allen Ecken drangen – vom Rathausplatz über diverse Lokale bis zum sozusagen vereinseigenen Wirtshaus am Klecks, in dem sich der harte Kern auch zur nächtlichen Nachbereitung versammelt. Die drei Eröffnungs-Abende mit Jive, Swing und Blues fanden wieder im Kornhaus statt, bisher die Zentrale des Festivals, nunmehr abgelöst vom wunderschönen und akustisch wie technisch idealen Stadttheater.

Insgesamt ergab das gut 100 Konzerte an über 30 Spielstätten – darunter sogar die Gipfelstation des Nebelhorns als höchstgelegene Jazzbühne Deutschlands –, was den Jazzfrühling schon rein zahlenmäßig zu einem der größten Festivals im deutschsprachigen Raum macht. Und was vor allem deshalb bemerkenswert ist, weil das Ganze nach wie vor rein ehrenamtlich gestemmt wird, von dem etwa 60-köpfigen Arbeitskreis des inzwischen 700 Mitglieder zählenden Vereins. Auch finanziert wird das Festival mehr oder weniger privat , über die Eintrittsgelder und Sponsoren. Die Stadt schießt letztendlich nur zu, was an Gebühren fällig wird, der Freistaat erkauft sich die Präsenz seines Wappens mit einer minimalen Summe. „Bisher ist es stets gut gegangen, aber es ist immer eine Gratwanderung“, erklärt denn auch Hansjürg Hensler, der Vereinsvorsitzende, der sich als Versicherungsmann im Ruhestand für den kaufmännischen Bereich zuständig fühlt und manche Blütenträume einbremsen muss.

Das Programm verantwortet der Kulturmanager und Labelchef (Jawo Records) Gerold Merkle. Er meistert jedes Jahr den Spagat zwischen Populärem und Elitärem, zwischen Konvention und Innovation. Und präsentierte auch in diesem Jahr Traditionalisten wie Monty Alexander oder die Dutch Swing Collage Band neben Modern Jazzern wie Ralph Alessi oder Michel Godard, Kerniges wie die Holmes Brothers neben Schrägem wie der Schäl Sick Brass Band. Große Verdienste hat die mittlerweile vom Kaufbeurer Bassisten Tiny Schmauch betreute Reihe „Ällgau Jazz“, die Lokalmatadoren und Talente wie die Saxophonistin Barbara Ehlich, die Sängerinnen Lydia Schiller und Mia Weirich, dem Holzbläser Florian Mayer oder dem Gitarristen Alex Jung fördert oder überhaupt erst hervorgebracht hat.

Dass man mit den Zugpferden mal Pech und mal Glück hat, gehört dazu, auch in diesem Jahr: Das Pink-Floyd-Projekt der italienischen Pianistin Rita Marcotulli etwa, immerhin Aufmacher des Jazzfrühling-Online-Auftritts, erwies sich als Flop. Dass dieses altbackene, ohne jeden Groove im Viervierteltakt terzlastig dahinplätschernde, mit unmotivierten Soli und Sythie-Geklingel und -Flächensounds aufgemotzte Programm trotz imponierender Namen (zum Beispiel sprang Saxophonist Tony Lakatos bei) ohne tragende Gestaltungsidee auskommt, hätte man allerdings vielleicht bereits anhand der CD bei der Vorauswahl merken können. Umso erfreulicher dafür zum Abschluss der Auftritt von Helen Schneider mit der überragenden SWR-Bigband. Der ansprechende Mix aus dem Bert-Kaempfert-Programm von beiden – nur das „Strangers In The Night“ wurde allzu kunstbeflissen etwas in den Sand gesetzt – und einer orchestraler Leistungsshow von Basie über Woody Herman bis zu Bob Florence überzeugte rundum.

Wie gesagt, die großen Namen sind nie eine sichere Bank, auch nicht in Kempten. Als Zaungast würde man sich indessen vor allem im Beiprogramm mehr Mut wünschen: mehr echte Musiker statt der ewigen Jazz-Dienstleister. Warum müssen es im Biergarten partout die immer gleichen Dixiebands in Strohhut und Weste sein, warum müssen am Rathausplatz ausnahmslos Standards erklingen. Es gibt genug fortschrittliche Traditionalisten und frische, trotzdem gefällige Improvisatoren. Nach 27 Jahren Geschmacksbildung und gelebtem Bürgersinn könnte man da wohl ein bisschen mehr riskieren.

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