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Christian Gerhaher (Don Giovanni; stehend) und Statisterie der Oper Frankfurt. Foto: Monika Rittershaus
Christian Gerhaher (Don Giovanni; stehend) und Statisterie der Oper Frankfurt. Foto: Monika Rittershaus
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Das Don-Giovanni-Syndrom – In Frankfurt inszeniert Christof Loy einen düster reflektierenden „Don Giovanni“

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Es war kein interaktiver Regieeinfall, sondern eine technische Störung: Mitten in der großen, von Brenda Rae mit zart betörender Höhe begonnenen Arie der Donna Anna im zweiten Akt musste das Frankfurter Opernhaus geräumt werden. Was erstaunlich flott und geordnet vor sich ging. Es lag irgendwie in der Luft, dass hier keine ernsthafte Havarie der Auslöser war. Der Spuk war schnell vorüber, der Intendant bedankte sich beim Publikum für das gezeigte Tempo und die Gelassenheit. Schließlich machten Sebastian Weigle und die Darsteller da weiter, wo sie unterbrochen worden waren. Natürlich inklusive Arienanfang.

Vorher hatte schon Regisseur Christof Loy mit einigen Auftritten und Abgängen seiner Protagonisten für seine Verhältnisse ungewöhnlich weit über die Rampe in den Zuschauerraum übergegriffen. In der ersten Reihe gab es Donna Elviras Empörung über ihre große Lebensliebe und -enttäuschung Auge in Auge. Auch für die Flucht Don Giovannis aus dem Finale des ersten Aktes blieb ihm nur der Weg nach vorn durch den Zuschauerraum.

Dabei ist der Blick dieser Inszenierung konsequent zurück, in die Vergangenheit gerichtet. Die große Freiheit, die sich der notorische Liebhaber, der permanent die gesellschaftliche Konvention verletzt, und damit eine heimliche, obsessive Norm für die Männer, aber auch für die Frauen schafft, ist hier nämlich fast schon zum Fluch geworden.

Don Giovanni selbst ist ein deutlich gealterter und längst ergrauter Mann. Leporello färbt ihm einmal den Bart (was rein zufällig an das gerade gekürte Gewinner-Gesicht des ESC erinnert). Am Ende geht er zwar stets herausgeputzt, jedoch am Stock. Er ist nur noch der Schatten seiner einstigen körperlichen Attraktivität. Seine Aura hat er dennoch behalten, weil die anderen sie in ihm sehen. Ob nun als verhasster Konkurrent um die Gunst der Frauen oder als heimliches Vorbild bei der Art sie zu verführen (oder sich verführen zu lassen). Selbst Don Ottavio greift einmal zu Giovannis Federhut und Mantel. Und spürt prompt den Zauber.

Überhaupt dieser Don Ottavio. Loy gelingt ein Blick auf diesen schnell mal als arienflötendes Weichei an den Rand gedrängten, der einer Rehabilitierung gleichkommt. Und das liegt nicht nur am fabelhaften Martin Mitterrutzner, den Don Giovanni in jüngeren Jahren und unter etwas anderen Verhältnissen als bürgerlich domestizierten Konkurrenten ernst nehmen müsste. Mitterrutzner gestaltet die Arie „Dalla sua pace“ jenseits aller Virtuoseneitelkeit so, dass sie wirklich berührt und direkt ans Herz greift. Vor allem ist er für Donna Anna ein ernstzunehmender Partner. Eine so innige und erotisch knisternde Liebesszene gab es zwischen diesen Beiden wohl noch nie. In der Mode des 17. Jahrhunderts und nur mit den Händen - das war so einer der überraschenden, dezent ins Bild gesetzten Einfälle des Regisseurs.

Einen großformatigen Coup gibt es gleich zu Beginn, wenn zum passenden Orchesterschlag der rote Vorhang fällt und den Blick auf die desolate Pracht eines Palais-Innenraumes eines leergeräumten Barocktheaters freigibt. Ein notdürftig mit Brettern vernagelter Wanddurchbruch hinten, robuste Fensterläden auf der einen, ein Kamin auf der anderen Seite. Hierher passt der einsame Mord, den wir gleich am Anfang zu sehen bekommen. Dabei wird im Laufe des Abends immer klarer, dass es nicht nur der Mord Don Giovannis am Komtur war, sondern auch an einem Alter Ego oder an sich selbst. Beim Finale wiederholt sich diese Szene als vervielfachter Kampf der Alter Egos, an dessen Ende diesmal Don Giovanni vom Erdboden verschwindet.

In diesen Raum passt aber auch die Hochzeit von Bauern oder der Auftritt eines Don Giovanni in Langstiefeln, Pluderhose und mit Federhut. All das ist auf seine Art gerade dabei, aus der Zeit zu fallen. Spielen dieser düster opulente, von Zeit zu Zeit eingenebelte und in verschiedene Lichtstimmungen getauchte Bühnenraum von Johannes Leiacker und der Mantel-und-Degen-Schick und die echte Donna-Eleganz der Kostüme von Bettina Renzenbrink deutlich mit der Entstehungszeit und ihrer Vorläuferepoche, so erzählt Loy gleichwohl etwas Überzeitliches. Diese historische Opulenz ist der Hintergrund für eine erstaunlich naiv und einfach nur brav nacherzählte Geschichte der Beziehung von Zerlina und Masetto. Es ist zwar imponierend zu sehen, wie der schlichte Masetto mit aller Macht versucht, anständig zu bleiben und nicht zum Mörder zu werden, um Zerlina zu imponieren. Er befreit den gefesselten Leporello sogar. Wenn er dann aber mal kurz aufspringt, als er zusammengeschlagen am Boden liegt und um das Mitleid seiner Liebsten buhlt, dann ist das ein eher etwas klein geratenes szenisches Witzchen. Aber sei’s drum.

Im Kern zeigt Loy einen Psychokrimi. Es ist das Leiden unter dem Don-Giovanni-Syndrom. Und das Ankämpfen dagegen. Eine Auseinandersetzung des Don Giovanni mit sich selbst (seiner Vergangenheit, seiner Veranlagung, seiner Skrupellosigkeit). Und der Versuch der anderen, sich aus seinem Bannkreis zu lösen.

Dass der zweite Akt vor einer Bretterwand mit verschiedenen Öffnungen spielt, man in der Friedhofsszene den Sockel und den unteren Teil des Komtur-Standbildes zu sehen bekommt und das Nachtmahl am Ende nur auf einem Stuhl vor dem Vorhang stattfindet, verstärkt die Wirkungsmacht der opulenten Leere dieses barocken Raumes für das Schlussbild. Dass Donna Elvira, die als rechtmäßige Ehefrau Giovannis von Leporello sein berüchtigtes Registerbuch bekommt, aus den Latschen kippt, nach dem sie (wer weiß was) darin entdeckt hat, ist eine Pointe von ernsterem Witz. Dass Masetto und Zerlina innig vereint sind, vorhersehbar - dass aber für Don Ottavio und Donna Anna eine gemeinsame Zukunft zumindest mal eine Option ist, ist so überraschend wie auch tröstlich. Loy hat es geschafft, dass man es den beiden wünscht.

Ein so von sich selbst ausgebremster beziehungsweise seine Endlichkeit reflektierender, gealterter Verführer wie Loy ihn zeigt, ist eine enorme Herausforderung. Christian Gerhaher hat natürlich das Format, sie glaubhaft zu bewältigen. Er besticht nicht nur mit seiner präzisen Artikulation und intelligenten Gestaltungskraft, sondern in deren Dienst auch mit vokalen Kraftausbrüchen. Es ist grandios wie Gerhaher etwa die Verzweiflung und ein geradezu panisches Erschrecken seiner Einladung zum Fest beizufügen vermag. Oder andererseits sein Liedchen unterm Fenster tieftraurig eigentlich an sich selbst adressiert.

Auch sonst sind wunderbare Sängerdarsteller beisammen. Ob nun die Ottavio „Entdeckung“ Martin Mitterrutzner oder die höhenfeine Brenda Rae als Donna Anna, der dunkel dröhnende Komtur von Robert Lloyd, die intensive Donna Elvira von Juanita Lascaro oder das mit leichter Spielfreude aufwartende Paar Zerlina (Grazia Doronzio) – Masetto (Björn Bürger) und Simon Bailey, der einen grundsoliden Leporello beisteuert, sie alle fügen sich zu einem homogenen Ensemble, dem die Glanzlichter nicht fehlen.

Sebastian Weigle ist am Pult des hochpräzise mit der Szene abgestimmten Frankfurter Opern- und Museumsorchesters nicht darauf aus, die Partitur mit Dauer-Furor aufzumischen. Er lauscht gleichsam, musikalisch feinsinnig auf der Seite von Loys klug differenzierender Inszenierung, in sie hinein und kostet dabei auch das Innehalten und die reflektierende Stille aus.

Lässt man sich darauf ein, dann hat die Oper Frankfurt, auch ohne Alarm-Übung, einen ziemlich spannenden neuen „Don Giovanni“ zu bieten.

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