Hauptbild
Die New Yorker Wall Street (nicht der Reichstag) nach der Verhüllung: „Götterdämmerung“ in Bayreuth. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Die New Yorker Wall Street (nicht der Reichstag) nach der Verhüllung: „Götterdämmerung“ in Bayreuth. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Der Kapitalismus von vor 30 Jahren: Mit und nach der „Götterdämmerung“ provoziert Frank Castorf das Bayreuther Publikum

Publikationsdatum
Body

Das für Bayreuth wirklich Neue fand vor dem Vorhang, beim Applaus statt: Regisseur Frank Castorf stellte sich dem Orkan von Buhrufen und den in der zweiten Pause von Aktionisten verteilten Trillerpfeifen eine gefühlte Viertelstunde lang, erbarmungslos, um die Protestierenden zu erschöpfen, mit Crescendo-Gesten, Kussmund und leider auch mit doppelten Zeigefingergesten an seiner Stirn, ausharrend wie am Grab, mit vor dem Unterleib gefalteten Händen. Selbst den mehrfachen Versuchen seiner Mitarbeiter und sogar des Dirigenten, ihn wieder hinter den Vorhang zu bekommen und zur Fortsetzung der Applausordnung zu bewegen, bot er eisern Trotz.

Leider ist seine Inszenierung selbst nicht so konsequent geraten. Auch am dritten Tag des Bühnenfestspiels für drei Tage und einen Vorabend blieb die szenische Ausdeutung vielfältig, häufig ungelöst und beliebig. Die originellen Momente passieren auf der Metaebene von Film und Bühne, etwa im Zitat von Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“, mit einem über eine steile Treppe herabrollenden Kinderwagen; der ist mit Kartoffeln gefüllt, die polternd zu Boden fallen und den Running Gag des Kartoffelsalat-Einsatzes aus Produktionen der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz alludieren.

Stark in der Wirkung ist Castorfs Zugriff immer dann, wenn die Rheintöchter (Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka van der Damerau) ins Spiel kommen, – sehr viel länger und ausgiebiger als in anderen Inszenierungen. Auf der filmischen Ebene gedoppelt, schafft der Regisseur Szenen, die an David Lynch erinnern: in einem vorproduzierten Video verfrachten die Rheintöchter während des Vorspiels zum dritten Aufzug eine Leiche im Kofferraum jenes Mercedes-Cabriolets, mit welchem sie in „Rheingold“ davon gefahren waren; dieser Vorgang passiert nochmals in der Realität, dann werfen sie den Toten auf eine Opferstätte, wo der wieder zum Leben erwacht; aber als kurz darauf Siegfried in den Kofferraum sieht, erblickt auch er darin die Leiche. Später verweisen die Rheintöchter an der New Yorker Börse mit einem Picasso-Gemälde auf den Missbrauch von Kunst als Kapitalanlage.

Das Bühnenbild von Aleksandar Denić  kombiniert diesmal die Nach-DDR mit der über zwei Akte lang à la Christo verhängten New Yorker Börse, getrennt durch eine Steiltreppe und eine Treppenhaus-Schlucht, wie sie – ebenfalls im szenischen Vorspiel der „Götterdämmerung“ – bereits bei Harry Kupfers Bayreuther Inszenierung zu sehen war. Hinter einer Toreinfahrt mit Gitter befindet sich eine südamerikanische, magische Kultstätte, für die auch die Nornen blutiges Geflügel beisteuern und in der Hagen fleißig Branntwein ausspuckt. Weitere Segmente des Einheitsraumes zeigen die grelle Leuchtschrift „Buna – VEB Chemische Werke – Plaste und Elaste aus Schkopau“ und eine Brandmauer mit „Obst und Gemüse“-Laden sowie Döner-Bude. Der zuvor bereits vielfältig eingesetzte Wohnwagen ist nun abwechselnd sowohl Heimstatt von Brünnhilde und Siegfried, als auch von Gutrune, die eine Isetta fährt.

Zu den Fragwürdigkeiten der Inszenierung gehört eine Kinderpuppe, wenn im Vorspiel vom Ross Grane die Rede ist; diese taucht in der Videoprojektion als Negativbild erneut auf, wenn Siegfried als vermeintlicher Gunther – ohne Tarnhelm und Schwert, nur mit eigenen schütteren Haaren – Brünnhilde den ihr als Liebespfand geliehenen Ring abnimmt. Ab dem Hochzeitsfest mit Gunther trägt Brünnhilde, wie ihre Mutter Erda bei ihrem ersten Auftritt im „Rheingold“, ein goldenes Paillettenkleid (Kostüme: Adriana Braga Peretzki), am Ende holt sie einen Kanister aus dem Kofferraum des Mercedes und legt mit dem vergossenen Benzin eine Feuerspur, die jedoch nicht entzündet wird; der Weltenbrand bleibt reduziert auf ein zuvor schon brennendes Ölfass.

Zu den szenisch ungelösten Strecken gehört die sehr statische Szene der Waltraute, mit Bogen ohne Pfeil – denn der steckte zuvor schon im toten Huhn der 2. Norn (beide Rollen sehr textintensiv und differenziert gestaltet von Claudia Mahnke). Ungewöhnlich und spannend inszeniert ist hingegen der Tod Siegfrieds: nach zahlreichen Baseballschläger-Hieben Hagens stirbt der angetrunkene Held, hinter einem Holzzaun verborgen; bei seinem Sterbegesang erblickt der Zuschauer nur noch Siegfrieds Finger zwischen den Latten.

Auch in der „Götterdämmerung“ kommt Castorf-Assistent Thomas Schramm wieder als geschundene Kreatur, hier als Döner-Händler, zum Einsatz. Hagen schlägt dem Autoteiledieb die Zähne aus und später ein Leck in eines der Ölfässer; noch ohne seinen blonden Irokesen-Haarbusch auf der Glatze, läuft er während des Trauermarsches in einem vorgefertigten Film durch einen Wald. Er überlebt am Ende: im Film treibt er auf einem Schlauchboot über das Wasser. Den illegitimen Sohn Alberichs, bewusst mit dem Koreaner besetzt (Attila Jun, in Spiel und Gesang gleichermaßen grobschlächtig und mulmig, ohne Tiefgang), deutet Castorf als „koreanische Rache am deutschen Kulturgut“ und dessen Überleben mit dem Satz, „die Hagen sind noch unter uns“.

Der Chor tritt in dieser Inszenierung ausschließlich im ersten Teil des zweiten Aufzugs auf, schwarz gewandet, teils mit roten, teils mit britischen Fähnchen (der Mehrheitseigner am Erdöl), heftig saufend, einige mit Schildern gegen den „Hunger“ demonstrierend. Die Jagdszene ist ohne Chor gelöst, die Chorfragen stellen vier Mannen solistisch. Alberich in kurzer, weißer Unterhose und Stiefeln hält sich eine eigene Prostituierte. Siegfried, der Gutrune bereits bei der ersten Begegnung begattet, lässt es auch bei den Rheintöchtern nicht beim nachträglich ausgesprochenen Wunsch, sondern zeigt  vielfältig, was Fricka, als die Göttin der Ehe, so betroffen gemacht hatte. Und auch Gunther steigt zum Liebesspiel mit den Dreien ins Cabriolet.

Wieder überzeugt Lance Ryan als schlanker, alle Frauen sofort begattender Siegfried durch sein Spiel, aber leider mit einem unschön quäkenden Charaktertenor, dem allerdings die bei seinen Kollegen gefürchteten Bravourtöne dieser Partie keine Schwierigkeiten bereiten; er hält sie – wie bei Verdi üblich – sogar länger aus als komponiert. Intensiv in der Rollengestaltung ist Alejandro Marco-Buhrmester als Gunther, obgleich an diesem Abend stimmlich nicht in Hochform.  Allison Oake als Gutrune, exzessiv im Spiel, hinterlässt so wenig Eindruck wie der rauchende Alberich von Martin Winkler. Catherine Foster erntet als Brünnhilde viel Zuspruch, obgleich die meisten Töne ihres Schlussgesangs zu tief sind.

Die vorsätzliche Eliminierung großer Leidenschaften dieser Lesart hat zur Folge, dass auch Erschütterung über das Leid der handelnden Personen ausbleibt. Gleichwohl machtvoll setzt Kirill Petrenko auf die Exzessivität der Partitur Wagners, aus der er – teils mit der Szene, teils in deutlicher Reibung – nicht nur gewaltige Funken schlägt, sondern immens fesselnde musikalische Bögen zu bauen vermag. Nachhaltig hat er die Waltrautenszene plastisch herausgearbeitet als eine deutliche Antizipation des Endes, als Pendant zu Brünnhildes Schlussgesang. Petrenko betont Reibungen und Härten mit berstender Gewalt. So erklingen etwa die dem (unsichtbaren) Hornruf Hagens antwortenden Stierhörner der Bühnenmusik nicht entfernt, sondern gleich stark, schneidend dissonant, –und im Sinne des szenischen Stadtbildes plakativ, wie Autohupen.

Neben den lautstarken Missfallensbekundungen für das Regieteam und vereinzelt auch für Solisten, gab es berechtigt viel Jubel für Kirill Petrenko und das sich selbst überbietende Festspielorchester. Der Idee „Werkstatt Bayreuth“ der Enkel Wagners bleibt auch das Bayreuth der Urenkelinnen verpflichtet. Frank Castorf hat die Chance, im nächsten Jahr weiter zu arbeiten und dann auch jene Szenen zu füllen, die in diesem Sommer primär eine Verweigerungshaltung ausstrahlten. Seine Ost-West-Konzeption der Wendezeit wird im Zeitalter des diffizilen Internet-Kapitalismus allerdings eine wenig aktuelle Lesart bleiben. Wagners Aufforderung, „Kinder schafft Neues!“ löst diese Rückschau aufs Gestern nur oberflächlich ein. Doch der Titel von Wagners Regenerationsschrift mag auch hier zutreffen: „Wollen wir hoffen?“

Die nächsten Aufführungen: 19. und 27. August 2013.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!