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Titelseite der nmz 2019/04
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Die EU-Urheberrechtsrichtlinie muss zum Leben erweckt werden · Von Tobias Könemann

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Bis zuletzt war unklar gewesen, ob eine Mehrheit für eine Erneuerung des 20 Jahre alten Urheberrechts zustande kommen würde. Reformgegner und Befürworter hatten protestiert, demonstriert und Lobbyarbeit in ihrem jeweiligen Sinne betrieben. Nun hat das Europäische Parlament am 26. März die Richtlinie über das Urheberrecht im Digitalen Binnenmarkt verabschiedet und damit die Rechtssprechung an digitale Geschäftsmodelle angepasst. Tobias Könemann blickt auf die maximal aufgeheizte Debatte zurück:

Endlich haben sich Rat, Kommission und Parlament auf einen inhaltlich vertretbaren Kompromiss zur längst überfälligen EU-Urheberrechtsrichtlinie verständigt. Eigentlich ein Grund zum Feiern. Und was passiert? Normale Bürger, denen das Urheberrecht bisher ebenso unbekannt wie gleichgültig ist, gehen scharenweise auf die Straße, beteiligen sich – angeblich zu Millionen – an hys­terischen Massen-Petitionen und geradezu unüberschaubaren Shitstorms im Internet und so genannten sozialen Medien. Selbst die Bundesjustizminis­terin ist sich nicht zu schade, mit einem Plakat mit den Parolen „Stoppt die Zensurmaschine!“ und „Rettet das Internet!“ zu posieren.

Ziel des Zorns

„Internetzensur“ und „Upload-Filter“ lauten denn auch die gängigsten Schlagworte der Hass-Gemeinde. Ziel des Zorns ist der sagenumwobene, aber wohl kaum von irgendeinem der Schreihälse gelesene Artikel 13 des Richtlinien-Entwurfs. Der aber beinhaltet – wie der Rest des Textes – weder irgendetwas, das auch nur im Entferntesten auf eine inhaltliche Zensur hindeutet, noch eine direkte oder indirekte Verpflichtung für irgendjemanden, irgendwelche technischen Vorkehrungen gegen das Einstellen von Inhalten zu implementieren.

Praxis

Vielmehr befreit der fragliche Artikel die YouTube-Junkies, die sich bisher durch unkontrolliertes Einstellen geschützter fremder Inhalte faktisch auf breiter Front strafbar machen, ausdrücklich weitgehend von ihrer rechtlichen Verantwortung, indem er nicht mehr sie, sondern die gro-
ßen – und nur die großen und etablierten – Plattformbetreiber in die Pflicht nimmt, für diese Inhalte Lizenzen zu zahlen. Und dies geht in der Praxis höchst einfach, nämlich nicht von Fall zu Fall an einzelne Rechteinhaber, sondern pauschal durch Gesamtverträge mit Verwertungsgesellschaften, die – auch hinsichtlich der Angemessenheit ihrer Tarife – europarechtlich und national strengsten Kontrollen unterliegen und – auch hier gilt es, verbreiteten Märchen entgegenzutreten – nicht im eigenwirtschaftlichen Interesse, sondern als Treuhänder der Urheber und ausübenden Künstler agieren. Eine Verpflichtung zur Installation von „Upload-Filtern“ wird durch den Richtlinien-Entwurf sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Original-Zitat: „The application of the provisions in this article shall not lead to any general monitoring obligation“ (Art. 13 Abs. 7 S. 1)!

Sowohl die Verfechter des „freien Internets“ als auch Verbraucherschützer sollten für diese Regelung eigentlich dankbar sein. Wie kommt es dann aber zu diesen pervertierten Protestaktionen? Das kann doch nicht nur schiere Dummheit sein. Nein, so einfach ist es in der Tat nic: Diese ganzen Aktionen sind eben nicht spontan, sondern höchst subtil von Internet-Giganten wie YouTube, Facebook, Google & Co. und ihren Trittbrett-Fahrern mit mutmaßlich hohem Millionen-Aufwand und falschen Tatsachenbehauptungen eingefädelt, um – natürlich – ihre Milliardengewinne nicht nur dem Zugriff von Steuerbehörden, sondern auch dem derer, die die Inhalte generieren, zu entziehen. Wie gut dies funktioniert und damit auch wie gefährlich es ist, kann man nicht zuletzt daran ablesen, dass gerade auch populistische Gruppierungen von ganz links (z.B. „Piraten“) und ganz rechts (z.B. „AfD“) mit Vehemenz gemeinsam auf diesen Zug aufspringen.

Naive Öffentlichkeit

Ähnliche Massen-Manipulationen und Manipulationsversuche dubioser, rechtsstaatlicher Kontrolle entzogener Akteure hat es in den letzten Jahren in erschreckend zunehmender Zahl gegeben – denken wir nur an die Merkwürdigkeiten im Vorfeld der letzten US-Präsidentschaftswahl und die Affäre um „Cambridge Analytica“. Sie sind – leider – geeignet, unsere offenen und demokratischen Staats- und Gesellschaftsstrukturen mit ihren subtilen „checks and balances“ zu unterminieren und in ernste Krisen zu stürzen. Und es ist erschreckend, mit welcher Naivität große Teile der Öffentlichkeit einschließlich etablierter Medien derartigen Manipulationen auf den Leim gehen. Dies und nichts anderes ist eine ganz neue Dimension von Zensur.

Das Internet muss weiterleben – und es muss frei sein. Wir Inhalte generierenden Kunst- und Kulturschaffenden aber sollten, sowohl in unserem eigenen wirtschaftlichen Interesse als auch aus unserer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung heraus, vehement dafür kämpfen, dass dies unter transparenten und geregelten Bedingungen geschieht. Sonst wird der Segen zum Fluch. Hoffen wir also, dass Artikel 13 zum Leben erweckt wird.

Der Autor ist Geschäftsführer der Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer e.V. (VdO)

Weitere Texte zum Thema finden Sie auf www.nmz.de:

„Urheberrecht und Stil“ – ein Kommentar von Martin Hufner
„Kurz-Schluss“ von Theo Geißler in der Politik & Kultur – Zeitung des Deutschen Kulturrates 4/2019

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