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Beethovens „Fidelio“ konzertant in Grafenegg. Foto: Photowerk - Wernern Kmetisch
Beethovens „Fidelio“ konzertant in Grafenegg. Foto: Photowerk - Wernern Kmetisch
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Die Freude ist nicht namenlos: Anja Kampe singt im Grafenegger „Fidelio“ die Leonore

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Das vierte Musikfestival Grafenegg 2010 ist eröffnet. Schon wird von einer Erfolgsgeschichte gesprochen. Der Pianist Rudolf Buchbinder ist der künstlerische Leiter des Festivals. Gerne berichtet er, dass er jüngst auf einer Japan-Tournee darauf angesprochen wurde. Die diesjährige Eröffnung im Auditorium, einem Konzertsaal mit ausgezeichneter Akustik, der als weitere Attraktion neben dem Amphitheater „Wolkenturm“ im ohnehin begeisternden Ambiente der Schloss- und Parkanlagen im niederösterreichischen Kultur- und Weinparadies gelten darf, wird in guter Erinnerung bleiben.

Am Ende ist der Jubel groß, im Saal und auf dem Podium. Da wird mit Chor und Orchester gejubelt, kräftig und in höchsten Tönen, mit allen Solisten bis auf den vorzeitig entlassenen Schurken Pizarro, ertönt die Hymne auf die rettende Gattenliebe, wird die „namenlose Freude“ strahlend besungen. Unaufhaltsam war die Wende des im tändelnden Singspiel beginnenden Dramas von dem Moment an, als in der Tiefe des unterirdischen Kerkers die Heldin Leonore sich zu erkennen gibt und dem Schurken Pizarro ihr „Töt´ erst sein Weib !“ in hochdramatischer Verzweiflungsgeste entgegen singt. Hier wird wirklich gesungen, und der Spitzenton steht. In waffentechnischer Überlegenheit zieht sie zudem einen Revolver gegen den altmodischen Dolch des Diktators. Neue Welt, neue Zeit, neues Frauenbild, Revolution. Oder doch nicht? Ironie? Verzweiflungsjubel? Kunst wider besseres Wissen?

An Beethovens Freiheitsoper aus dem Geist des deutschen Singspiels haben sich Regisseure wund gearbeitet, immer wieder Pathos und Glaubwürdigkeit dieser oratorisch endenden Utopie hinterfragt. Ob man das Werk historisierend auf die Bühne bringt, ob man es ins heutige Ambiente versetzt, in surreale Räume oder in den nahen Osten, am Ende entscheidet immer die Musik. Zieht die uns in den Bann, dann hören wir schon in der Idylle des Beginns das unheimliche Pochen von außen, an die Tore des Gefängnisses, dann kündigt das Trompetensignal im zweiten, dem hochdramatischen Teil, nicht nur das Nahen eines Ministers an, dann ist das Signal aus der Höhe, das bis in die Tiefe dringt, für die einen der Ton der Verdammnis, und für die anderen der Ton der Rettung. Beethoven hat ein szenisches Requiem komponiert, das widersetzt sich den Gesetzen allgemeiner Theatralik und Dramaturgie.

„Fidelio“ wird in Grafenegg konzertant aufgeführt, und wird doch zu einem dramatischen Geschehen. Das liegt zunächst an der klugen Aufstellung der Solisten – leicht erhoben hinter dem Orchester – mit dem Chor auf einer Galerie darüber. Diese „sichtbare Musik“ ist ein wahrhaft adäquates Bühnenbild für die fulminante Klangutopie, deren sicheres Fundament das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich unter der Leitung von Andrés Orozso-Estrada ist. Die besondere Kraft des Abends geht von den Solistinnen und den Solisten aus, zunächst von den so intensiv und klangschön singenden Herren, und den Damen, die zum finalen Jubel dazu kommen, des Wiener Arnold-Schönberg-Chores, in der Einstudierung von Erwin Ortner.

Christof Fischesser ist für Kurt Rydl eingesprungen und beglückt als Rocco mit melodisch betontem Gesang bei geschmeidigem Bassklang. Mit hellem, schlankem Sopran gibt Bernarda Bobro die Marzelline. Alexander Kaimbacher ist der Jaquino. Schade dass er so knapp bedacht wurde. Mit kerniger Attacke des Bösen gibt Falk Struckmann den Pizarro und überzeugt mit einer existenziellen Leistung.

Als Florestan war Johan Botha angekündigt. Nach seiner Absage übernahm Endrik Wottrich die gefürchtete Partie. Gesungen hat den mörderischen Part am Ende Simon O´ Neill. Auch wenn er nicht alle Höhen der Freiheit im himmlischen Reich auf Anhieb erklimmt, die Intensität ist enorm, nicht immer entscheidet die partielle Tonhöhe über den Wahrheitsgehalt einer Gesamtleistung.

Eine Leonore zum Jubeln ist Anja Kampe. Das ist jugendlich-dramatischer Gesang wie man ihn selten erlebt. Da ist die verzweifelte Tiefe, die Melodramatik der Mitte und vor allem die kämpferische Energie in den triumphalen Höhen. Alles in übergangsloser Einbindung, die verblüffende Irrationalität des Musikalischen. Ein Engel, Leonore mit Revolver auf den Flügeln des Gesanges.

Die von Heribert Sasse gesprochenen Zwischentexte verselbständigen sich, seine Art der Emphase will sich nicht ganz glücklich in die musikalische Dramaturgie fügen.

Bis zum 12. September bietet das vierte Musik Festival Grafenegg noch insgesamt 13 hochkarätige Konzerte, im Wolkenturm und im Auditorium.

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